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In der Schweizer Ruhe liegt die Kraft

Bild: imago images / Matthias Koch

Der Traum vom ersten Bundesliga-Aufstieg lebt. Union Berlin hat den Relegationsplatz praktisch sicher - und sogar Platz zwei ist noch drin. Dass es am Ende reichen könnte, liegt auch am Trainer. Er könnte ohne Spektakel das Spektakuläre schaffen. Von Johannes Mohren

Sie hüpften vor der Kurve. Und die sang aus vollem Herzen. Viele Stimmen, eine Wand in Rot und Weiß. Begeistert - ja: euphorisiert von ihrem Team. Von Grischa Prömel, der mit dem 1:0 für den ersten emotionalen Ausbruch unter den 22.012 Zuschauer gesorgt hatte - außer bei denen natürlich, die es mit Magdeburg hielten. Von Sebastian Polter, der einen Doppelpack nachgelegt hatte. Und von all den anderen. Von ihrer Liebe Eisern Union. Sie riskierten kratzige Stimmen am nächsten Morgen, um diejenigen zu würdigen, die ihren Verein einen Spieltag vor Schluss so nah wie noch nie zuvor an die Bundesliga gebracht hatten.

Spürbar anders

Rang drei und zwei Relegationsspiele gegen den VfB Stuttgart sind Union bei drei Punkten und 21 Toren Vorsprung auf den Tabellenvierten nicht mehr zu nehmen. Der Hamburger SV - mit sehr großem Geld und sehr großem Namen - ist geschlagen. Der SC Paderborn auf dem zweiten und damit dem direkten Aufstiegsplatz nur einen mickrigen Punkt entfernt. Dieses Mal ist Historisches wirklich möglich. Anders als die anderen Male, als die Berliner sich auch auf einem guten Weg wähnten, ehe sie doch mal früher, mal später scheiterten.


Auf der Suche nach Gründen für den freilich noch unvollendeten Erfolg landet man fast zwangsläufig bei einem, der in diesen Feier-Momenten nicht im Vordergrund auftaucht. Bei einem, der das Rauschhafte ermöglicht - und das wohl auch, weil ihm selbst die Ruhe weitaus näher liegt. Dem Schweizer an der Seitenlinie der Berliner: Urs Fischer. 

Kein Spektakel, aber Erfolg

Das zeigt sich auf dem Platz. Spektakel gibt es bei Union unter dem 53-Jährigen selten, Ordnung dafür fast immer. Die Köpenicker haben 52 Tore geschossen (über 20 weniger als Paderborn, über 30 weniger als Köln), dafür aber auch nur 31 kassiert. Das sind mit weitem Abstand die wenigsten der Liga. Auch Magdeburg scheiterte - relativ hoffnungslos - an der Berliner Abwehr, die sich längst den Namen Bollwerk verdient hat. Union selbst machte derweil aus seinen wenigen Chancen viel. "Wir waren sehr effizient", sagte Fischer selbst.

Das ist und war nicht immer sexy. Nicht selten bekamen Erfolge - und das nicht immer zu Unrecht - den Stempel Arbeitssieg aufgedrückt. Drei Punkte gab es für sie trotzdem. Bei seinem vormaligen Arbeitgeber, dem verwöhnten Schweizer Serienmeister aus Basel, musste Fischer das ein ums andere Mal Kritik einstecken, weil Medien ihm Angsthasen-Fußball vorwarfen. Verstehen konnte er das nicht. In Köpenick stimmte hingegen gleich die Wellenlänge. Der bodenständige Typ, er passt an die Alte Försterei. Und er formte trotz großen personellen Umbruchs binnen kürzester Zeit ein Spitzenteam, das scheinbar per se nicht mehr verlieren konnte. Die Ungeschlagen-Serie von 18 Spielen zu Beginn der Saison ist noch frisch in Erinnerung.


Sprüche? Nicht von Fischer!

Noch auffälliger ist die Ruhe neben dem Platz. Fischer wirkt ausgeglichen - kurz nach Siegen ebenso wie nach Niederlagen. Weder Überschwang noch Panik gibt es beim Schweizer in den Interviews zu hören. Sachlichkeit first, Emotionen second. So auch an diesem Sonntagnachmittag, als das Stadion noch Minuten nach Schlusspfiff nachbebte - während der 53-Jährige schon wieder gewohnt besonnen analysierte. Mit seinem schweizerischen Dialekt, in dem schon das Sprechtempo für Entschleunigung sorgt. Wer auf Pressekonferenzen kernige Sprüche hören will, fährt in aller Regel am besten nicht in den Osten Berlins. Bei den Entertainer-Qualitäten haben andere aus der Trainerzunft Vorsprung.

Wenige sind jedoch aktuell erfolgreicher in ihrem Hauptgeschäft. In Zeiten kleinerer Krisen zahlte sich Fischers Art bereits aus. Als Union zwischen dem 25. und 29. Spieltag über fünf Partien plötzlich gänzlich ohne Sieg blieb, kamen Erinnerungen hoch. Vom Aufstiegstrauma war die Rede. Urs Fischer blieb cool, ließ sich seine Ruhe nicht nehmen. Es hatte gefühlte Signalwirkung im ganzen Verein und Umfeld. Nervöse Zuckungen wie in anderen Klubs in solchen Phasen üblich? Fehlanzeige! Und das wurde belohnt: Nun sind die Berliner zurück.


Sieg soll "Energien freisetzen"

Möglich war das nur, weil die Konkurrenz ebenfalls schwächelte. Das ist auch Teil der Wahrheit. Es ist ein ewiges Schneckenrennen im Aufstiegskampf. Ein statistisches Indiz: Als Union vor zwei Jahren - damals unter Coach Jens Keller - knapp scheiterte, hatten sie als Tabellenvierter nach 34 Spieltagen 60 Punkte auf der Haben-Seite. Diese Marke können sie in dieser Saison mit derzeit 56 Zählern bereits nicht mehr erreichen. Der direkte Aufstieg ist dennoch weiterhin möglich.

Dafür müsste freilich alles passen. "Ich hoffe, dass dieser Sieg noch einmal Energien freisetzt", sagte Fischer nach der Partie gegen Magdeburg. Er weiß, dass sein Team nicht alleine in der Hand hat, auf welchem Platz die Saison endet. Gewinnt Paderborn am letzten Spieltag in Dresden, ist der Gang in Liga eins ohne den steinigen Umweg Relegation für die Köpenicker unerreichbar - egal, wie das eigene Spiel in Bochum ausgeht (19.05., 15:30 Uhr).


Mit 5.000 Fans nach Bochum

"Du kannst deine eigenen Aufgaben erfüllen. Und das wird schwer genug", sagte er. Spiel für Spiel denken, den nächsten Gegner nie unterschätzen. Das klingt erst einmal ganz schön floskelig. Aber diese Tugenden zeichnen eben auch das Union Berlin unter Urs Fischer aus, das sich womöglich schon im Ruhrpott zum Aufsteiger krönen kann. Dann gäbe es wohl mit über 5.000 Fans eine Auswärtsparty in Rot und Weiß. Es wäre ein Spektakel, dem sich dann auch der Trainer nicht entziehen könnte. Wenn das Erfolgsrezept Ruhe endgültig im Rausch endet.

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