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Ein halbes Jahrhundert Arbeit für nichts

Armut ist, wenn man sich nicht einmal mehr die Zuzahlung für notwendige Medikamente leisten kann. So ergeht es auchJoseph Waldmayer, der 51 Jahre lang als Maler schwer gearbeitet hat.

(Foto: Catherina Hess)

Joseph Waldmayer hat 51 Jahre als Maler gearbeitet, seine Frau die demenzkranke Mutter gepflegt. Dennoch reicht die Rente nicht für die Medikamente, die der 72-Jährige nach einem Herzinfarkt braucht

"Wenn es einem gut geht, dann hat man viele Freunde. Aber wenn es einem schlecht geht, dann sind die meisten schnell weg." Rosemarie und Joseph Waldmayer, die in Wahrheit anders heißen, sitzen an ihrem Küchentisch. Es riecht nach frisch aufgebrühtem Kaffee. Ein prächtig blühender Weihnachtsstern ziert den Tisch. "Früher hatte ich einen großen Freundeskreis. Heute bin ich für die ein Asozialer; die Leute von damals kennen mich nicht mehr, wenn ich sie auf der Straße treffe", sagt Joseph Waldmayer. Er würde immer älter und immer unbekannter. Dem 72-Jährigen gelingt es nicht, seine große Enttäuschung darüber zu verbergen. Er und seine Frau erhalten Grundsicherung im Alter. Damit zählen sie zu dem stetig wachsenden Kreis von Menschen, der an Altersarmut leidet.

Das Ehepaar war nicht immer arm. Beide übten ihr Leben lang einen Beruf aus; mit dem Einkommen kamen sie gut über die Runden. 51 Jahre arbeitete Joseph Waldmayer als Maler, viele Jahre davon als Meister. Zusammen mit einem Partner machte er sich selbständig. Lange Zeit ging das gut, bis ihn nach 17 Jahren sein Teilhaber mit der Firma alleine ließ. Da war er Ende 40. Er hatte Glück im Unglück: Er fand einen neuen Partner. Aber auch der verließ ihn nach zehn gemeinsamen Jahren. Und mit ihm gingen die meisten der ehemals gemeinsamen Kunden. Die hätten es bevorzugt, mit dem jüngeren Teilhaber zusammenzuarbeiten "und nicht mehr mit den alten Männern", erinnert sich Waldmayer. Mit fast 60 Jahren musste er noch einmal ganz von vorne anfangen. "Das habe ich einfach nicht mehr geschafft. Da bin ich untergegangen."

"Er ist damals in ein tiefes Loch gefallen", erinnert sich seine Frau. Nach der Geburt der gemeinsamen Kinder arbeitete sie als Bürokauffrau. Als ihr Mann ein zweites Mal ohne Teilhaber da stand, seinen Betrieb ein zweites Mal völlig umkrempeln musste und immer mehr Kunden zu seinem ehemaligen Geschäftspartner überliefen, da wurde Rosemarie Waldmayers Mutter krank. Zuerst Diabetes. Schon bald Alzheimer. Waldmayer pflegte sie. Zehn Jahre lang, bis sie vor vier Jahren starb. Die Demenz war rasch soweit fortgeschritten, dass sie Tag und Nacht abrufbereit für ihre Mutter sein musste. "Wie du das ausgehalten hast, ist mir noch heute ein Rätsel", sagt Joseph Waldmayer. Lange blickt er seine Frau an und schüttelt dann kaum merklich seinen Kopf.

Während Rosemarie Waldmayer sich um ihre schwerkranke Mutter und deren Haushalt kümmerte, Pflegestufen für sie beantragte sowie mit ihr Ärzte abklapperte und wie eh und je ihrer Arbeit im Büro nachging, brach ihrem Ehemann der Betrieb über dem Kopf zusammen. Es waren keine Aufträge mehr in Sicht. "Das war einfach zu viel, das hat mich kaputt gemacht", sagt Waldmayer. Er spricht zum einen von dem psychischen Schlag, von seiner Enttäuschung darüber, dass ihn gleich zwei enge und langjährige Geschäftspartner so sehr im Stich gelassen haben. Zum anderen von der körperlichen Belastung: "Ich kann ja heute nicht einmal mehr richtig laufen, ich hab 51 Jahre lang körperlich schwer gearbeitet." Wenn Joseph Waldmayer geht, dann nur sehr langsam. Und trotzdem sieht man die Anstrengung in seinem Gesicht, die ihn die wenigen Schritte kosten.

