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40 Prozent weniger Spender: Corona erschwert Bremer Stammzellenspenden

Keine öffentlichen Typisierungs-Aktionen wegen Corona: 2020 haben sich deutlich weniger Spender registrieren lassen. Wie Justus aus Stuhr dennoch einen Spender fand.

"Alle 15 Minuten erhält ein Mensch in Deutschland die niederschmetternde Diagnose Blutkrebs", teilt die Deutsche Knochenmarkspenderdatei (DKMS) mit. Viele Patienten seien Kinder und Jugendliche, deren einzige Chance auf Heilung eine Stammzellspende ist. Doch jeder zehnte Patient fände derzeit keinen Spender.

"2020 konnten wir über 400.000 Menschen neu aufnehmen", erklärt Julia Ducardus, Sprecherin von DKMS zu den bundesweiten Zahlen. Coronabedingt hätten sich damit rund ein Drittel weniger als Spender registriert als im Vorjahr. Bei dem Zentralen Knochenmarkregister (ZKRD), das als Organisationszentrale der Spenderdateien dient, seien es insgesamt sogar 40 Prozent weniger Typisierungen: "Corona hat eine deutliche Auswirkung auf die Spenderneugewinnung", sagt ZKRD-Sprecherin Sonja Schlegel.

Die 26 Spenderdateien in Deutschland rekrutieren ihre Spender meist bei Typisierungsaktionen, die dieses Jahr aber aufgrund von Corona und den damit verbundenen Kontaktbeschränkungen nicht stattfinden konnten.

Sonja Schlegel, Zentrales Knochenmarkregister

50.100 Bremer als Spender registriert

Im Land Bremen steigen die Zahlen der Registrierten laut DKMS in den letzten Jahren: Waren es bis Ende 2018 noch über 44.000, so stieg die Zahl bis Ende 2019 auf über 48.000. Inzwischen sind es über 50.100, die in der Datenbank gespeichert sind. Davon leben 41.500 in Bremen und 8.600 in Bremerhaven. Tatsächlich Stammzellen gespendet haben seit 1991 im Land Bremen insgesamt 599 Menschen. "In der Regel hängt der Zuwachs der Registrierungszahlen in einer Region sehr stark von den Patientenfällen ab. Eine Vergleichszahl und somit Zuwächse schwanken deshalb sehr oft", so Ducardus.

Öffentliche, bundesweite Registrierungsaktionen für Patienten oder Aktionen an Schulen und Hochschulen gibt es seit März 2020 nicht mehr. "Wir haben alle Events ins Netz umgeleitet und Patientenaktionen finden virtuell statt", so Julia Ducardus. Für alle Patienten, die auf Hilfe angewiesen seien, richte DKMS eine Internetseite ein und erstelle einen persönlichen Registrierungslink, der dann über die sozialen Netzwerke geteilt werden könne.

So funktioniert die Typisierung

Der Spender füllt vor Ort eine Einverständniserklärung aus, danach wird mit einem Wattestäbchen eine Speichelprobe genommen. Registrieren lassen kann sich jeder im Alter zwischen 17 und 55 Jahren, Stammzellen spenden ist zwischen 18 und 61 Jahren möglich. Voraussetzungen sind eine gute Gesundheit und ein Mindestgewicht von 50 Kilogramm. Unterstützen geht aber auch von zuhause aus: Von der DKMS kann man sich Pakete zusenden lassen, um die Typisierung selber vorzunehmen. Auch Geldspenden sind immer willkommen, da die Registrierung von jedem neuen Spender etwa 35 Euro kostet.

Siebenjähriger Justus aus Stuhr seit Oktober im Krankenhaus

So auch bei Justus Fehse aus Stuhr. Am 12. Oktober 2020 bekam die Familie des Siebenjährigen die Diagnose Blutkrebs. Konkret leidet er an der T-Zell-ALL, einer Unterform der akuten lymphatischen Leukämie, bei der die Zellen des Knochenmarks, die eigentlich für die Blutbildung zuständig sind, verdrängt werden. Justus kam ins Krankenhaus und durfte es bis auf ein paar Tage rund um Heiligabend nicht verlassen.

