Kinder haben das Bedürfnis, auch allein und unbeobachtet zu spielen, sagt Umweltpsychologin Dörte Martens. Das gelinge besonders gut in der Natur, wo sie sich hinter Hecken oder im Gebüsch verstecken und beschäftigen können. Im Interview erklärt sie, warum "Rasenmähereltern" nicht jedes Hindernis aus dem Weg räumen sollten.
ZEIT ONLINE: Frau Martens, laut Umfragen verbringen wir durchschnittlich mehr als 90 Prozent des Tages in geschlossenen Räumen. Warum ist das so schlecht für uns?
Dörte Martens: Ich möchte gerne andersherum auf diese Frage antworten. Viel Zeit draußen in der Natur tut uns gut. Es ist wissenschaftlich belegt, dass die Natur sich positiv auf unsere physische und psychische Gesundheit auswirkt. Besonders spannend sind die kognitiven Prozesse: Zeit in der Natur verändert, wie wir denken. Die Psychologie unterscheidet zwischen gerichteter und ungerichteter Aufmerksamkeit. Die gerichtete Aufmerksamkeit brauchen wir permanent: im Job, im Straßenverkehr oder wenn das Kind unerwartet aus der Kita abgeholt werden soll. Wir müssen uns ununterbrochen konzentrieren, um keine Fehler zu machen.
ZEIT ONLINE: Und in der Natur gibt es eine andere Art der Aufmerksamkeit?
Martens: Ja, in der Natur ist es anders: Hier kann man sich einfach fallen lassen. Die Attention Restoration Theory geht davon aus, dass die Natur automatisch Aufmerksamkeit auf sich zieht, uns fasziniert. Dabei ist unsere Aufmerksamkeit ungerichtet. Wir gewinnen Abstand zu den Dingen, die uns beschäftigen, und die Gedanken schweifen. Dieses Gefühl erleben wir so vor allem im Kontakt mit der Natur. In der Umweltpsychologie bezeichnen wir das als " Being away". Ich habe in der Schweiz eine Studie durchgeführt, die gezeigt hat: Im Wald denken wir eher über die Vergangenheit nach, können aber auch gut im Hier und Jetzt sein. Das hilft uns, Probleme zu lösen. Möglicherweise lenkt die eher geschlossene Umgebung des Waldes den Fokus auf uns selbst. An Orten, wo wir Weite spüren, wenn wir etwa auf einem Feldweg spazieren, in Mooren oder in der Heide, sind unsere Gedanken eher in die Zukunft gerichtet.
ZEIT ONLINE: Sie haben als Umweltpsychologin drei Naturerfahrungsräume in Berlin wissenschaftlich begleitet, in denen überwiegend sechs- bis zwölfjährige Kinder spielen. Beschreiben Sie mal, was das für Orte sind.
Martens: Inzwischen gibt es sie sogar in sechs Berliner Bezirken. Ein Naturerfahrungsraum ist weitgehend ungestaltet. Nichts als Natur also: ein Wäldchen mit Laub- und Nadelbäumen, Gebüsch, eine Lichtung mit einem Erdhügel. Die Flächen sind mindestens einen Hektar groß und in Wohngebiete integriert. Damit sie sicher sind, sind die Naturerfahrungsräume eingezäunt. Dort spielen überwiegend Kinder aus der Nachbarschaft. Ab einem Alter von sechs Jahren spielen sie autonom. Jüngere Kinder kommen in Begleitung Erwachsener, idealerweise lassen die Eltern oder andere Begleitpersonen sie aber allein spielen.
ZEIT ONLINE: Was meint autonomes Spielen?
Martens: Es bedeutet, dass Kinder unbeobachtet spielen. Das ist ein kindliches Bedürfnis. Dazu haben sie in der Natur viel mehr Möglichkeiten als auf Spielplätzen, weil sie sich dort beispielsweise im Gebüsch oder hinter Hügeln verstecken können. Meist sind die Naturerfahrungsräume so gelegen, dass ältere Kinder sie auch allein gefahrlos erreichen können. Etwas, was viele Kinder in den Naturerfahrungsräumen machen, habe ich zu Corona-Zeiten auch häufiger in Berlins Stadtwäldern gesehen: Totholz-Tipis bauen. Sie nutzen herumliegende Zweige, Äste, Blätter und bauen damit eine Hütte. Darin machen es sich die Kinder gemütlich und legen zum Beispiel Moos aus. So erleben sie das Gefühl von Selbstwirksamkeit: Sie sehen, dass sie aus eigener Kraft eine Hütte gebaut haben, die sogar vor Regen schützt.
... Das ganze Interview auf: www.zeit.de/green/2022-02/umweltpsychologie-kinder-natur-spielplatz
Original