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Wie die Corona-Krise unsere Art zu arbeiten nachhaltig verändern wird

Videokonferenzen in Hoodie und Jogginghose, glühende Slack-Channel, Telefone und Mail-Postfächer: Deutschland ist im Homeoffice. Jaja, natürlich nicht ganz Deutschland - Heimarbeit ist längst nicht in allen Berufen möglich. Doch selbst Unternehmen, die schon längst Homeoffice hätten einführen können und dem Ganzen bisher skeptisch gegenüberstanden, werden durch das Coronavirus dazu gebracht, ihre Teams von zu Hause aus arbeiten zu lassen.


Durch die aktuelle Situation wird sich das Leben, wie wir es bisher kannten, nachhaltig verändern. Auch im Job. Die Art, wie wir arbeiten, bewegt sich derzeit ein ganzes Stück, es tun sich notgedrungen Möglichkeiten auf. Und das lässt sich nicht wieder umkehren.


Das schreibt auch der Zukunftsforscher Matthias Horx in seinem fiktiven Rückblick auf die Corona-Pandemie: „Tele- und Videokonferenzen, gegen die sich die meisten Kollegen immer gewehrt hatten (der Business-Flieger war besser) stellten sich als durchaus praktikabel und produktiv heraus ... Das Homeoffice wurde für Viele zu einer Selbstverständlichkeit - einschließlich des Improvisierens und Zeit-Jonglierens, das damit verbunden ist."

Anders gesagt: Wir können aus dem Homeoffice nicht einfach wieder zurück ins Büro, als wäre nichts gewesen. Davon abgesehen, dass das während der Pandemie in der nächsten Zeit ohnehin nicht zur Debatte steht.


Deshalb geht's jetzt plötzlich doch

Die Arbeitgeber*innen, die sich bislang vehement gegen das Konzept Homeoffice gesträubt haben, taten das oft mit ähnlichen Begründungen: komplizierte Technik, komplizierte Gesetze, komplizierte Abläufe. Das ist auch alles berechtigt. Aber jetzt geht es trotz allem ganz plötzlich doch irgendwie.

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„Und zwar selbst bei Unternehmen, die ihren Mitarbeitern jahrelang gepredigt haben, dass Homeoffice nicht möglich sei", sagt Teresa Bauer, Gründerin von Get Remote. Für sie deute das darauf hin, dass die meisten der bisher angeführten Gründe gegen Arbeit im Homeoffice eher Vorwände waren. „Es war für viele Unternehmen bisher einfacher, am altbekannten Arbeitsmodell festzuhalten und sich nicht umzustellen."


Natürlich erfordern nie dagewesene Ausnahmesituationen wie derzeit die Corona-Pandemie besondere Maßnahmen und Flexibilität. „Dass mobile Arbeit im Moment eine bevorzugte Arbeitsform ist, hängt viel mit der Ausweglosigkeit der Situation zusammen. Nichts anderes funktioniert mehr", sagt Professorin Jutta Rump vom Institut für Beschäftigung und Employability, das sich seit 18 Jahren mit mobilen Arbeitsortformen und flexiblen Arbeitszeitmodellen befasst und zur zukünftigen Arbeitswelt forscht.


Arbeit im Homeoffice geht durchaus mit diversen Herausforderungen einher: das Verwischen der Grenze zwischen privat und beruflich, soziale Isolation, keine ausreichenden Erholungsphasen, Kommunikationsprobleme, technische Schwierigkeiten, Datenschutz - um nur einige zu nennen.


Außerdem hängt es nicht nur vom Beruf, sondern auch von der Persönlichkeit ab, wie gut oder schlecht jemand im Homeoffice arbeiten kann. „Generell ist zu beachten, dass mobile Arbeit nicht für alle Beschäftigten ein Erfolgsmodell ist; für manche ist der Arbeitsplatz eine Art Zuhause", sagt Professorin Jutta Rump.


Momentan ist vor allem die unvorhersehbare Dauer und die Alternativlosigkeit für viele schwierig; selbst dem*der überzeugtesten Introvertierten fällt nach Wochen zu Hause irgendwann die Decke auf den Kopf. Ideal sind laut Forschung etwa zwei Tage Homeoffice pro Woche, dann steigen Produktivität und Wohlbefinden.


