Zu viel Solarstrom: Kunden zahlen für Preisverfall / Experte vermutet Manipulation
Bielefeld. Rekordfieber auf dem Markt für Solarstrom: Zu Wochenbeginn wurde in Deutschland fast die Bestmarke für eingespeisten Solarstrom geknackt. Mehr als 20 Gigawatt flossen zeitweise aus Photovoltaikanlagen ins Netz. Die Folge: An der Strombörse brachen die Preise ein. Trotzdem profitieren Verbraucher kaum von den Sonnenstunden. Der Paderborner Energieexperte Stefan Krauter vermutet hinter den Börsenturbulenzen gar Tricksereien der Energiebranche.
20,6 Gigawatt am Montagmittag, das sei "nah an einem Rekord", sagte eine Sprecherin des Netzbetreibers Transnet auf Anfrage. Die Bestmarke stammt aus dem vergangenen Mai: rund 22 Gigawatt. Auch am Dienstag drückte die Kraft der Mittagssonne die Solarwerte wieder über die 20-Gigawatt-Marke.Dabei hatten die Netzbetreiber mit viel weniger Solarenergie kalkuliert. An der Europäischen Strombörse in Leipzig ging man am Montag von einer Spitzenleistung von 14,5 Gigawatt Solarstrom aus - verschätzte sich also eben um etwa 50 Prozent. Das Ergebnis: Der Strompreis an der Börse fiel ins Bodenlose. Eine Megawattstunde Strom wurde am Montag wegen des Überangebots zeitweise mit 0,00 Euro gelistet. Energie gab es umsonst.
Immerhin konnten sich die Stromerzeuger so für ihren Aufwand entschädigen - schließlich mussten konventionelle Kraftwerke wegen des Öko-Angebots heruntergeregelt werden. Dafür konnten Versorger wie die Stadtwerke Bielefeld "für sehr billig Geld" an der Börse Strom einkaufen, wie Holger Mengedodt berichtet, bei den Stadtwerken für den Stromhandel zuständig.
Preisschwankungen seien nichts Ungewöhnliches im tagesaktuellen Stromhandel, sagt Mengedodt. Ursachen für Kursschwankungen könne etwa der Ausfall eines Kraftwerks sein oder eben "Prognosefehler" - etwa beim Wetter. "Bei 6.000 Megawatt zusätzlicher Leistung am Markt fallen die Preise rasant." Ohnehin sei Strom gerade günstig zu haben. Warum denn davon der Verbraucher nichts merke? "Was an der Börse stattfindet, spielt für den Endverbraucher nur eine untergeordnete Rolle", antwortet Mengedodt. "70 Prozent des Strompreises machen Steuern und Abgaben aus." Der Staat erhöhe die Rechnung beim Kunden.
Ohne Folgen ist das Auf und Ab an der Börse aber nicht. So paradox es klingt: Ungeplant sonniges Wetter wie zu Wochenbeginn und entsprechend hohe Solarstromproduktion machen die Energiewende teurer - zumindest unter den derzeiten Bedingungen des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG). Der Grund ist die EEG-Umlage, der Zankapfel der deutschen Energiepolitik. Mit der Abgabe wird die Einspeisung von Ökostrom gefördert. Die Netzbetreiber legen ihre Höhe - derzeit 5,3 Cent pro Kilowattstunde - fest.
Die Umlage wird aus der Differenz von Vergütung und Börsenstrompreis gebildet. Sinkt der Preis an der Börse, steigt in der Folge die Umlage, erklärt Stefan Krauter, Professor an der Universität Paderborn und Experte für regenerative Energien. Nach dem Schauspiel der vergangenen Tage erhebt er schwere Vorwürfe. Einiges spreche dafür, so Krauter, dass die Prognosen der Netzbetreiber für die Solarstromproduktion "absichtlich" zu niedrig gewählt worden sind. "So massiv kann man sich nicht verrechnen." Träfe das zu, wären die Preise an der Börse - und damit die EEG-Umlage - manipuliert worden. Auf diese Weise, so Krauter, werde das Gesetz als langfristig "nicht mehr finanzierbar" diskreditiert.
Dokumenten Information Copyright © Neue Westfälische 2013 Dokument erstellt am 05.03.2013 um 21:38:21 Uhr Letzte Änderung am 06.03.2013 um 16:41:03 Uhr