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Betrug am Bau

Es hätte ein wegweisendes Urteil werden können, doch die Richter vom Bundesarbeitsgericht wollten lieber keine ausgetretenen Pfade verlassen. Stattdessen urteilten sie am Mittwoch, dass zwei Arbeiter, die vor fünf Jahren auf der Baustelle der Mall of Berlin um ihren Lohn geprellt worden waren, diesen nicht vom Investor des riesigen Shoppingcenters in der Hauptstadt einfordern können. Verloren waren die vergangenen fünf Jahre aber nicht, in denen die Arbeiter - anfangs noch 30, dann sieben, zuletzt nur noch zwei - gemeinsam mit der Basisgewerkschaft FAU um ihren Lohn gekämpft hatten. Das stellte Tinet Ergazina klar, die den Fall der "Mall of Shame" seitens der FAU von Anfang an begleitet hatte. Der langanhaltende Protest habe andere von Lohnausbeutung Betroffene ermutigt, sich zu wehren.

Dass Bauarbeiter nicht bezahlt werden, zu wenig Geld bekommen oder in illegalisierte Arbeitsverhältnisse gedrängt werden, ist ein gängiges Phänomen auf deutschen Baustellen. Oft trifft es Ausländer, die wegen mangelnder Sprach- und Rechtskenntnisse leichter auszubeuten sind. Ein kleiner Ausschnitt: 4047 Menschen wandten sich 2018 an die Beratungsstelle "Faire Mobilität" des DGB, die Arbeitnehmer aus den mittel- und osteuropäischen EU-Staaten unterstützt. Nach der Transport- und Logistikbranche waren die meisten der Ratsuchenden (922) im Bausektor beschäftigt. Mit Abstand die größte Anzahl aller (3024) kam wegen ausbleibender oder zu geringer Löhne.

Die meisten Betroffenen wenden sich jedoch nicht an Beratungsstellen. Weil sie nicht wissen, dass diese existieren, nicht darauf vertrauen, tatsächlich Hilfe zu erhalten, oder weil sie längst zurück in ihr Heimatland gereist sind. Deshalb kann angenommen werden, dass Lohnbetrug noch weit häufiger vorkommt. Schließlich kommen pro Jahr rund 400 000 sogenannte entsandte Beschäftigte nach Deutschland, die bei Firmen im EU-Ausland angestellt sind. 200 000 von ihnen arbeiten auf dem Bau. Hinzu kommen etliche EU-Bürger, die direkt bei in Deutschland gemeldeten Firmen beschäftigt sind. Sie machen einen erheblichen Anteil der 890 000 Beschäftigten im sogenannten Bauhauptgewerbe aus, also jenen, die direkt auf der Baustelle zu tun haben.

Es ist üblich und teils auch notwendig, auf großen Baustellen mit Subunternehmen zu arbeiten. Das war auch bei der Mall of Berlin der Fall. Die Gläubigerliste der Firma FCL, die Generalunternehmer der Mall of Berlin war, bevor sie kurz nach Fertigstellung Insolvenz anmeldete, gibt einen guten Überblick darüber, welche kleineren und größeren Firmen an einer Baustelle beteiligt sind: Gebäudereinigung, Security, Betonbohrungen, Brandschutzarbeiten, Entsorgung von Baustoffen, Hebetechnik, Garten- und Landschaftsbau und so weiter und so fort. Die Arbeiter der Mall of Berlin, die vor dem Bundesarbeitsgericht gegen die HGHI Leipziger Platz GmbH und Co. KG geklagt hatten, führten auf der Baustelle einfache Arbeiten aus: Sie schleppten Baumaterialien und räumten Schutt und Dreck weg.

Doch Subunternehmerketten, bei denen jeder Nachunternehmer selbst einen weiteren Nachunternehmer beauftragt, machen es jedem einzelnen Unternehmen auch leichter, sich vor Verantwortung zu drücken. Der eine will gar nicht der Auftraggeber gewesen sein, der nächste meldet Insolvenz an, der dritte muss per Gesetz nicht haftbar gemacht werden. Und je mehr Firmen aus verschiedenen Ländern an einem Projekt beteiligt sind, desto mehr Möglichkeiten des Lohn- oder Steuerbetrugs tun sich auf. Eine Auswahl.

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