Heute muss Susanne Holtkotte nicht malochen. Sie muss nicht wie sonst um 7.30 Uhr die Schicht im Krankenhaus anfangen, dann sieben Stunden im Keller stehen und die Betten von Fäkalien und Blutlachen reinigen, im 25-Minuten-Takt. Es ist Pfingstmontag, und wenn sie sich den Feiertag schon mit einem Pressetermin versauen müsse, dann bitte erst ab Mittag. Am Bochumer Hauptbahnhof umarmt Holtkotte zur Begrüßung, sagt "So machen wir das hier im Pott", und will lieber Susi genannt als gesiezt werden.
Vom Bahnhof sind es 15 Minuten zu ihrer Zweizimmerwohnung in einem kleinen Vorort im Grünen. Holtkotte lenkt ihren kleinen Ford Ka, den sie nach Ruhrpottart "Nuckelpinne" nennt, zielsicher an den Schlaglöchern vorbei. "Manchmal fragen mich Menschen, wieso ich mir überhaupt ein Auto leiste", sagt sie. "Aber das heißt Freiheit für mich." Das Auto braucht sie auch, um ihren Vater in Dortmund zu besuchen, wo sie aufgewachsen ist. Manchmal, wenn er nicht da ist, fahre sie zu ihm und putze seine Wohnung. Er lege ihr dann ein paar Scheine auf den Tisch, die sie zwar nicht einstecken wolle, aber es dann doch tue, weil das Geld sonst kaum zum Leben reiche.
Als Reinigungskraft verdient Holtkotte den Mindestlohn in ihrer Branche, das sind 10,56 Euro pro Stunde in Westdeutschland. Mit ausreichend Arbeitstagen kommt sie monatlich auf einen Betrag zwischen 1.050 und 1.100 Euro, sagt sie. Damit gilt Holtkotte hierzulande als armutsgefährdet, auch wenn sie es lieber "knapp bei Kasse" nennt. Sie ist 48, und weil sie nichts zurücklegen kann, droht ihr im Ruhestand Altersarmut, wie momentan jeder fünfte Renter und Rentnerin in Deutschland.