"Die Gesamtsituation ist sehr belastend", erzählt Justus Mutter, Telja Fehse. Zwei Wochen vor der Diagnose kam Justus kleiner Bruder zur Welt. Seine große Schwester ist seit den Herbstferien im "Homeschooling". Die Kinder dürfen nicht mit ins Krankenhaus: "Das geht nicht spurlos an den beiden vorbei."

Justus Blutwerte waren zunächst nicht gut: Die Leukozyten viel zu hoch, die Thrombozyten zu niedrig. Schnell war klar, dass er eine Blutspende brauchte, bis ihm am 15. Oktober ein dauerhafter Brustkatheter gelegt wurde und fast zeitgleich die erste Chemotherapie begann. In Absprache mit den Eltern habe die Prof.-Hess-Kinderklinik eine Spenderanfrage gestellt, erzählt die Mutter.

3.216 Menschen haben sich für Justus registriert

Eine große Suchaktion nach einem passenden Spender begann. Die Eltern kontaktierten sämtliche Regionalmedien. Sogar Werder-Trainer Florian Kohfeldt rief dazu auf, sich für Justus zu registrieren. "Seine Frau ist durch unsere Suche auf Facebook auf Justus aufmerksam geworden und über gemeinsame Bekannte wurde der Kontakt hergestellt", so Telja Fehse. Das Paar hätte sich sehr stark gemacht und engagiert, wofür die Familie sehr dankbar sei. "Ohne sie hätten wir nie solch einen motivierenden Start mit unserer Spendersuche gehabt", ist sich Telja Fehse sicher.

3.216 Menschen meldeten sich über den DKMS-Link von Justus an und ließen sich ein Wattestäbchen für einen Wangenabstrich nachhause schicken - bis am 12. Januar 2021 tatsächlich ein passender Spender gefunden wurde.

Spende erst möglich, wenn Justus krebsfrei ist

"So groß die Freude über Justus Spender auch ist, so ist sie doch getrübt, da Justus noch nicht in der Remission ist", erklärt Telja Fehse. Remission sei ein Wort, das sie seit Wochen zur Verzweiflung treibe. "Krebsfrei - nicht geheilt, aber krebsfrei - das sei Justus nach all den Therapien immer noch nicht. Trotz all der Chemos, die schon in ihn gepumpt wurden, haben wir dieses Ziel noch nicht erreicht. Es ist so ein wichtiges Ziel, denn vorher kann die Transplantation der gesunden Spenderzellen nicht durchgeführt werden und der gesuchte und gefundene Spender nicht zum Einsatz kommen." Jetzt soll der Siebenjährige nach Hamburg in das Uniklinikum verlegt werden. Dort hofft die Familie auf weitere Therapie-Ideen.

Wenn die Therapie anschlägt, werden nochmals die Gewebemerkmale, sogenannte HLA-Merkmale, des Spenders und Empfängers, genau überprüft. "Damit die körperfremden Zellen nach der Transplantation nicht abgestoßen werden, müssen die HLA-Merkmale von Patient und Spender möglichst übereinstimmen", so DKMS-Sprecherin Julia Ducardus. "Wenn alles passt, gibt es Aufklärungsgespräche, 'Gesundheits-Check-ups', Voruntersuchung und schließlich in Abstimmung mit der Klinik des Patienten die Spendenterminierung".

Währenddessen werde der Patient mit Chemo- und Bestrahlungstherapie auf die Transplantation vorbereitet. "Das Immunsystem wird dabei komplett heruntergefahren." Die Hoffnung ist, dass nach der Spende von Blutstammzellen oder Knochenmark, diese im Körper des Patienten ein neues, gesundes Immunsystem bilden.

Durch Corona auch Transport von Blutstammzellen erschwert

Die Pandemie birgt noch weitere Hürden für Krebspatienten, die auf Spenden hoffen: Damit die Blutstammzellen beim Patienten ankommen, müssen diese von einem Kurier abgeholt und transportiert werden. "Gerade diese Kuriertransporte wurden aufgrund der Corona-Pandemie und den damit verbundenen Grenzschließungen sowie ausfallenden Flügen zu einer sehr großen Herausforderung", so ZKRD-Sprecherin Sonja Schlegel. "Dennoch ist es uns gemeinsam mit unseren Partnern gelungen, neue Abläufe zu etablieren, dass alle Spenden ihren Patienten erreichen."

Dieses Thema im Programm: Bremen Vier, Zebra Vier, 17. Januar 2021, 8:45 Uhr

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