Anfang der 1990er Jahre, als das Ehepaar finanziell noch gut situiert war, erwarben die Waldmayers zwei Eigentumswohnungen. Die dafür aufgenommenen Kredite bezahlten sie zuverlässig Monat für Monat, 15 Jahre lang, ab - bis es durch die schlechte Auftragslage des Malerbetriebs nicht mehr ging. Die Bank ging an ihre Sparkonten, an ihre Lebensversicherungen, an alles, was noch da war. Ob das alles rechtens war, weiß das Ehepaar bis heute nicht. Eine Rechtsberatung konnten sie sich nicht leisten. Über viele Vertragsinhalte hat sie ihre Bank bei Abschluss des Kredits überhaupt nicht aufgeklärt. "Die haben uns übers Ohr gehauen und wir haben es nicht kapiert", ist Joseph Waldmayer überzeugt. Die Kredite haben alles mühsam Ersparte aufgefressen, was als Vorsorge im Alter gedacht war. Jetzt ist nichts mehr übrig. Die mickrigen Renten des Ehepaares reichen oft nicht einmal für das Nötigste. Joseph Waldmayers Stimme wird lauter, als er die Geschichte mit den Wohnungen erzählt. Er ärgert sich. Über die schlechte Beratung damals, als sie die Wohnungen erwarben. Über die Bank. Über die Unverhältnismäßigkeit. Und wahrscheinlich auch über sich selbst.

Dass er vor vier Jahren einen Herzinfarkt erlitt, kommt nicht von ungefähr. Seitdem ist er auf Medikamente angewiesen. 60 Euro muss er monatlich zubezahlen. Die Krankenkasse übernimmt lediglich die Hälfte davon. Manchmal pausiert Waldmayer mit den eigentlich notwendigen Medikamenten. Am Monatsende. "Was soll ich tun, wenn wir einfach kein Geld mehr übrig haben, sodass ich mir neue kaufen kann?" Im November dauerte die Pause knapp eine Woche.

Wenn Rosemarie und Joseph Waldmayer aber über ihre Hündin Lotti sprechen, die in Wirklichkeit ebenfalls einen anderen Namen trägt, dann verändert sich etwas. Die Sorgen, die Gebrochenheit und die Scham verschwinden aus den Blicken der 68-Jährigen und ihres 72-jährigen Ehemanns. Stattdessen breitet sich ein Lächeln über ihre Gesichter aus. Voller Freude und Fürsorge beobachten sie ihre süßekleine Pudelhündin, die sich auf dem Küchenfußboden zusammengerollt hat. Neun Jahre ist Lotti schon alt. Für Joseph Waldmayer ist sie eine Hypnotiseurin. "Die guckt mich jedes Mal so lange an, bis ich dann doch noch mit ihr hinausgehe." Bei dem Gedanken muss er laut auflachen. "Ohne Lotti würde mein Mann ja keinen Meter aus dem Haus gehen", ist sich seine Frau sicher.

Die Waldmayers sind bescheidene Leute. "Ich will mich nicht beschweren, das ändert ja auch nichts. Man muss sich eben damit abfinden", sagt Joseph Waldmayer. Er blickt zu seiner Frau. Im Januar sind die beiden seit 50 Jahren verheiratet. Gerne möchten die Rentner ihre Goldene Hochzeit im Kreise der engsten Familie verbringen und ihre Kinder und Enkel in ein Restaurant zum Essen einladen. Die Spenden aus dem SZ-Adventskalender könnten ihnen diesen Wunsch erfüllen. "Mein Mann bräuchte auch zwei neue Hosen. Seit zehn Jahren läuft er in denselben herum", merkt Rosemarie Waldmayer an. Ihr Mann wiegelt ab. Darauf könne er gerne verzichten. Viel wichtiger sei ihm, sich am Hochzeitstag mit seiner Frau etwas Kleines gönnen zu können und mit der Familie ein schönes Abendessen zu verbringen.

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