Mit zahlreichen Strategien versuchen US-Unternehmen derzeit, Gewerkschaftsbeitritte ihrer Beschäftigten zu verhindern. Doch diese widersetzen sich.
New York - In Deutschland wäre es keine Meldung wert - in den USA ist es eine kleine Sensation: Die Belegschaft einer Starbucks-Filiale in Buffalo hat am Donnerstag (09.12.2021) dafür gestimmt, einer Gewerkschaft beizutreten. Damit ist das Café im US-Bundesstaat New York der erste und einzige gewerkschaftlich organisierte Standort unter den 9000 Filialen der Kaffeekette im Land. Gewerkschaftsfeindlichkeit, das so genannte „union busting" hat in den USA eine lange Tradition und auch Starbucks versuchte, den Gewerkschaftsbeitritt seiner Filiale in Buffalo zu verhindern - allerdings vergeblich.
Die Arbeitnehmer:innen setzten sich durch und hatten zuvor prominente Unterstützung aus der Politik erhalten. Zwei Tage vor der historischen Abstimmung sagte Senator Bernie Sanders (parteilos, aber in der Demokraten-Fraktion des Senats) in einer Online-Diskussionsrunde: „Starbucks ist kein armes Unternehmen. Letztes Jahr hatte Starbucks genug Geld, um seinem CEO Kevin Johnson ein Jahresgehalt von 14,7 Millionen Dollar zu zahlen. Das ist das 1.200-fache dessen, was sie ihrem durchschnittlichen Mitarbeiter zahlen." Sanders gehört zu den US-Politiker:innen, der sich zusammen mit anderen Progressiven am meisten für soziale Gerechtigkeit starkmacht. Obwohl er sich selbst als demokratischen Sozialisten bezeichnet, ist er nach deutschem Maßstab ein Sozialdemokrat.
Die USA erfahren seit Oktober eine Streikwelle, überall im Land wird in unterschiedlichen Sektoren die Arbeit niedergelegt, um den Druck auf die jeweiligen Arbeitgeber zu erhöhen - teilweise mit großer Ausdauer. Bereits seit über zwei Monaten werden alle US-Produktionswerke des Frühstücksflockenherstellers Kellogg's in mehreren Bundesstaaten bestreikt. Da die Arbeiter:innen Kellogg's Einigungsangebot ablehnten, kündigte der Konzern nun an, die etwa 1.400 streikenden Gewerkschaftsmitglieder durch neue Arbeitskräfte zu ersetzen. Daraufhin veröffentlichte das Weiße Hause am Freitag (10.12.2021) eine Erklärung von US-Präsident Joe Biden, in der er das Vorhaben von Kellogg's verurteilt. Biden sieht darin „einen existentiellen Angriff auf die Gewerkschaft, die Arbeitsplätze und den Lebensunterhalt ihrer Mitglieder".
Joe Bidens Bilanz beim Einsatz für Gewerkschaften und mehr Lohngerechtigkeit ist seit seinem Amtsantritt durchwachsen. Zwar versprach er bereits mehrfach vollmundig, der gewerkschaftsfreundlichste Präsident sein zu wollen, den das Land je gesehen habe. Allerdings hapert es bisher an der Umsetzung. Rebecca Givan, Professorin für Arbeitsmarktforschung an der Rutgers University im US-Bundesstaat New Jersey, sagte gegenüber The Guardian: „Die Unterstützung von Gewerkschaften ist für Joe Biden eine Win-Win-Situation. Damit spricht er seine Wählerbasis an und die, seiner Ansicht nach, wichtigsten Probleme unseres Landes - nicht zuletzt die wirtschaftliche Ungleichheit und es schafft eine breitere Unterstützung für Demokraten, die im ganzen Land zur Wahl stehen."
