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Rechtsextreme Jugendkultur

Knapp 150 Menschen drängen sich in dem winzigen Raum. Fast ausschließlich junge Männer sind es, die dicht vor der Bühne stehen. Sie sehen aus, als wären sie Statisten im Musikvideo einer populären Rockband. Piercings, Kapuzenjacken, Basecaps, Tattoos und die aus amerikanischen Gettos entlehnten Bandana-Kopftücher bestimmen das Bild. Allein die schwarz-weiß-rote Fahne an der Bühnenrückwand lässt erkennen, dass es sich nicht um den Auftritt einer x-beliebigen Hardcoreband handelt, sondern um ein Konzert der militanten Neonazi-Szene.


Mit dem Mikrofon in der Hand steht René Weiße aus dem thüringischen Altenburg vor der Menge. Seine Arme sind bis zu den Handgelenken mit bunten Tätowierungen übersät, er trägt Koteletten und hat große Löcher in den Ohren. Seine Nazi-Band Brainwash spielt den selbst ernannten Stil „National Socialist Hardcore". Extrem schnelles Schlagzeug, harte Riffs und bis zur Unverständlichkeit geschriene Texte in englischer Sprache kennzeichnen diese Musik. Es ist der Soundtrack einer neuen Generation von Rechtsextremisten, die mit der Monokultur der rechten Skinheads nur noch wenig zu tun haben. Die neuen Nazis setzen viel Energie daran, als dynamisch, modern und cool wahrgenommen zu werden. Mit der vorgetäuschten Offenheit fällt es ihnen leichter, Jugendliche zu rekrutieren - ein Trend, der sich längst in der ganzen Szene durchgesetzt hat.


Die alten Bilder von Glatzköpfen mit Springerstiefeln und Baseballschlägern, die viele Medien noch immer heranziehen, wenn sie über Neonazis berichten, haben heute kaum noch etwas mit der Realität zu tun. Der martialische Skinhead-Kult mit seinen strengen Dogmen oder die uniformierten Braunhemden der Wiking- Jugend sprechen heute kaum noch Jugendliche an. Richtige Nazi-Skinheads sucht man bei rechtsextremen Aufmärschen inzwischen meist vergeblich. Modisch hat sich die rechtsextreme Szene in den vergangenen Jahren komplett gewandelt. Viele Neonazis sind an ihrem Äußeren kaum noch zu erkennen. Nur Eingeweihte können die Codes und Symbole auf ihren Buttons und T-Shirts entschlüsseln. An der rechtsextremen Ideologie, dem Hass auf Flüchtlinge, Juden und die Demokratie, hat sich jedoch nichts geändert, das alles wird jetzt nur anders verpackt. „Die jungen Neonazis suchen nach kulturellen Abgrenzungsmöglichkeiten gegen ihre als altbacken und klischeebeladen empfundenen Vorgänger", sagt der Politikwissenschaftler Christoph Schulze, der die Entwicklung der Szene seit Jahren beobachtet. „Sie wollen Zugang zu den Jugendszenen haben - das geht nur in einer frischen, unverbrauchten Verpackung."


Maßgeblich verantwortlich für das neue Auftreten sind die sogenannten Autonomen Nationalisten (siehe auch Seite 10). Dabei handelt es sich um eine Strömung von jungen, erlebnisorientierten und äußerst gewaltbereiten Nachwuchsnazis. Sie tauchten 2003 erstmals in Berlin und Dortmund auf. Als schwarzen Block mit Sonnenbrillen, Kapuzenjacken und Handschuhen inszenieren sie sich seither bei Nazi-Aufmärschen. Sie nutzen bewusst den Kleidungsstil, der bislang nur bei linken Autonomen zu sehen war. Es geht darum, zu provozieren und gleichzeitig ein popkulturelles Element zu etablieren, das auch bei nicht rechtsextremen Jugendlichen attraktiv ist. Bald tauchten Rechtsextremisten mit Che-Guevara-T-Shirts auf; die alten Transparente mit Frakturschrift wurden durch moderne Streetart-Motive und englischsprachige Parolen ersetzt. Über die Lautsprecherwagen liefen jetzt Lieder von Wir sind Helden und den Ärzten anstelle des dumpfen Rechtsrocks. Dass Che Guevara Kommunist war und Wir sind Helden genau wie die Ärzte erklärte Nazi-Gegner sind, wird einfach ausgeblendet.