Dennoch wird sich die Art, wie wir arbeiten, perspektivisch verändern. Wie sehr und wie nachhaltig - also inwieweit wir nach der Corona-Krise mobile Arbeit als mögliche Arbeitsform für viele Beschäftigungsgruppen anerkennen - das hänge laut Jutta Rump von verschiedenen Faktoren ab.


Was unsere Art zu arbeiten verändert

Zum einen spielt Zeit eine wichtige Rolle. Je länger Angestellte im Homeoffice arbeiten, desto eher gewöhnen sich Unternehmen und auch die Mitarbeiter*innen selbst daran. Das betrifft Organisation, Struktur, Kommunikationswege, Abläufe - sowohl privat mit dem*r Partner*in oder Familie, als auch beruflich mit Kolleg*innen und Vorgesetzten.


Je mehr Zeit wir also im Homeoffice verbringen, desto mehr lernen wir, wie es am besten für uns und Arbeitgeber*innen beziehungsweise Kund*innen funktioniert, wie wir Nachteile und Risiken reduzieren und mit den spezifischen Herausforderungen umgehen.


Doch auch die grundlegenden Rahmenbedingungen sind laut Jutta Rump für den Ablauf mobiler Arbeit entscheidend. Dazu gehören „technische Ausstattung, Vertrauenskultur, definierte Arbeitspakete und Zielvereinbarungen, Kommunikations- und Zusammenarbeitsregeln, Kompetenzen wie Selbstorganisation und Selbstmanagement, aber auch Kommunikations- und Konzentrationsfähigkeit".


Demnach wäre es keine gute Idee, mobile Arbeit während der derzeitigen Corona-Krise ausschließlich als Kriseninstrument wahrzunehmen: „Das wäre sehr bedauerlich, denn mobile Arbeit ist eine wirkliche Alternative", sagt Professorin Rump.


Auch für Teresa Bauer liegt in der derzeitigen, oft eher unfreiwillig vereinbarten Arbeit von zu Hause eine Chance: „Corona zwingt gerade einige Unternehmen zu dieser Veränderung. Das ist eine Gelegenheit, sich bewusst damit zu beschäftigen, wie Arbeit auf räumliche Distanz am besten für das eigene Unternehmen funktioniert und umsetzbar ist."


Denn regelmäßiges Arbeiten an einem anderen Ort als im Büro beinhaltet mehr als nur physisch nicht anwesend zu sein: „Homeoffice bedeutet nicht nur, Angestellte mit dem Laptop nach Hause zu schicken und alles läuft weiter wie bisher", sagt Teresa Bauer. „Der neue Arbeitsraum Homeoffice braucht auch neue Leitlinien der Zusammenarbeit und genau dafür müssen Unternehmen sich nun Zeit nehmen."


Homeoffice ist wichtig - aber nicht alles

Die Beschäftigung mit der Organisation rund ums Arbeiten von zu Hause aus ist unumgänglich. Laut Teresa Bauer führt, zumindest für bestimmte Berufe, auf Dauer kein Weg am Homeoffice vorbei: „Die Art, wie wir arbeiten, hat sich schon längst geändert - das ist nur noch nicht bei allen Unternehmen angekommen. Genau für diese Firmen stellt die aktuelle Krisensituation eine enorme Chance dar. Denn ortsunabhängiges Arbeiten wird auch losgelöst von Corona kommen, ob man will oder nicht", so Bauer. „Meine Prognose ist: In fünf Jahren werden Unternehmen ohne Homeoffice-Möglichkeit keine Mitarbeiter mehr finden und halten können."


Und vielleicht ist jetzt der ideale Zeitpunkt, um nicht nur über Arbeit im Homeoffice, sondern auch mal ernsthaft über ein bedingungsloses Grundeinkommen nachzudenken - derzeit bangen zum Beispiel Freiberufler*innen, Künstler*innen und Selbstständige um ihre Existenzen; Angestellte müssen in Kurzarbeit und bekommen deutlich weniger Gehalt. Auch das Thema anständige, angemessene Bezahlung von Menschen in wirklich systemrelevanten Berufen gehört auf den Tisch. Diejenigen, die unsere Gesellschaft am Laufen halten, arbeiten nämlich nicht im Homeoffice.

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