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Frauen müssen sich selbst die besten Cheerleader sein

Dieser Artikel ist am 25.03.2017 auf welt.de bzw. iconist.de erschienen (Original HIER): 

Tennisszene: Frauen müssen sich selbst die besten Cheerleader sein


Es ist eine Frage des Stils: Auch im Sport sind wieder echte Persönlichkeiten gefragt. Rolex-Testimonial Angelique Kerber zum Beispiel ist bei weitem keine Tennis-Barbie. Gerade deshalb kann man viel von ihr lernen.


Als Angelique Kerber ihr erstes Grand-Slam-Turnier gewann, die Australian Open im Januar 2016, war die Freude groß. Seit Steffi Grafs Karriereende hatte Tennis in Deutschland gefühlt 98 Prozent der Popularität eingebüßt. Und dann war da plötzlich die Kerber aus Kiel, die mit 28 Jahren auf Platz eins der Weltrangliste kletterte. Aber, typisch deutsch, selbst an dieser außergewöhnlichen Sportlerin gab es, zumindest unter Journalisten, wieder etwas auszusetzen: Ob unsere „Angie" wohl genügend Starappeal haben würde, um eine glamouröse Nummer eins abzugeben?


Nur richtig gut in einem Sport zu sein, das reicht heutzutage offenbar nicht mehr. Lauren Weisberger, Autorin von „Der Teufel trägt Prada", hat 2016 über die Glamourpflicht im Tennis einen Roman verfasst, in dem durchgestylte Tennis-Barbies um die öffentliche Aufmerksamkeit buhlen. Fest steht: Spätestens seit der Präzedenz der Diva Serena Williams sind Tennisspielerinnen zu Lifestyle-Unternehmerinnen geworden. Sie sind Social-Media-Stars, Markenbotschafterinnen und Fitnessexpertinnen und, naja, ein paar Turniersiege hin und wieder sollten auch noch drin sein.


Der Sport bietet sich freilich an für die erfolgreiche Selbstvermarktung: Die Bewegungen sind elegant, die Sportkleidung annehmbar kleidsam - und vom Fernseher aus lässt sich die Psyche der Spielerinnen bestens studieren. Das schafft Nähe, zu den Sportlerinnen, aber auch zu den Marken, die sie ausstatten. Zählen also selbst im Tennis am Ende nur noch Glamour und Follower?!


Angelique Kerber hat bislang keine Bikini-Fotostrecke veröffentlicht, ist weiterhin Nummer Eins und beantwortet die immer gleichen Fragen der Sportreporter stets mit Gelassenheit. Sie ist keine besonders mondäne junge Frau, weit entfernt von rosafarbenem Instagram-Chichi - und trotzdem oder gerade deshalb seit Anfang dieses Jahres Rolex-Testimonial. Ihr berühmtester Kollege: Roger Federer.


Der Vertrag mit Rolex, die auch vielerorts im Tennis als Zeitmesser auftreten, gilt als Ehre. Die Schweizer Uhrenfirma tritt nur an die besten Spieler heran, und unter diesen nur an solche, die auch abseits vom Platz Charakter beweisen. Unter vielen Profis ist es schon fast Tradition, sich bei großen Erfolgen selbst eine Rolex zu schenken.

Auch bei Angelique Kerber war das so. „Mein ganzes Team und meine Mutter waren dabei, als ich mir meine erste Uhr kaufte. Das war 2011, weil ich bei den US-Open das Halbfinale erreicht hatte. Das Jahr war bis dahin so schlecht gelaufen, ich hätte mit dem Tennis um ein Haar aufgehört", erzählte die 29-Jährige beim WTA-Turnier im kalifornischen Indian Wells. Dort hatte sie einen ihrer ersten offiziellen Auftritte als Testimonial, der Stolz, zur „Rolex-Familie" zu gehören, ist unübersehbar.


Es wird zum Generationengespräch geladen. Kerber diskutiert mit ihrer aktuellen Tourkonkurrentin, der 23-jährigen Garbiñe Muguruza, und der 62-jährigen Chris Evert, die 18-mal einen Grand Slam gewonnen hat. Es geht um ihre jeweiligen Karrieren und den Status Quo des Damentennis: Warum setzen Frauen nur noch auf ein donnerndes Grundlinienspiel? Darf man beim Match Gefühle zeigen? Und wie könnte ein Leben ohne Tennis aussehen?


Es habe sich schon sehr viel verändert in den letzten Jahren, stellt Chris Evert fest. „Die Frauen trainieren rein körperlich inzwischen auf dem Niveau von Olympia-Athleten, das gab's zu meiner Zeit nicht. Und was ich manchmal bedaure: Es geht heute nur noch um das schnelle, kraftvolle Spiel, früher hatten wir ein, zwei Sekunden mehr, um uns auch mal für einen Stoppball zu entscheiden", sagt Evert. Es sei schon fast ein bisschen unheimlich, dass sich Frauen selbst im Sport dem Spiel der Männer anpassen müssen.

