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Muss Weihnachten dieses Jahr ausfallen?

Foto: Emmanuele Contini /Imago images


In gut zwei Wochen ist Heiligabend - und Millionen Menschen werden dafür quer durch die Republik reisen. Die Bundesregierung hält das trotz der hohen Corona-Fallzahlen für vertretbar. Doch Experten widersprechen vehement.

Weihnachten steht vor der Tür, die Corona-Todesfallzahlen sind hoch. Dennoch sollen die Einschränkungen über die Feiertage gelockert werden. Ist eine solche Regelung angesichts des hohen Infektionsrisikos überhaupt vernünftig? Darüber sind sich Politiker und Experten uneinig.


Epidemiologe Markus Scholz von der Universität Leipzig hat eine klare Meinung, ob Weihnachten in diesem Jahr gefeiert werden sollte. "Auf jeden Fall sollte auf explizite Lockerungen vor den Feiertagen verzichtet werden. Das wäre ein völlig falsches Signal", sagte er t-online. Da kurz vor Weihnachten nun keine deutliche Reduktion des Infektionsaufkommens mehr erreichbar sei, "können aktuell nur die Menschen selbst durch weitgehende Selbstisolation vor und nach den Feiertagen sowie Feiern im kleinen Kreise dazu beitragen, dass Weihnachten nicht zu einer deutlichen Steigerung des Infektionsaufkommens beiträgt." Auf Besuche der Familien untereinander sollte weitgehend verzichtet werden.


"Lage in Sachsen besorgniserregend"

Besonders in Sachsen sei die Lage mehr als besorgniserregend. "Es war im Prinzip schon Mitte November klar, dass die aktuellen schwachen Maßnahmen keine ausreichende Bremswirkung entfalten", sagte Scholz.


Seiner Ansicht nach gebe es derzeit gar keinen Spielraum für Lockerungen. Die Vorstellung, dass die Maßnahmen vom November ein weitgehend gefahrloses Weihnachten ermöglichen sollten, hätten sich nicht erfüllt. "Es stellt sich deshalb tatsächlich die Frage, ob es nicht sinnvoller ist, stärker und dafür kürzer zu bremsen, da es ansonsten auch mittelfristig keine Perspektive für Lockerungen gibt", so seine Einschätzung.


Söder findet Lockerungen über Weihnachten vertretbar

Die geplanten Lockerungen der Corona-Auflagen über Weihnachten sind nach Ansicht von Bayerns Ministerpräsident Markus Söder aber auch in der gegenwärtigen Lage der Pandemie vertretbar. "Ich finde, wir brauchen schon eine Balance von Empathie und Rationalität", sagte der CSU-Chef am Montag vor einer Videokonferenz des Parteivorstandes in München. Natürlich könnte man auch sagen, dass man die strengeren Regeln auch über Weihnachten fortsetze, er halte die Ausnahme aber für vertretbar.


"Corona lässt eben nicht locker und darauf müssen wir reagieren", sagte Söder und verteidigte die am Sonntag angekündigten strengeren Corona-Maßnahmen für Bayern. Es sei nicht das, was man sich wünsche, aber dennoch notwendig. "Wir müssen handeln, besser früher als später", sagte Söder. Es sei nicht akzeptabel, dass in Deutschland alle vier Minuten ein Mensch an den Folgen des Coronavirus sterbe.


"Umsicht, Vorsicht, Eigenverantwortung"

"Was wir brauchen, sind Umsicht und Vorsicht und Eigenverantwortung", sagte Matthias Kopp, Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, t-online. Aus den Erfahrungen der Pandemie rund um die Osterzeit hätte man gelernt. Die umfassenden Hygiene- und Sicherheitskonzepte aller Kirchengemeinden in Deutschland hätten sich gerade seit Juni bewährt und würden auch in diesen schwierigen Wochen umgesetzt, erklärte Kopp.


Weihnachten hänge nicht nur von den Kirchen ab, sondern von der Gesellschaft und wie die Menschen aufeinander Acht geben würden. Das sei schließlich auch Nächstenliebe. "Es wird ein anderes Weihnachten, vielleicht etwas nachdenklicher, weil wir uns - angesichts der Pandemie - auf einmal unserer Grenzen, vielleicht auch unserer Ohnmacht bewusst werden. Und genau deshalb findet Weihnachten statt: Um gegen diese Grenzen, diese Ohnmacht ein Zeichen der Hoffnung, des Lichtes zu setzen", sagte der Sprecher der Deutschen Bischofskonferenz.


