Auf der Insel Iona, der Wiege des keltischen Christentums, ist absolut nichts los. Doch genau das macht ihren Reiz aus. Ein Bericht vom gefühlten Ende der Welt in Schottland.
Smaragdgrün liegt Iona auf türkisblauer See, weiße Strandabschnitte schmücken die Insel. Leere Strände, kaum Straßen, überall Schafe. Als ich nach mehreren Stunden Zug- und Busfahrt in Iona von der zweiten Fähre steige, bin ich überzeugt: Ich habe das Ende der Welt gefunden.
Damit bin ich allerdings nicht allein - rund 130.000 Besucher kommen jährlich hierher, um den Zauber dieser schottischen Insel zu ergründen. Der bedeutet für jeden etwas anderes.
Iona ist uralt, winzig klein und wunderschön. Auf einer bescheidenen Länge von 4,8 und einer Breite von bloß 2,4 Kilometern erstrecken sich wiegende Gräser und Wildblumen, grüne Hügel und schroffe Felsen, umrahmt von karibikblauem Meer, sahneweißem Sand und pastellfarbenen Kieseln.
Einige Steine sind mehr als zwei Milliarden Jahre alt. Am Wegesrand süßlich duftendes, leuchtendes Labkraut und Sauerampfer, der nach Kindheit schmeckt. Iona ist ein bisschen Auenland, ein bisschen Highlander und eine Prise Fluch der Karibik, aber in Neopren. Auf den Inseln der Inneren Hebriden ist es nämlich auch im Sommer selten wirklich warm.
Spätestens seit der irische Mönch, Missionar und spätere Heilige Columban im Jahr 563 mit seinen zwölf Begleitern per Bötchen auf dem verwunschenen Eiland vor Schottlands Westküste gelandet ist, Kirche und Kloster errichtet und die Insel zum Basislager des Christentums im keltischen Raum gemacht hat, ist Iona ein Hotspot für alle, die innere Einkehr und Spiritualität suchen.
Die Insel-Lage war damals übrigens kein Hindernis, sondern ein echter Vorteil; das Reisen zu Lande war wesentlich unbequemer und langsamer als auf dem Wasserweg.
Doch schon lange vor Columbans Ankunft soll Iona die Insel der Druiden, der Schleier zwischen den Welten hier besonders durchlässig gewesen sein - so die Folklore. Pragmatisch hat Columban örtliche Mythen kurzerhand in seine eigene Legende einfließen lassen.
So wurde aus dem Fairy Hill, dem Hügel der Feen, der Engelshügel - für möglichst niedrigschwelliges, geschmeidiges Konvertieren zum Christentum. Der sattgrüne, asymmetrische Hügel liegt heute eingezäunt an einer schmalen Straße neben einem Bauernhof und wirkt auf mich nur minimal magisch. Doch das mag am trüben schottischen Sommerwetter liegen.
Heute tragen die Reisenden weder Kutten noch Bußgewänder, sondern Funktionsjacken und Wanderschuhe. Sie sind auf der Suche nach Erleuchtung, nach Inspiration, nach Stille, nach den Wurzeln des keltischen Christentums oder auch nach dem klackernden Knarzen des seltenen Wachtelkönigs, je nach innerem Kompass und ornithologischem Interesse. Die meisten von ihnen sind Tagesausflügler.
Und so wird es mit dem Ablegen der letzten Fähre tatsächlich still auf Iona. Autos gibt es nur wenige, sie gehören den rund 120 Einwohnern. Bei meiner Abendwanderung auf den Dun Ì, den mit 101 Metern höchsten Hügel der Insel, höre ich daher nur Vögel zwitschern, gelegentliches Schafblöken und Wind, jede Menge Wind.
Wandern kannst du auf Iona übrigens ganz hervorragend. Durch flache Senken, auf Anhöhen, vorbei an Stränden und Felsen. Und weil die Insel eben nicht so groß ist, kannst du dabei auch nicht wirklich verloren gehen. Viel mehr gibt es hier nicht zu tun, oder wie eine Mitreisende sagte: „Wer Action will, kommt nicht nach Iona."
Den besten Nach- oder Vorwanderungs-Kaffee der Insel kredenzt der Iona Craft Shop, den köstlichsten selbst gebackenen Kuchen gibt's im Heritage Centre und frische Muscheln zu fairen Preisen in Martyr's Bay Restaurant neben dem Fähranleger.
Wer's gediegener mag: In den beiden größeren Hotels der Insel Iona, Argyll und St. Columba, dürfen auch Nicht-Gäste speisen; die zu den Hotels gehörenden Bio-Gemüsegärten lassen sich auf dem Weg zur Abtei inspizieren.
Letztere ist die Hauptattraktion Ionas. Zwar ist von Columbans ursprünglicher Kirche nichts mehr übrig, aber das Benediktiner-Kloster aus dem 13. Jahrhundert steht an Ort und Stelle, es wurde Mitte des 20. Jahrhunderts restauriert. Dort versammeln sich mehrmals täglich Christen aller Couleur, lauschen Konzerten oder innerer Stille. Nebenan, auf dem Reilig Odhráin, soll der echte schottische König MacBeth begraben liegen. Ja, der von Shakespeare.
Ganz in der Nähe hat Felix Mendelssohn Inspiration für seine Hebriden-Overtüre gefunden. „Wenn ich irgendwann in einer überfüllten Versammlung mit Musik und Tanz sitze und der Wunsch aufkommt, mich in die einsamste Einsamkeit zurückzuziehen, dann werde ich an Iona denken", soll der Komponist gesagt haben.
Worin der besondere Zauber von Iona besteht, das wandelt sich. Von Jahrhundert zu Jahrhundert, von Herz zu Herz. Ob in der von Mendelssohn ersehnten Einsamkeit, im raren Ruf des Wachtelkönigs, bei den Feen oder Engeln, im Brunnen der Ewigen Jugend, in der christlichen oder vorchristlichen Spiritualität.
Ich entdecke ihn zwischen den scharfkantigen Hügeln, auf Wiesen, gesprenkelt mit Klee und Butterblumen, im Wind und im Regen. Hier auf Iona passt alles zusammen, Frieden und Zufriedenheit, innere und äußere Stille, Einklang mit der Welt und dem Universum. Weniger hätte sich der alte Columban selbst wohl auch nicht wünschen können.