Im Dorf Schnellroda in Sachsen-Anhalt kommt mehrmals im Jahr der Nachwuchs der deutschen Neuen Rechten zusammen. Seit 19 Jahren lädt das Institut für Staatspolitik (IfS), eine neurechte Denkfabrik, zur Akademie ein, bis zu viermal pro Jahr. So auch dieses Wochenende. Seit Freitag kamen 130 junge Rechte in die Gaststätte Schäfchen, das einzige Restaurant in dem 50 Kilometer westlich von Leipzig gelegenen Ort. Das Ziel ist es, die rechtsintellektuelle Elite zu formen. Das Thema der Winterakademie 2019 lautet schlicht "Volk".
Und die Akademie bekam dieses Jahr prominenten Besuch: AfD-Bundesvorsitzender Alexander Gauland hielt einen Vortrag zum Thema "Populismus und Demokratie". Insgesamt waren drei Abgeordnete der Partei vor Ort: Neben Gauland kamen auch Björn Höcke, AfD-Vorsitzender in Thüringen, und Andreas Kalbitz, Vorsitzender der AfD in Brandenburg. Der sächsische Europawahlkandidat der AfD, Maximilian Krah, sollte neben Gauland den zweiten Vortrag an diesem Wochenende halten. Und AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen war bereits im Sommer da.
Dass AfD-Politiker bei den Akademien zu Gast sind, ist nicht neu - sie treten bereits seit 2015 immer wieder als Redner auf. Und der Geschäftsführer des Instituts, Erik Lehnert, arbeitet für einen AfD-Abgeordneten. Zum ersten Mal gibt es eine Partei im , deren ideologischer Unterbau zumindest in Teilen in Schnellroda entwickelt wird.
Doch dieses Mal ist etwas anders. Denn vor vier Tagen hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die Partei zum "Prüffall" erklärt. Es untersucht, ob es die Partei überwachen sollte. Und trotzdem kommt Gauland zur Winterakademie. Warum tut er das?
Gaulands Agenda ist nicht klarEs ist nicht das erste Mal, dass Alexander Gauland zu den rechten Rändern seiner Partei und darüber hinaus unterwegs ist. Als bekannt wurde, dass der Verfassungsschutz den niedersächsischen und Bremer Landesverband der AfD-Jugendorganisation Junge Alternative (JA) beobachtet, fuhr Gauland zu deren Bundeskongress. Gauland ist auch regelmäßiger Gast beim sogenannten Kyffhäusertreffen des rechtsnationalen Flügels seiner Partei, dem er ebenfalls zugerechnet wird.
Vor beiden Gruppierungen, die als die radikalsten in der Partei gelten, hielt er skandalträchtige Reden. Beim Bundeskongress der JA sprach er davon, die NS-Zeit sei ein "Vogelschiss in der Geschichte", beim Kyffhäusertreffen verlangte er, einen "Schlussstrich" unter die NS-Vergangenheit zu ziehen.
Doch Gauland gibt sich auch gemäßigt - denn als Parteivorsitzender muss er die zusammenhalten. Bei JA-Bundeskongress sprach er sich deshalb auch für einen Ausschluss des niedersächsischen Landesverbandes der JA aus. Sie soll "erheblich und vorsätzlich gegen die Bundessatzung, gegen die Ordnung des Verbandes sowie gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik verstoßen haben", wie es vom JA-Bundesvorstand hieß.
Die AfD versucht offiziell, sich nach rechts abzugrenzen. Im Herbst hatte die Partei eine "Arbeitsgruppe Verfassungsschutz" eingesetzt, um die drohende Beobachtung durch das Bundesamt abzuwenden. Jörg Meuthen sagte, er habe danach mehrere Mitglieder dazu bewegt, die Partei zu verlassen. Um welche es sich konkret handelt, wurde damals nicht bekannt.
Allerdings führte das
Gutachten der Arbeitsgruppe zu Veränderungen in der Partei: Im
Kreisverband Zwickau trat die Kreisvorsitzende Janin Klatt-Eberle zurück. Sie war
zuvor wegen ihrer Nähe zu Pegida kritisiert worden. In
Niedersachsen wurde der ganze Landesverband der
AfD-Jugendorganisation aufgelöst. In
Sachsen-Anhalt verließ der frühere Landesvorsitzende André
Poggenburg die Partei, in Schleswig-Holstein wurde die Landeschefin
Doris von Sayn-Wittgenstein von allen Ämtern ausgeschlossen, bis ihr Parteiausschlussverfahren geklärt ist.