"Das Schlimmste wäre, wenn sich die Fallzahlen nach Weihnachten deutlich erhöhen"

Der Pressesprecher des Katholischen Gemeindeverbands Bremen, Christof Haverkamp, ist weiß, dass dieses Weihnachtsfest nur unter bestimmten Bedingungen gefeiert werden kann. Deshalb seien auch weniger Besucher in der Christmette vorgesehen, TV- oder Hörfunk-Gottesdienste würden ebenso wie Gottesdienstübertragungen per Livestream angeboten. "Das Schlimmste wäre, wenn sich die Fallzahlen nach Weihnachten deutlich erhöhen würden", räumte Haverkamp ein.


Ausfallen sollte Weihnachten in diesem Jahr aber dennoch nicht. "Gerade in schwierigen Zeiten ist es notwendig, an die frohe Botschaft erinnert zu werden, dass Gott Mensch geworden ist - und das ist ja der Kern des Weihnachtsfestes." Die Weihnachtsgeschichte aus der Bibel habe gerade in diesem Jahr ihren Platz. Es sei darin ja auch eine Botschaft der Hoffnung enthalten. "Es gilt, vor allem ältere, einsame und kranke Menschen nicht zu vergessen", mahnt Haverkamp.


Jürgen Gerhards, Professor für Soziologie an der Freien Universität Berlin, betonte im Gespräch mit t-online auch die Wichtigkeit des Festes. Das Familienfest habe in der Gesellschaft noch immer einen enorm hohen Stellenwert. "Die meisten Menschen wollen Weihnachten mit ihrer Familie verbringen. Das bedeutet, es gibt in dieser Zeit zwei große Probleme: die Anreise zur Familie und die gemeinsam verbrachte Zeit in der Familie."

Damit erhöhe sich die Infektionswahrscheinlichkeit, schätzt der Soziologe, "auch deshalb, weil niemand unterm Weihnachtsbaum mit Maske sitzen wird." Die Politik sieht er im Dilemma. Denn: "Der Staat hat keine Zugriffsmöglichkeit auf die Privatsphäre des Festes und kann diese nicht kontrollieren. Die Politik kann sich mit Einschränkungen zu Weihnachten nur unbeliebt machen", sagt der Professor.


"Anschlag auf Autonomie"

Weihnachten wird für die Parteien Deutschlands zunehmend zu einem Spannungsfeld, meint auch Politikexperte Wolfgang Schroeder vom Wissenschaftszentrum Berlin. "Politiker wissen, dass es sich für die Bevölkerung wie ein Anschlag auf die Autonomie, auf ihre familiäre Existenz anfühlt", sagt er t-online. Dem entgegensteuern könne nur, wer transparent kommuniziert. "Es ist ja so: Im Moment schlagen zwei Herzen in der Brust der Politik. Zum einen das für den Schutz und die Fürsorge der Menschen, zum anderen das Herz für die Ermöglichung, Weihnachten zu feiern." Diesen Spannungsbogen könne man nicht ignorieren.


Das sieht auch Karl Lauterbach so. "Die Konzentration auf die Hotspots reicht jetzt leider nicht mehr aus", sagte der SPD-Gesundheitsexperte zu t-online. "Die nächsten drei Monate werden die härtesten der Pandemie werden. Wir brauchen jetzt endlich wieder eine Kontrolle der Lage. Da reichen die Hotspots bei Weitem nicht mehr aus", ist er sich sicher.

Mehr als 12.000 positive Tests in Deutschland gemeldet

Das Robert Koch-Institut (RKI) meldete zu Wochenbeginn einen Anstieg der Neuinfektionen in Deutschland um 12.332 auf über 1,183 Millionen. Die Zahl der Menschen, die in Zusammenhang mit dem Coronavirus gestorben sind, erhöht sich um 147 auf 18.919. Damit steigt die sogenannte Sieben-Tage-Inzidenz in Deutschland auf einen neuen Höchstwert von 145,9.


Die deutschen Krankenhäuser haben wegen der anhaltend hohen Neuinfektionen eine Rücknahme der Corona-Lockerungen über Weihnachten und Silvester gefordert. Mildere Regelungen etwa bei Kontaktbeschränkungen könnten "zu einem Anstieg der Infektionszahlen führen, mit weiteren Folgen für Kliniken", sagte der Chef der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), Gerald Gaß, dem "Handelsblatt".

Politiker von Bund und Ländern hatten bereits härtere Beschränkungen für Hotspots mit sehr hohen Corona-Infektionszahlen gefordert. Das bayerische Kabinett hatte am Sonntag neue Maßnahmen beschlossen. Auch ein weiteres Treffen von Bund und Ländern noch vor Weihnachten steht im Raum. Bislang ist eine neue Ministerpräsidentenkonferenz für den 4. Januar geplant.

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