Nein, es handelt sich nicht um eine Generationenanalyse. Auch wenn es sich so anfühlt beim Lesen. Die Portraits sollen für sich selbst stehen, keiner übergeordneten These dienen, schreiben die Autorinnen an einer Stelle. Und doch bleibt trotz des edlen Motivs ein unguter Beigeschmack. Aber von vorn:
Christiane Färber und Simone Unger kommen von einer Party. Einer Pärchenparty. Es ging um Kinder oder ihre Planung, Wohnungsausbau und selbstgemachte Marmelade. Christiane Färber und Simone Unger, sie nennen sich die Komplizinnen, sind aber noch nicht so weit. Sie fühlen sich als Fehler im System, denken über Neuanfänge nach, über Selbstverwirklichung, während sie ihre Räder nach Hause schieben. „Die 35 ist ein Drachen“, sagt dann eine Komplizin.
„35 zu werden heißt, unsere Träume und Wünsch noch einmal genau anzuschauen. Es ist eine Zeit der Selbstfindung, die nichts mehr gemein hat mit jener jugendlichen Emphase Anfang 20, als die Zukunft groß, wild und vor allem sehr weit weg zu sein schien. Das Leben hatte da noch gar nicht richtig angefangen. Doch jetzt, mit Mitte 30, haben wir schon ein Stück des Weges hinter uns gebracht. Wir haben Entscheidungen getroffen und spüren deren Konsequenzen.
Mit 35 haben sie sich für einen Job entschieden, waren mehrere Male verreist, haben mehrere Menschen geliebt, haben Freunde gewonnen und verloren. Aber was sie vor allem umtreibt in diesem, ihrem Alter, ist die Frage, wie es gelingt, Verantwortung für ihr Glück zu übernehmen. Und das angesichts einer inneren Uhr, deren Ticken kaum noch überhörbar zu sein scheint.
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Bin ich eine echte Frau, auch wenn ich keine Mutter sein will? Brauch ich jetzt eine Einbauküche? Möchte ich nicht doch lieber Meeresbiologin sein?
Die meisten Frauen, unabhängig von Gesellschaftsschicht, Bildungs- und Familienstand, stehen mit Mitte 30 an einem ganz bestimmten Punkt in ihrem Leben. So die Anfangsthese.
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Darf ich so glücklich sein, auch wenn alle anderen einem anderen Glück hinterherlaufen? Wovor hab ich Angst. Geht es nur mir so? Bin ich eigentlich mutig? Kann ich mit Highheels Rennrad fahren?
Und DAS ist die Haltung, die über das gesamte Buch hinweg so anstrengend ist. Die Autorinnen haben Gespräche mit Frauen Mitte 30 geführt, die erklärtermaßen nichts beweisen und nicht aufklären sollen.
„Es ist ein Buch, dem man beim Lesen insgeheim die eigene Geschichte hinzuzufügen beginnt und so in Resonanz tritt zu den persönlichen Vorstellungen von einem gelingenden Leben.“
Und ich gebe zu, dass das geschieht. Die meisten Geschichten machen mich wütend und häufig frage ich mich, wann diese weitere Story einer Frau, à la mein Job sollte schon in der Nähe eines indonesischen Surfspots gelegen sein, endet. Während man sich hier über Legitimität von hohen Erwartungen an das eigene Leben ja noch streiten kann, wird es beim Thema Frauen und Selbstwert problematisch. In diese Kategorie fallen Haltungen wie die der alleinerziehenden Sarah, die ihren neuen Freund in ihre kleine Familie integrieren will,
„Ein Mann muss glücklich sein mit seinem Job, sonst leidet vieles“. Oder die Projektmanagerin Steffi, die in den USA und Australien gelebt hat, Single ist und mit einem Mann zusammen sein möchte, „aber es ist eben noch nicht passiert. Es kam noch nie einer, der sich hingestellt und gesagt hätte: ‚Ich zeig dir mal die große weite Welt.‘ Keine Ahnung, was da nicht hingehauen hat“.
An Textstellen wie diesen möchte man das Lesen am liebsten abbrechen und die Autorinnen oder Steffi aus Berlin selbst an den Schultern packen und fragen, ob das tatsächliche eine Frage ist, die sich Frauen mit 35 heutzutage immer noch so stellen?
Genauso wie beim Thema Akzeptanz des eigenen Körpers. In ihrer Geschichte erzählt die Inhaberin einer Modeboutique, dass sie über die Jahre gelernt habe, ihren eigenen Körper anzunehmen.