Sie hatte sich für den
antisemitischen Verein Gedächtnisstätte e.V. engagiert. Der Verein steht
auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD. Mitgliedern der dort
genannten
Organisationen ist es nicht erlaubt, in die AfD einzutreten.
Kontakt zu Gruppen auf der Unvereinbarkeitsliste
Trotzdem suchen zahlreiche Personen der Partei regelmäßig Kontakt zu Gruppen von dieser Liste. Besonders groß sind die Überschneidungen zur vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung (IB). Zwar wurde im Juni 2016 vom AfD-Vorstand beschlossen, dass es mit der IB keine Zusammenarbeit geben dürfe – doch vor allem Mitglieder der Jungen Alternative nahmen immer wieder an Aktionen der extrem rechten Truppe teil. Dies führt jedoch nur unter besonderen Umständen zu einem Parteiausschluss: Der Berliner JA-Schatzmeister Jannik Brämer musste die Partei verlassen – aber erst nachdem er als Fahrer bei einer IB-Aktion vor dem Bundestag fast einen Polizisten umgefahren hatte und danach von der Polizei per Haftbefehl gesucht worden war.
Der frühere mecklenburg-vorpommersche Landtagsabgeordnete Holger Arppe beschäftigte bis zu seinem Rücktritt im August 2017 ein Mitglied der IB als Mitarbeiter. Und als sich Anfang September 2018 in Chemnitz die gesamte deutsche Rechte traf, marschierten zahlreiche AfD-Abgeordnete demonstrativ an der Seite der Dresdner Pegida-Führung, obwohl 2016 das Bundesschiedsgericht der AfD entschied, dass keine AfD-Symbolik bei den wöchentlichen Märschen in Dresden gezeigt werden dürfe. Auf anderen "Gida"-Veranstaltungen dürfen laut dem Gericht Vertreter der Partei gar nicht auftreten.
Und obwohl die AfD
nach den Aufmärschen in Chemnitz über die eigene Verortung diskutiert
hatte, verteilte bei der Europawahlversammlung der AfD am 14. Januar der
Pro-Chemnitz-Akteur Arthur Österle Stimmzettel an die Delegierten und
arbeitete als Ordner. Auch Pro Chemnitz
steht auf der Unvereinbarkeitsliste. Am 1. Mai 2018 hatte Österle
noch an einem Aufmarsch der neonazistischen Partei Der III. Weg
teilgenommen.
Die Parteirechte baut ihre Macht aus
Das
IfS, das die Winterakademie organisiert, grenzt sich nicht nach rechts
ab. So hat etwa Arne Schimmer mehrfach an den Akademien teilgenommen. Er
war von 2009 bis 2014
NPD-Abgeordneter im Sächsischen Landtag und soll einer taz-Recherche zufolge
während seiner Mandatszeit für Götz Kubitscheks Zeitschrift Sezession
geschrieben haben.
In den
vergangenen Jahren wurden die Veranstaltungen des IfS
außerdem vermehrt durch die Identitäre Bewegung mitgeprägt. Martin
Sellner, Chef des österreichischen Ablegers, hielt mehrere Reden, seine
Kameraden postierten sich demonstrativ vor dem
Veranstaltungsort, und auch in diesem Jahr waren Kader der Identitären
in Schnellroda.
Eine wichtige Funktion beim IfS nimmt der 31-jährige Benedikt Kaiser mit seinen regelmäßigen Akademievorträgen ein. Er ist heute Autor und Lektor in Schnellroda; während seiner Studentenzeit in Chemnitz war er im engen Umfeld der Nationalen Sozialisten Chemnitz aktiv. Heute verknüpft er gemeinsam mit Philip Stein, dem Chef der rechten Organisation Ein Prozent, die soziale Frage mit neurechter Politik.
Alexander Gauland stört all das offensichtlich nicht, trotz der Prüfung durch den Verfassungsschutz. Das zeigt, dass der rechte AfD-Rand in den vergangenen Monaten seine Macht ausgebaut hat: Einen Schulterschluss mit der außerparlamentarischen extremen Rechten hat es längst gegeben. Es überrascht daher nicht, dass Gauland bei extrem rechten Organisationen wie dem IfS auftritt. Und wenn ausgerechnet einer der AfD-Chefs die selbst auferlegten Regeln bricht, zeigt das vor allem, dass die moderaten Kräfte, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz abwenden wollen, schwach sind.
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