Auch drum herum, so Chris Evert, habe es manche Entwicklung gegeben: „Es wird viel mehr Geld in den Sport gesteckt, es gibt mehr Sponsorenprogramme, die Medienaufmerksamkeit hat sich deutlich erhöht." Dazu gehört auch, dass ihre jungen Kolleginnen einen selbstverständlichen Umgang mit den sozialen Medien pflegen, ihren Fans selbst in stressigen Turnierphasen Futter liefern. Das sei schon okay, das gehöre eben dazu, erwidern Kerber und Muguruza; einen Wettbewerb um die meisten Follower gebe es zum Glück aber nicht.


Und doch rücken Sportler ihre Persönlichkeiten über das Internet verstärkt in den Vordergrund. Was auch ein Vorteil ist. Spielte man einst eine Saison schlecht, geriet man schnell in Vergessenheit, bei Fans wie Sponsoren, Kerber selbst hatte 2011 nicht einmal mehr einen Trainer. Inzwischen lässt sich eine Flaute leichter überbrücken - momentan ist das gut am Beispiel der kanadischen Spielerin Eugenie Bouchard zu beobachten, die auf Platz 50 der Weltrangliste abgerutscht ist, durch ihr mediales „Powergame" aber für Fotostrecken wie in der berühmten Bikiniausgabe von „Sports Illustrated" gebucht wird. Auf dem Center Court in Indian Wells wird sie frenetisch bejubelt.


Angelique Kerber und Garbiñe Muguruza treten zurückhaltender auf, sie wollen als „classy" und elegant wahrgenommen werden, so wie Rolex eben sei, das betonen sie im Gespräch immer wieder. Chris Evert beschreibt die Achtsamkeit der beiden als „würdevoll" und fügt hinzu: „Es ist keine leichte Zeit für die jungen Leute, über die sozialen Medien wird schon auch ein großer Druck ausgeübt. Ich bin froh, dass ich in den 70er-Jahren jung war, damals hatten wir einen einzigen Fernseher mit drei Kanälen zu Hause!"


Die Ablenkungen, die rund um den Tennisplatz entstehen, haben sich vervielfältigt, das mentale Training dient bei den Spielerinnen nicht mehr nur, ein Match durchzustehen - sondern die Konzentration auf sich selbst und das Spiel nicht zu verlieren, während man sich mit der eigenen Außenwirkung beschäftigt.


Gerade als Frau ist das ja nicht so einfach, in dem Punkt sind sich die Tennisdamen beim Gespräch in Indian Wells einig. „Du darfst auf dem Platz keine Gefühle zeigen, deine Gegnerin darf nie glauben, dass sie dich entmutigt hat. Du musst dir selbst der beste Cheerleader sein", sagt Chris Evert, und es hört sich an wie eine universelle Anweisung für Frauen.


Doch wie soll man das schaffen, Wut und Frustration zurückzudrängen, wenn mal wieder alles schief läuft? „Immer an die Frauen im Nahen Osten denken, die haben es viel schwerer als wir", sagt Chris Evert trocken. Für sie sei es immer noch ein Kampf, damit umzugehen, dass man eben nicht jeden Tag gleich gut spielt, erwidert Garbiñe Muguruza nicht ganz so abgeklärt: „Man muss ja nicht nur gegen eine andere Frau kämpfen, sondern vor allem mit sich selbst. Ich bin auf dem Platz ganz auf mich gestellt. Ein Match kann sich in wenigen Sekunden daran entscheiden, ob ich cool bleibe."


Auch deshalb ist es spannend, Topspielerinnen auf dem Platz zu beobachten: Jede Frau kann den Kampf um die eigene Souveränität gut nachvollziehen. Und auch mit der Frage, was nach dem Tennis kommt, muss jede allein fertig werden. Auf jeden Fall wollten sie eine Familie haben, nicht mehr so viel reisen und trotzdem irgendwie aktiv bleiben, sagen Kerber und Muguruza. Es sind seltsam diffuse Zukunftsvorstellungen für Frauen, die von klein auf immer nur auf ein Ziel hingearbeitet haben, nämlich, in diesem Sport so gut wie möglich zu werden. Doch: „Für jede Frau kommt irgendwann ein Punkt, an dem sie sich ganz in Ruhe überlegen muss, was sie wirklich will", sagt Kerber.


Gegen eine allzu vorzeitige Familienplanung hat Karriereberaterin Chris Evert allerdings etwas einzuwenden: „Du musst noch keine Kinder kriegen, jetzt wird erst einmal Tennis gespielt!"

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