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Eine Wissenschaft für sich

Als weise Frauen gaben Hebammen früher ihr Wissen über Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett weiter. Der Beruf ist bis heute fast ausschließlich in Frauenhand, hat sich aber in vieler Hinsicht verändert und professionalisiert. Ein weiterer Schritt in diese Richtung ist die vom europäischen Parlament beschlossene Akademisierung der Hebammenausbildung. So fordert eine EU-Richtlinie von allen Mitgliedsstaaten, ab dem 18. Januar Hebammen an Hochschulen auszubilden.

Dieser Termin lässt sich in Deutschland jedoch nicht halten. In Berlin bietet bisher nur die Evangelische Hochschule Berlin (EHB) in Kooperation mit dem St. Joseph Krankenhaus einen Bachelor-Studiengang Hebammenkunde an. Darüber hinaus wird weiterhin konventionell an den Berufsfachschulen ausgebildet. Es gibt dort sogar mehr Ausbildungsplätze als bisher, damit reagieren die Kliniken auf den Hebammennotstand.

Ohne Studium schlechter gestellt

„Ich kann ab dem nächsten Jahr, wenn die Frist der EU zur Umsetzung der Akademisierung abläuft, niemandem mehr guten Gewissens dazu raten, die Ausbildung nach dem alten Modell zu machen", sagt Yvonne Bovermann, Präsidiumsmitglied und Beirätin für den Bildungsbereich des Deutschen Hebammenverbandes. Zwar wird jede klassische Ausbildung, die bis 31. Dezember 2021 beginnt und bis 2025 abgeschlossen ist, in Deutschland vollständig anerkannt. Aber in dieser Zeit erworbene Abschlüsse werden vom Berufsstatus her unterhalb des von der EU gewollten Abschlusses liegen. Es sei gut vorstellbar, dass mittelfristig im Wettbewerb mit studierten Hebammen die Hebammen ohne Studium das Nachsehen haben, vermutet Bovermann. Zudem ist es für die Hebammen ohne Studium aufwändiger und dauert länger, wenn sie sich weiterqualifizieren. Und es könnte problematisch werden, im europäischen Ausland einen Job zu finden.

„Deutschland ist das Schlusslicht bei der Überführung der Ausbildung auf hochschulisches Niveau", sagt Bovermann. „Obwohl eine Richtlinie die automatische Anerkennung innerhalb der Länder der EU festschreibt, wird Hebammen mit deutschem Abschluss heute schon häufig mit Hinweis auf die niedrigere Qualifikation nur ein Arbeitsplatz auf einem niedrigeren Qualifikationsniveau angeboten. Hebammen, die ihre Ausbildung ab 2016 begonnen haben, werden in Europa nicht mehr automatisch anerkannt - so lange, bis wir ein EU-konformes Hebammengesetz haben", sagt sie. Der Hebammenberuf habe sich weiterentwickelt und entwickele sich auch in Zukunft weiter. Dies müsse sich inhaltlich auch in der Ausbildung widerspiegeln.

Osnabrück bietet einen Bachelor in Midwifery an

Zwar können Hebammen im Anschluss an ihre Ausbildung zum Beispiel an der Hochschule Osnabrück den Bachelor Midwifery aufsatteln. Das dauert aber länger als die primäre Hochschulausbildung, die Bachelor und Berufsabschluss zusammenbringt: Sie müssten dann noch einmal viereinhalb Jahre bis zum Bachelor einplanen statt vier Jahre. Dabei finden die letzten eineinhalb Jahre als Vollzeitstudium in Osnabrück statt - sofern Interessierte überhaupt einen der begehrten Studienplätze ergattern.

An der Evangelischen Hochschule Berlin wird seit drei Jahren ein Modellstudiengang Hebammenkunde angeboten, 130 Studentinnen waren dort in diesem Sommersemester eingeschrieben. Am Ende des sechsten Semesters legen sie nach der Ausbildungs- und Prüfungsordnung von 1987 ihr Staatsexamen ab und haben dann die Berufszulassung. Der Bachelorgrad wird nach acht Semestern erreicht, sodass die Absolventinnen sowohl einen Berufs- als auch einen Studienabschluss in der Hand haben. „Die Nachfrage für den Modellstudiengang ist groß. In diesem Frühjahr hatten wir auf jeden der 53 Studienplätze, die zum Wintersemester vergeben werden, drei bis vier Bewerbungen", sagt die Studiengangsbeauftragte, Dorothea Tegethoff.

Die Studentinnen wechseln blockweise zwischen der Theorielehre an der Hochschule und praktischen Studienphasen in Kooperationseinrichtungen, dazu gehören etwa Entbindungsstationen in Kliniken, Geburtshäuser oder Praxen freiberuflicher Hebammen.

Voraussetzung ist Fachabi oder Abi

Als Voraussetzungen müssen die angehenden Hebammen mindestens zwölf Jahre Schulbildung, also entweder Abitur oder Fachabitur mitbringen. Dass das eine Einstiegshürde darstellt, glaubt die Professorin nicht. „Sowohl das Berliner Hochschulgesetz als auch der Entwurf für das neue Hebammengesetz sehen Zugangsmöglichkeiten für beruflich Qualifizierte vor", sagt sie. „Es ist aber bereits seit Jahren so, dass auch in den Fachschulen vor allem Bewerberinnen mit Abitur die Hebammenausbildung beginnen." Obwohl der Beruf viel Engagement erfordert, ist er sehr beliebt. Schulen haben meist weniger Plätze als Bewerberinnen.

„Da das Studium länger dauert als die fachschulische Ausbildung, können wir wichtige Themen vertiefen und zusätzliche Inhalte lehren", sagt Tegethoff. Dazu gehört vor allem das wissenschaftliche Arbeiten. Die Studentinnen lernen, wissenschaftliche Veröffentlichungen rund um Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett zu finden, zu verstehen und zu bewerten und mit der praktischen Tätigkeit zu verknüpfen. Auch die Durchführung von wissenschaftlichen Untersuchungen wird gelehrt und in einem Projekt geübt. „Dabei finden die Studentinnen selbst ein relevantes Thema (...) und führen die Untersuchung unter Aufsicht der Professorinnen des Studiengangs durch." Außerdem ist jetzt auch Zeit für Themen wie Qualitätsmanagement, Betriebswirtschaftslehre, Pädagogik und Beratung.

Mehr Geld gibt es für die Absolventinnen nicht

Trotzdem kommt die Praxis nicht zu kurz, betont Tegethoff. „Die Studentinnen haben die gleichen Praxiseinsätze zu absolvieren wie die Schülerinnen einer Fachschule", sagt sie. Um Theorie und Praxis miteinander zu verknüpfen, schließen sie einen Praxiseinsatz mit einer Prüfung ab, bei der sie zum Beispiel eine Fallbeschreibung oder einen Behandlungsplan schreiben müssen.

Auf das Gehalt wirkt sich die bessere Ausbildung momentan noch nicht aus. Aktuell gelten für die Absolventinnen der Evangelischen Hochschule die gleichen Tariflöhne und Abrechnungsgebühren wie für fachschulisch ausgebildete Hebammen. Sowohl Dorothea Tegethoff als auch Yvonne Bovermann hoffen aber durch die Akademisierung auf eine Aufwertung des Berufs - und auch darauf, dass alle Hebammen für ihre wichtige Tätigkeit bald besser bezahlt werden.

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