"Renate Gabor geht es schlecht". Mit diesem Satz beginnt Giulia Beckers Debütroman "Das Leben ist eins der härtesten". Und Renate Gabor geht es so richtig schlecht, denn ihre geliebte Hündin Mandarine Schatzi ist tot. Erstickt in einer Punica-Flasche. Gleich zu Beginn des Buches liegen Witz und Trauer nah beieinander.
Die Geschichte folgt in einzelnen Episoden: Renate, Silke, Frau Goebel, deren Vornamen man nicht erfährt, und Willy-Martin. Die vier haben, wie jeder Mensch, ihr Päckchen zu tragen. Neben dem Ableben von Mandarine Schatzi hat Renate noch ganz andere Sorgen: eine Internetbekannschaft - ein attraktiver, junger Arzt - treibt sie fast in den Ruin. Und auch ihre Leidenschaft fürs Teleshopping wird ihr langsam zum Verhängnis. Gerade wegen dieser Schwächen ist Renate ein liebenswerter Charakter, der durch Tollpatschigkeit immer wieder für sehr lustige Momente in der Geschichte sorgt.
Renates Freundin Silke ist eine aufopfernde, gute Seele. Sie arbeitet in einer Bahnhofsmission, ist geschieden und lebt in sehr ärmlichen Verhältnissen, weil sie immer noch für einen ziemlich extremen Fehler aus ihrer Vergangenheit abbezahlt. Der hat etwas mit einem Zug und einer Panikattacke zu tun. Doch Silke will sich davon nicht unterkriegen lassen und gibt ihr Bestes, um wieder auf die Beine zu kommen. Ausgerechnet jetzt braucht ein Freund von ihr, ein Obdachloser, den sie aus der Bahnhofsmission kennt, dringend Geld für eine Krebsbehandlung. Und Silke versucht alles, um ihm zu helfen.
"Silkes teilweise schon ungesunde Aufopferungsbereitschaft erinnert mich an viele Frauen, die ich kenne", erzählt Giulia Becker n-tv.de. Es sei für sie als Autorin herausfordernd gewesen, Silke beim Schreiben nicht mehr von dem Glück zuteilwerden zu lassen, das sie eigentlich verdiene. "Aber auch außerhalb meines Romans ist es nun mal so, wie es ist: Die Silkes dieser Welt ziehen den Kürzeren, das braucht man gar nicht erst zu romantisieren", erklärt die 28-Jährige.
Liebevoll kümmert sich Silke um ihre Nachbarin Frau Goebel, die sich sicher ist, sehr bald zu sterben. Die alte Dame isst kaum etwas und schläft viel. Frau Goebel versteckt etwa Lebensmittel in Blumentöpfen, um Diskussionen über ihr Essverhalten mit Silke zu vermeiden. Doch die durchschaut ihr Spiel und beginnt, sich ernsthaft Sorgen zu machen.
Und dann ist da noch Willy-Martin. Er arbeitet in einem Taubenschlag und lernt über ein Online-Würfelspiel eine Frau kennen, die plötzlich samt Hund vor seiner Tür steht. Wäre Willy-Martin nicht Hunden gegenüber äußerst negativ eingestellt, hätte diese Liebe vielleicht eine Chance. Doch der Hund und die burschikose Frau dazu, die dem Tier bedeutend mehr Aufmerksamkeit schenkt als Willy-Martin, sind einfach zu viel für ihn. Das Problem ist nur: Die Frau und ihr Monstrum von einem Hund wollen einfach nicht mehr gehen.