Kapuzenpulli statt arischem Scheitel? Das finden dann doch einige ganz schön „entartet" und „undeutsch"

Bei älteren Rechtsextremisten stieß das Auftreten der Autonomen Nationalisten anfangs auf harte Kritik. Als „undeutsch" und „entartet" empfanden einige die Abkehr von arischem Scheitel und völkischem Kitsch. Doch der offen ausgetragene Generationskonflikt innerhalb der Szene verschaffte den Autonomen Nationalisten weiteren Zulauf. Es dauerte nicht lange, bis sich auch der Rest der Szene mit dem Konzept anfreundete oder es zumindest duldete. Was vor neun Jahren als urbanes Phänomen einer kleinen Gruppe begann, hat sich heute als wichtiger und am schnellsten wachsender Teil des Spektrums etabliert. Der Verfassungsschutz geht derzeit davon aus, dass rund 20 Prozent der gesamten gewaltbereiten Szene den Autonomen Nationalisten zuzurechnen sind, Tendenz steigend.


Am stärksten profitiert hat von der Moderevolution des rechtsextremen Spektrums vermutlich die Marke Thor Steinar aus Brandenburg. Schon 2002 wurde Thor Steinar beim Markenamt eingetragen. Im Unterschied zu Marken wie Lonsdale oder Fred Perry, die aus normalen Sportgeschäften stammen und in den 90er-Jahren von Rechtsextremen vereinnahmt wurden, gab es Thor Steinar anfangs fast ausschließlich bei einschlägigen Nazi-Läden und Versandhäusern zu kaufen. Mit germanischen Runen, völkischer Symbolik und zweideutigen Motiven, wie „Weidmanns Heil" oder „Hausbesuche" mit einem Maschinengewehr darunter, machte sich die Marke schnell in der rechtsextremen Szene beliebt. Zwischenzeitlich war das Runenlogo aufgrund der Ähnlichkeit mit Symbolen aus dem Nationalsozialismus verboten. Die Polizei stellte Tausende T-Shirts und Pullover von Thor Steinar sicher, bis ein Gericht das Verbot wieder aufhob. Inzwischen ist Thor Steinar im Mainstream angekommen. Der Käuferkreis erstreckt sich weit über die rechtsextreme Szene hinaus. Allein 2006 machte die Marke einen Jahresumsatz von zwei Millionen Euro. Selbst als kurzzeitig ein arabischer Investor bei der Firma einstieg, änderte das nichts am Kultstatus der Runenklamotten.

Die Geschäftsleute aus dem rechtsextremen Milieu haben schnell erkannt, dass mit der neuen Kundschaft viel Geld zu machen ist. Während Thor Steinar offiziell stets betont, das Unternehmen sei völlig unpolitisch, gibt es mittlerweile mehrere Konkurrenzmarken, die sich offen an Neonazis ranschmeißen. „Die neue Nazi-Mode hat einen Markt hervorgebracht, der etliche szenenahe kleine und mittelständische Unternehmen über Wasser hält", sagt Schulze. „Wer will, bekommt brachiale Bekenntnisse zum Nationalsozialismus, für Zögernde gibt es zweideutige Marken."


Ansgar Aryan aus Thüringen verbindet beispielsweise moderne Surfer-Designs mit offensiven Bezügen zum historischen Nationalsozialismus. Eine ganze Kollektion „Weapons" ist mit Schusswaffen der SS bedruckt. Ein anderes Motiv zeigt einen Wehrmachtspanzer mit dem Spruch „Nach Frankreich fahren wir nur auf Ketten" als zynische Verherrlichung des Zweiten Weltkrieges. Brainwash-Sänger Weiße hingegen setzt lieber auf das Spiel mit uneindeutigen Motiven. 2009 gründete er die Nazi-Marke Dryve By Suizhyde. Anfangs begann er, dilettantisch Motive bekannter Rockbands zu kopieren und mit eigenen Schriftzügen zu versehen. Selbst die Modelfotos für den ersten Katalog übernahm er wohl einfach von der Webseite eines linken Hardcore-Versands. Inzwischen tritt die Marke aber immer professioneller auf. Die Motive sind kaum von denen bekannter Skatemarken oder Band- T-Shirts zu unterscheiden. Offene Bekenntnisse zum Nationalsozialismus sucht man in den verschnörkelten Designs mit den grellen Farben vergeblich.


In der rechtsextremen Szene gibt es etliche Symbole und Codes. Mal wird auf den Nationalsozialismus Bezug genommen, mal auf die germanische Mythologie. Im fluter-Heft zum Thema „Nazis" ist dazu das Schaubild „Elements of crime" erschienen. Hier kannst du es dir runterladen:
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