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Gesunde Ernährung: Wenn beim Essen jeder Cent zählt

Janet Panzanaro ist alleinerziehend, wohnungslos und Hartz-IV-Empfängerin. Gesunde Ernährung ist ihr dennoch wichtig.

Gesund ernähren mit wenig Geld - ist das möglich? Eine alleinerziehende, wohnungslose Hartz-IV-Empfängerin versucht es. Statistisch gesehen bildet sie damit eine Ausnahme. 

Stuttgart - Genau 2,71 Euro hat der Einkauf von Janet Panzanaro in dem türkischen Laden nahe des Bad Cannstatter Bahnhofs gekostet. Zwei Äpfel, zwei Pfirsiche, zwei Auberginen und sechs Cocktailtomaten hat sie nun in ihrer Tüte. Die 38-Jährige kauft oft in diesem Geschäft ein: „Im Supermarkt hätte ich dafür viel mehr bezahlt. Obst und Gemüse bekommt man in türkischen oder arabischen Läden deutlich preiswerter und in guter Qualität." Der Preis ist für Janet Panzanaro wichtig: Die gelernte Friseurin lebt seit einem guten Jahr von Hartz IV, ist alleinerziehende Mutter einer zehnjährigen Tochter und hat seit Kurzem auch keine eigene Wohnung mehr. Vor wenigen Tagen ist sie mit ihrem Kind in eine Notunterkunft für Wohnungslose gezogen.

Trotz dieser widrigen Umstände legt Janet Panzanaro Wert auf gesunde Ernährung. „Als meine Tochter auf die Welt kam, ist mir das wichtig geworden. Ich habe nachgelesen, was alles in den Babygläschen enthalten ist, die man in Supermärkten und Drogerien bekommt – und war schockiert.“ Die 38-Jährige begann, selbst Brei herzustellen und insgesamt mehr frisch zu kochen.

Geringverdiener sind öfter übergewichtig

Statistisch gesehen bildet Janet Panzanaro mit ihrem Bewusstsein für gesunde Ernährung eine Ausnahme: In mehreren Studien wurde beobachtet, dass Menschen aus niedrigen sozialen Schichten ungesünder leben als jene aus höheren Schichten. „Bildung und Einkommen korrelieren mit der Qualität der Ernährung“, sagt auch der Ernährungsforscher Jan Frank von der Uni Hohenheim. „Es wurde auch mehrfach gezeigt, dass das Risiko für Übergewicht bei Geringverdienern höher ist.“ Nach Daten des Robert-Koch-Instituts ist die Lebenserwartung sozial benachteiligter Bevölkerungsgruppen im Vergleich zu Beziehern hoher Einkommen sogar um bis zu elf Jahre verringert, das Risiko für chronische Erkrankungen und Depressionen um das Zwei- bis Dreifache erhöht.

Doch woran liegt das; warum leben Menschen mit weniger Geld statistisch gesehen ungesünder? Der Ernährungswissenschaftler Jan Frank macht nur zum Teil ­mangelhaftes Wissen dafür verantwortlich: „Die meisten Menschen wissen, dass Gemüse, Obst und Vollkornprodukte gesünder sind als Tiefkühlpizzen und Chips.“ Allerdings koste eine vollwertige Ernährung meist mehr als etwa Weißbrot und Konservennahrung. Deshalb landeten bei sozial ­benachteiligten Menschen öfter Fertig­gerichte, preiswertes Fleisch und Fast Food auf dem Tisch. Außerdem spielt nicht nur das Essen, sondern auch das Trinken eine Rolle, sagt er: „Menschen aus niedrigen Einkommensklassen trinken statistisch gesehen häufiger zuckerhaltige Softdrinks. Durstlöschende Getränke sollten aber keine Energie enthalten.“

Mikronährstoffe sind wichtig

Laut dem Forscher gehört zu einer gesunden Ernährung vor allem eine ausgewogene Lebensmittelauswahl: „Viele Süßigkeiten zu essen ist nicht gut. Aber etwas Schokolade nach dem Essen ist völlig in Ordnung.“ Er persönlich empfiehlt allen Menschen, ihren Wurst- und Fleischkonsum drastisch zu reduzieren – einerseits, um der Massentierhaltung Einhalt zu gebieten, andererseits aus gesundheitlichen Gründen: „Pflanzliche Nahrung enthält viele Mikronährstoffe, die für den Körper essenziell sind, dafür aber weniger Kalorien.“ Außerdem sei frisch zubereitetes Essen generell gesünder als stark verarbeitete Produkte.

