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Ruaka Rising

Als Peter Njuthi Karomo ein Kind war, lauschte er dem Rascheln des Windes in den Feldern. Heute rauschen Lastwagen, Busse und Geländefahrzeuge über den Zubringer, der hinter der Hütte des 68-Jähirgen vorbei führt. In der Nachbarschaft hupen Taxifahrer, hämmern Handwerker und werben Straßenhändler. Erst als er das Radio in seinem kleinen Wohnraum aufdreht, wird die Geräuschkulisse verdrängt.

Peter setzt sich auf die abgewetzte Couch, zündet sich seine Morgenzigarette an und wartet auf seine Frau, die draußen an der Feuerstelle den Tee zubereitet. „Du kannst die damaligen Zeiten nicht mit heute vergleichen", dröhnt seine tiefe, freundliche Stimme: „Urbanisierung ist etwas Gutes, weil wir beginnen Geld zu verdienen".

Sein Leben lang hat Peter am selben Ort in Ruaka gelebt. Er zählt sich zu den Glücklichen in einer Zeit, in der um ihn herum Mietwohnungen und Supermärkte hochgezogen werden. Denn ihm gehört das Stück Land, auf dem er wohnt. Andere im Viertel leiden unter den steigenden Preisen und ziehen stadtauswärts. Sie machen jungen Menschen Platz, die es in Kenias Haupstadt Nairobi zu etwas Geld gebracht haben. In Ruaka wohnt die wachsende Mittelschicht Haus an Haus mit Menschen, die von weniger als einem Dollar am Tag leben. Noch.

Eine Hütte und fünf Hektar

Heute leben mehr als drei Millionen Menschen in Nairobi, einer boomenden Metropole, die im Nordwesten mit dem Viertel Ruaka endet. Als Peter in den 1950er Jahren als ältestes von zehn Kindern in einer Lehmhütte in Ruaka aufwuchs, war Nairobi eine nah gelegene Stadt mit weniger als hundert Tausend Einwohnern. Wie jeder in der Nachbarschaft besaß Peters Vater eigenes Land: fünf Hektar, auf denen seine Familie Mais, Bananen und Bohnen anbaute, sowie von Kühen, Ziegen und Hühnern lebte.

In den 1990er Jahren teilte Peters Vater das Land an die Kinder auf. Auf seinen 0,75 Hektar ließ Peter seine Wellblechhütte errichten, in der er und sein Frau ihre fünf Kinder groß zogen. „Wir konnten nicht mehr viel machen, weder Kaffee anbauen noch viele Tiere halten", erinnert sich Peter. Und so begann er sich zu seinem Job in der Stadtverwaltung etwas hinzuzuverdienen: Den vorderen Teil seines Grundstücks, der zu einer kleinen, holprigen Piste führt, verpachtete er. Ein paar kleine Geschäfte und ein Friseursalon reihen sich dort auch heute noch nebeneinander.

In einstöckigen Backsteinhäusern hinter dem Eingangstor leben unter anderem Kinder von ihm. Die älteste Tochter wohnt noch mit in der alten Wellblechhütte, vor der Peters Ziegen gemächlich Essensreste futtern. Immer wieder würden Investoren ihm Offerten unterbreiten, um ihm das Grundstück abzukaufen: damals für umgerechnet weniger als 6000 Euro; heute für bis zu 600 000 Euro, sagt Peter.

Die Mittelschicht will Wifi

Ähnlich wie bereits schräg gegenüber und nebenan von Peters Hütte, wollen sie weitere mehrstöckige Mietshäuser hochziehen. Die Angebote schlägt er stets aus. Das Geld aus der Pacht reiche ihm. „Ich investiere es", sagt Peter: „In die Bildung meiner Kinder, in Häuser für sie und in Essen". Er frotzelt über Bekannte, die das schnell verdiente Geld genauso schnell wieder „für Frauen und Alkohol" verprasst hätten.

Ian Tafadzwa Gosa, in Simbabwe geboren, ist Teil jener jungen Mittelschicht, die in Peters Nachbarschaft zieht. Der Freiberufler unterstützt unter anderem Behörden bei der Beschaffung von neuem Equipment. Die kenianische Frau des 31-Jährigen ist Rechtsanwältin. Vor zwei Jahren zogen sie mit ihrem neugeborenen Baby nach Ruaka. „Ich kam frisch von der Uni und wollte mit meinem Leben durchstarten und etwas eigenes schaffen", sagt er. Für die Zweizimmer-Wohnung zahlt er keine 200 Euro im Monat, etwa ein Drittel weniger als in vergleichbaren Vierteln.

Sie leben im zweiten Stock des eingezäunten Gebäudekomplex - mit Wifi, Flachbildfernseher und Nanny, die sich regelmäßig um die Tochter kümmert. Nur drei Minuten brauchen sie mit ihrem Auto in das Zentrum Ruakas, wo drei moderne Supermärkte in Sichtweite voneinander um Kunden buhlen. Nach wie vor tummeln sich die Händler auf der Straße, um Obst, Gemüse und Kleidung zu verkaufen. Nach weiteren zwei Minuten Autofahrt stadteinwärts führt ein Abzweigung zum Two Rivers: Kenias größter Shoppingmall, die Anfang 2017 eröffnet wurde.

Gentrifizierung im Galopp

„Ruaka zieht die obere Mittelschicht an, Menschen mit Geld", sagt Ian und führt Geschäftsleute, UN-Mitarbeiter und Besserverdiener im Staatsdienst an. „Das Problem mit der Gentrifizierung ist, dass viele Leute sich die Mieten nicht mehr leisten können und aus ihrer Nachbarschaft vertrieben werden", hat er beobachtet.

Ian ist ein Neuankömmling in Ruaka. Dennoch kennt er bereits die Probleme im Viertel. Er ist der Trainer des FC Ruaka, des lokalen Fußballvereins, bei dem Sportler aus allen Gesellschaftsschichten mit kicken. „Für manche der Jungs müssen wir die Mitgliedsbeiträge übernehmen, weil sie sich das nicht leisten können", sagt er über die umgerechnet 40 Euro Cent, die in der Woche anstehen. Schon bei geringen Mieterhöhungen müssten sie in arme Vororte ausweichen - und dort unter der schlechten Infrastruktur und hohen Transportkosten leiden, so Ian.

Von dem urbanen Leben Ruakas profitiere jedoch nicht nur die Mittelschicht. „Das Geld lockt natürlich auch Kriminelle an", sagt Ian über die sogenannten Mungiki, Straßengangs, die nachts Menschen ausrauben, einbrechen - und manchmal auch töten.

Alles beim Alten

Auch Peter sorgt sich um die wachsende Kriminalität, auch wenn der 68-Jährige selbst noch nicht Opfer wurde. „Wir haben uns organisiert", sagt er. „Die Jüngeren des Viertels patrouillieren nachts mit der Polizei, um für Sicherheit zu sorgen". Noch gibt es sie, die Solidarität in dem Viertel Nairobis, in dem sich vieles so rasant ändert - und manches doch beim Alten bleibt.

Als Peter seine Tasse Tee bereits halb leer getrunken hat, betritt seine Frau das schlicht eingerichtete Wohnzimmer, um das Frühstück zu servieren: in der Pfanne gebratene Eier. Die im Hinterhof fröhlich gackernden Hühner haben sie am Morgen gelegt.

Text, Fotos, V.i.S.d.P.: Jonas Gerding

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