Aus verschiedenen Gründen kommen Renate, Willy-Martin und Silke am Küchentisch von Frau Goebel zusammen. Nach anfänglichem Zögern öffnen sie sich nach und nach voreinander und packen ihre Probleme offen auf den Tisch. Das von Frau Goebel mit ihrem nahenden Tod ist das schwerwiegendste. Also beschließen die drei, ihr einen letzten Wunsch zu erfüllen. Sie fliehen ins brandenburgische Tropical Islands - vor den Verpflichtungen, den Sorgen, vor dem alltäglichen Leben. Becker, die selbst noch nie im Tropical Islands war, hat sich anhand eines Online-Lageplans die Route ausgedacht, die ihre vier Protagonisten zurücklegen. "Das Tropical Islands verspricht den vieren Eskapismus, das Vergessen ihrer Probleme und Entspannung auf Knopfdruck. Ich finde, das ist ein faszinierender Ort", erzählt sie n-tv.de.
Giulia Becker hat einen Roman geschrieben, der sich mit jener Art von Problemen befasst, die ihren Ursprung in der Vergangenheit haben. Ob Renate, Silke, Frau Goebel oder Willy-Martin - sie alle sind geworden, was ihre persönliche Geschichte aus ihnen gemacht hat. Und dann ist da auch noch auf unendlich vielen Seiten des Romans dieser wunderbare Humor. Ob das ständige Niesen und dazu die Umdrehungen von Willy-Martin, wenn er nervös ist, oder Renates sehr freizügige Art im Tropical Islands, etwa wenn sie ihr "Kätzchen" mal an die frische Luft lassen will (da sollten die Mitarbeiter wirklich nicht so streng sein) - es ist ein unaufdringlicher Ton, der von Situationskomik geprägt ist.
Becker schreibt auch für das "Neo Magazin Royale", das spielt aber in ihrem Roman kaum eine Rolle. Vielleicht sind ihr Sinn für Timing und auch der Witz in der Geschichte davon geprägt, aber als Autorin bleibt sich Becker dennoch selbst treu und findet ihre eigene Sprache. Moderator Jan Böhmermann höchstpersönlich entdeckte sie bei Twitter, wo sie als Schwester Ewald schreibt. Schnell holte er sie in sein Autorenteam. "Ich habe dort natürlich gelernt, pointiert zu schreiben. Die komischen Passagen in meinem Buch haben davon sehr profitiert. Es war mir aber bei dem Buch wichtig, dass es, anders als in der Sendung, nicht nur lustig wird", sagt die Autorin. Der Spagat zwischen Tragik und Komik ist ihr gelungen.
Schon 2016 wurde Becker mit ihrem Song "Verdammte Scheide", den Böhmermann in seiner Sendung ausgestrahlt hatte, einem größeren Publikum bekannt. Für "Das Leben ist eins der härtesten" gewann Becker nun den Debütpreis der Litcologne 2019. Bei ihren Lesungen moderiert "Spiegel"-Kolumnistin Margarete Stokowski, ihr Buch hält Radiomoderatorin Sophie Passmann bei Instagram in die Kamera und wirbt dafür. Giulia Becker hat zweifelsfrei viele namhafte Unterstützerinnen. Braucht sie aber eigentlich gar nicht. Denn ihr Buch spricht Menschen im Herzen an. Es handelt von Verlust, Freundschaft, Liebe und am Ende einfach vier unterschiedlichen Persönlichkeiten, die versuchen, mit dem Leben zurechtzukommen. "Ich gehe mit sehr offenen Augen durch den Alltag, bin empfänglich und sehr sensibel für Zwischenmenschliches, für die kleinen Nuancen in Blicken, Sätzen, Gesten", erzählt sie. "Ich mag es, mir die Geschichten hinter den Personen auszumalen, die mir im Supermarkt, im Wartezimmer beim Arzt oder morgens im Bus begegnen", sagte sie n-tv.de.
So verschieden wie ihre Inspirationsquellen sind, so unterschiedlich endet die Geschichte für jede einzelne Hauptfigur. Mandarine Schatzi wird nicht das einzige zu betrauernde Geschöpf bleiben, Willy-Martin wird womöglich niemals über seine neuentdeckte, unerwiderte Liebe hinwegkommen, und vielleicht zieht Silke auch mal für sich selbst die Notbremse. Und Renate? Die bleibt am besten einfach so wunderbar verrückt, wie sie ist.
Quelle: ntv.de