Janet Panzanaro weiß dies alles. Daran halten kann sie sich trotzdem nicht immer. Sie hat im Monat rund 310 Euro für Lebensmittel zur Verfügung. Die rund zehn Euro pro Tag müssen reichen für sie und ihre Tochter – und dabei stößt sie immer wieder an Grenzen: „Fisch und Fleisch gibt es bei uns maximal zweimal im Monat. Und auf Brot verzichte ich notfalls.“ Oft kauft die 38-Jährige notgedrungen abgepacktes Brot aus dem Supermarkt, obwohl ihr dies im Vergleich zu Brot vom Bäcker nicht gut schmeckt.

Nicht immer sind Großpackungen billiger

Janet Panzanaro hat sich angewöhnt, sich zurückzunehmen: Während ihre Tochter mittags in der Schule isst, verzichtet sie auf das Mittagessen. Dafür legt sie auf Frühstück und Abendessen viel Wert und spart nicht, wenn es darum geht, ein hochwertiges Müsli zu kaufen. Außerdem kocht sie jeden Abend frisch: „Oft gibt es Gemüsesuppen oder gefüllte Paprika. Das mögen meine Tochter und ich.“ Generell versuche sie, saisonales Gemüse zu verarbeiten, weil dies preiswerter und umweltbewusster sei. Das gelinge aber nicht immer: „Mit einem Kind ist das schwierig. Meine Tochter mag überhaupt keinen Kohl, liebt aber Erdbeeren – und die haben eben nur sehr kurz Saison.“ Die 38-Jährige würde auch gerne noch mehr auf die Anbauweise achten, „aber einen Einkauf beim Biobauern kann ich mir einfach nicht leisten“, sagt sie. Stattdessen achte sie genau darauf, welcher Discounter gerade welche Angebote hat.

Sabine Holzäpfel von der Verbraucherzentrale Baden-Württemberg kennt einige Tricks für Menschen mit wenig Geld, die sich gesund ernähren wollen: So bieten manche Bäckereien und Supermärkte bestimmte Waren abends preiswerter an, sagt sie. Außerdem würde es sich gelegentlich ­lohnen, in größeren Mengen einzukaufen, wenn Supermärkte Sonderangebote hätten. „Allerdings muss man diese Angebote genau prüfen; auch Großpackungen sind nicht immer billiger. Entscheidend ist der Grundpreis, also wie viel etwas pro 100 Gramm oder ein Kilogramm kostet.“ Eine andere Idee seien Rabattcoupons, die in Supermärkten ausliegen, in Werbeprospekten oder im Internet erhältlich sind. ­Allerdings gelte es dabei genau auf die Teilnahmebedingungen zu achten.

Tafeln bieten Lebensmittel gegen wenig Geld

Wenn all dies nicht mehr ausreicht, gibt es auch noch die mehr als 390 Tafeln in Deutschland als Anlaufstellen für Hilfebedürftige mit wenig Geld. Der Verein bietet Lebensmittel gegen einen symbolischen Obolus an. Wer dort einkaufen will, muss seine Bedürftigkeit nachweisen; dazu genügt ein Hartz-IV-Bescheid oder bei Geringverdienern ein Einkommensnachweis. Jedoch gehört auch einiges an Mut und Überwindung dazu, sich einzu­gestehen, dass man auf die Tafel angewiesen ist. ­Janet Panzanaro etwa probiert bisher, den Gang dorthin zu vermeiden.

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