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Was hat es mit Katarina Barleys EU-Hoodie auf sich? - WELT


Katarina Barley setzte mit ihrem Auftritt im blauen EU-Hoodie ein modisches Bekenntnis zur EU - ebenso wie viele Künstler und Modeleute. Aber was kann ein Pulli für die europäische Identität tun? Das fragten wir Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann.

Im blauen Hoodie mit goldenen EU-Sternen trat Katarina Barley am Mittwoch vor die Kameras, um ihr Statement zum Brexit-Chaos abzugeben. Theresa May war kurz zuvor mit ihrem Abkommen für einen geregelten Ausstieg aus der Europäischen Union gescheitert. Barleys Pullover ist sicherlich als klares Bekenntnis zur EU zu verstehen, zumal sie Spitzenkandidatin der SPD der Europawahl ist. Doch wer genau hinsieht, bemerkt die Lücke im Sternenkreis. Ein Stern fehlt.

Auf Twitter fand das Bild schnell Verbreitung, denn: Der Kapuzenpulli mit dem schönen Namen EUnify stammt vom Berliner Künstlerlabel Souvenir, und wer in der Kreativszene was auf sich und sein politisch aufgeklärtes Image hält, der besitzt so einen Pulli. Auf dem Instagram-Account von Souvenir sind zahlreiche Künstler und Modeleute in genau diesem blauen Pulli zu sehen, von Kurator Hans Ulrich Obrist über Model Toni Garrn bis Designer Virgil Abloh.

2017 kam Souvenir-Gründer David Mallon die Idee zu den Pullis, die erste Kollektion entstand in Zusammenarbeit mit der Berliner Galerie König. Diese Idee besteht vor allem darin, Verantwortung zu übernehmen für die Stärkung der EU - indem man im Pulli öffentlich Haltung bezieht.

Was aber hat es mit dem unvollständigen Sternenkreis-Emblem auf sich? Das originale EU-Emblem wurde 1955 entwickelt, seit 1983 ist es Flaggensymbol der Europäischen Gemeinschaft. Die zwölf Sterne stehen symbolisch für Einheit und Vollkommenheit. Dass auf dem Pulli ein Stern aus dem Kreis entfernt wurde und auf der Rückseite aufgedruckt ist, stellt nun einen Störmoment dar. Die Selbstverständlichkeit, mit der vor allem die junge Generation viele Annehmlichkeiten der EU als gegeben hinnahm, wird angekratzt.

Doch inwieweit kann ein Modeartikel gegen eine bröckelige europäische Identität ankommen? Darüber sprach ICONIST mit der Kulturwissenschaftlerin und Friedenspreisträgerin Aleida Assmann, die im Oktober 2018 ihr Buch „Der europäische Traum" veröffentlichte. Sie sagt: „Das ist eine sehr gute, visuelle Darstellung der aktuellen Grundproblematik. Das Emblem zeigt den Zustand der Gefahr, der Krise. Was passiert, wenn der Kreis auseinanderfällt?"

ICONIST: In Ihrem Buch schreiben Sie, dass Sie das Sternenkreis-Emblem der EU momentan ohnehin kritisch sehen ...

Aleida Assmann: Ich habe mir den Sternenkreis angeschaut und festgestellt: Der ist wie eine Uhr, so sicher, so geschützt, der suggeriert, dass wir nicht darüber nachdenken müssen, was diese Sterne eigentlich zusammenhält. Eigentlich sollte der Sternenkreis einmal für die Einheit in Vielfalt stehen. Diese Idee funktioniert aber nicht mehr, denn in der leeren Mitte stand bislang als zentrifugale Kraft höchstens der Euro als gemeinsame Währung. Welche Ideen und Werte aber könnte man in diese leere Mitte schreiben? Insofern ist die Idee der Pullover genial, weil sie genau diesen Punkt aufgreift: Der Kreis fällt auseinander, wenn wir nichts dafür tun, ihn zusammenzuhalten. Das ist ganz in meinem Sinne.

ICONIST: Kann denn ein Modeprodukt einen identitätsstiftenden Moment herstellen, der diese leere Mitte zumindest ein wenig füllt?

Assmann: Der Pulli drückt eine Beunruhigung aus und diese zu verbreiten, finde ich ausgesprochen produktiv. Denn was man schätzt, möchte man auch schützen.

ICONIST: Allerdings lebt ein Modeartikel auch von kurzfristigen Hypes. Die Coolness nimmt ab, je mehr Leute den Pulli tragen.

Assmann: Das Problem der Coolness ist das ewige Markenproblem, aber um Gottes willen, das wäre furchtbar, wenn man die Idee des Pullovers deshalb nicht unterstützen würde!

ICONIST: Der Pulli ist in hippen Twitter- und Instagram-Kreisen sehr verbreitet. Schwingt da nicht eine gewisse Hybris mit, wenn man den Pulli trägt - nach dem Motto: Schau mal, ich hab die richtige politische Einstellung?

Assmann: Überhaupt nicht. Der Hoodie an sich steht ja nicht für einen elitären Sonderstatus, sondern verbindet jung und alt. Heute trägt doch jeder unterm Sakko einen Kapuzenpulli. Es kommt natürlich darauf an, ob man den Europa-Pullover aus Modeambitionen heraus trägt oder ob man die Botschaft des Pullovers für sich vereinnahmt. In diesem Fall kann der Pulli für einen echten Bewusstseinsschub sorgen.

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