Bereits im April richtete Biden per Dekret eine Task Force ein zur Stärkung der Rechte von Arbeitnehmer:innen und gewerkschaftlicher Organisation. Dem entsprechenden Schriftstück ist zu entnehmen, dass Gewerkschaftsmitglieder in vergleichbarer Arbeitsposition rund 13 Prozent mehr verdienen als nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer:innen. Sie erleben auch erheblich weniger Verstöße gegen Arbeitsstandards, wie z. B. Vorenthaltung des Lohns durch Arbeitgeber oder Sicherheits- und Gesundheitsgefahren am Arbeitsplatz. Außerdem sind 60 Prozent der 16 Millionen Gewerkschaftsmitglieder der USA Frauen und/oder People of Color. Einer Umfrage des Gallup Instituts im September zufolge befürworten 68 Prozent der Amerikaner:innen Gewerkschaften, der höchste Wert seit mehr als 50 Jahren. Dennoch sind nur 9 Prozent der Erwachsenen Gewerkschaftsmitglieder.
Obwohl vonseiten der Politik bisher noch keine nennenswerten Ergebnisse erzielt wurden, stehen Arbeitnehmer in den USA aktiv für ihre Rechte ein und setzen Arbeitgeber unter Druck. Kürzlich wurde eine fünfwöchige Arbeitsniederlegung von circa 10.000 Arbeiter:innen beim Landmaschinenhersteller John Deere beendet, bei der 14 Niederlassungen hauptsächlich in den Bundesstaaten Iowa und Illinois bestreikt wurden. Die Mitglieder der United Auto Workers, der Automobilgewerkschaft, nahmen erst das dritte Angebot von John Deere an und anschließend ihre Arbeit wieder auf. „Die mutige Streikbereitschaft unserer Mitglieder für einen besseren Lebensstandard und einen sichereren Ruhestand führte zu einer bahnbrechenden Einigung und setzt einen neuen Standard für Arbeitnehmer nicht nur innerhalb der U.A.W. sondern im ganzen Land", sagte der Direktor der Abteilung für Landmaschinen der Gewerkschaft, Chuck Browning.
Im Gesundheitssektor hat kürzlich bereits die Androhung eines Streiks von rund 30.000 Mitarbeiter:innen ausgereicht, um einen besseren Tarifvertrag zu verhandeln. Kaiser Permanente, einer der größten US-Gesundheitsdienstleister, einigte sich kurz vor Fristablauf mit der Allianz der Gesundheitsgewerkschaften. Andernfalls hätten Krankenpfleger:innen, Apotheker:innen, Hebammen, Physiotherapeut:innen und andere Angehörige des Gesundheitssektors Streikposten errichtet. In mehreren Bundesstaaten waren Arbeitsniederlegungen geplant. Zuvor einigte man sich indes auf einen Vierjahresvertrag, der bis 2025 jedes Jahr Lohnerhöhungen vorsieht. Die Einigung umfasst auch Kranken- und Altersvorsorge sowie die Möglichkeit von Bonuszahlungen.
Da in den USA momentan ein Arbeitskräftemangel herrscht, sind die Bedingungen für Arbeitnehmer:innen, eine bessere Bezahlung und bessere Arbeitsbedingungen zu fordern günstig, ebenso wie einer Gewerkschaft beizutreten. Doch langfristig bedarf es dafür einer gesetzlichen Grundlage: Den Protecting the Right to Organize Act, kurz PRO Act (Gesetz zum Schutz des Rechts auf Gewerkschaftsgründung) - der gewerkschaftsfreundlichste Gesetzentwurf, der seit den 1930er Jahren in den Kongress eingebracht wurde. Das von den Demokraten dominierte Repräsentantenhaus hat ihn bereits im März verabschiedet, doch im Senat verhindern die oppositionellen Republikaner und die konservative demokratische Senatorin Kyrsten Sinema dessen endgültige Verabschiedung. Der PRO Act würde unter anderem einige der effektivsten Taktiken der US-Konzerne im Kampf gegen die Gewerkschaftsbildung beseitigen und Angestellten beim Bund und in den Bundesstaaten im ganzen Land das Recht auf Gewerkschaftsgründung einräumen.
Joe Biden unterstützt den PRO Act, doch um ihn zu verabschieden, müsste er sich für die Abschaffung der Filibuster Regel im Senat einsetzen und die renitente Senatorin Sinema unter Druck setzen. Dann könnte ihm das gelingen, was den Starbucks-Angestellten in Buffalo bereits gelungen ist - entgegen aller Widerstände Arbeitnehmer:innenrechte zu stärken.
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