„Es gibt viele Momente, in denen ich das schon gut schaffe, da kämpfe ich überhaupt nicht mehr. Aber es gibt auch die ganz krassen Momente, in denen ich alles ganz fürchterlich finde. Selbst dann versuche ich mir jetzt zu sagen: Ja, es ist scheiße, es ist gerade fürchterlich. Ja.
Diese Frau hatte auf den vorangehenden Seiten erzählt, wie ihr Mann sie schon nach dem Kennenlernen „fettes Schwein“ genannt hat. So wie ihre Brüder früher übrigens auch. Und ihre Mutter? „hat oft geschimpft, dass sie die Frauen so furchtbar findet, die ihre Brüste zeigen. Ihr wäre es am liebsten gewesen, wenn ich immer nur Walle-Walle-Kleider angezogen hätte.“
Während die Dame, deren Name nur mit C. abgedruckt wird, den Grund ihrer Zweifel kennt und seit ihrer Jugend dagegen rebelliert, hat Inge ihr Selbstbewusstsein entdeckt, als sie in Thailand mit einem zu kleinen Bikini an den Strand musste. Und sich dann gar nicht so schlecht darin fand. Mittlerweile datet sie verschiedene Männer, um die alten Muster abzunutzen: „Diese Erfahrungen müssen den Kopfmenschen ausschalten und den Frauenkörper sicher machen. Erst wenn ich das richtig geübt habe, sehe ich jemanden, der auch als Partnerpotential hat.“
Die Frauen in diesem Buch sind nicht unreflektiert. Alle haben sich mit ihren eigenen Unsicherheiten auseinandergesetzt. Sich mit 35 besser verstehen gelernt. Das ist die Stärkte des Buches. Aber es suggeriert, dass Frauen Mitte 30 auf pragmatische, Uhr tickende Art und Weise daran erinnert werden, was im Leben eigentlich wichtig ist. Es scheint, als würden sich die ganzen hausgemachten Probleme in diesem Jahr herauswachsen. Suchen muss man nach Stellen und Gedanken, die daran erinnern, dass Selbstzweifel und Unsicherheiten in unzähligen Biographien von einem materialisierten oder idealisierten Frauenbild kommen. Wie eng die Oberteile oder wie kurz die Röcke sein dürfen, nämlich nicht so, wie auf Plakaten oder in Filmen, was wir als Partnerin zu leisten haben und zu welcher Zeit wir angemessen viele Kinder zu bekommen haben – abgesehen von der Beruf-und-Familie-Frage.
„Es wir mir in der Gesellschaft häufig das Gefühl gegeben, dass ich mir aussuchen kann, ob ich Kinder will oder nicht. Und trotzdem wird es eben doch von mir erwartet. Meine Familie wartet darauf, meine Großmutter ist 90 und ich glaube, sie würde schon sehr gern noch Uroma werden, bevor sie stirbt. Und das Argument gilt dann auch nicht, wenn ich sage, dass ich ja schon zwei Kinder habe.“ ..die ihr Freund mit in die Beziehung gebracht hat. Gerade die Entscheidung: möchte ich eigene Kinder oder nicht, ist eine, die besonders aggressiv von den Erwartungen der Familie und den Meinungen von Bekannten begleitet zu sein scheint. Die Familie, die sich doch so freuen würde. Bekannte, die finden Frauen seien egoistisch, wenn sie keine Kinder zu Welt bringen. Haltungen, die die Autorinnen sogar bis zu der Frage treiben: „Bin ich keine echte Frau, nur weil ich mich nicht danach sehne, Mutter zu sein?“
Man mag fast den Eindruck gewinnen, dieses Buch erzählt nicht von Frauen, die Fragen stellen, sondern von solchen, die sich selbst immer noch in Frage stellen oder das über viele Jahre über getan haben. Und ja, ich gleiche es mit meinem eigenen Leben ab. Weil ich selbstverständlich die freundlich gemeinten Kommentare meiner Familie und den erwartbaren Bruch, der auf meine Karriere zukommen würde, in meinen Gedanken mit mir herumschleppe. Aber ist es aus genau diesem Grund nicht nahezu eine Pflicht von Menschen, deren Gedanken um die Themen Gleichberechtigung und Gleichstellung kreisen, den gesellschaftlichen Diskurs darüber gerade zu rücken? Vielmehr würde ich mir Geschichten von Frauen sämtlicher Altersgruppen wünschen und darüber lesen, was sie diesem permanenten Ausgesetztsein von Druck und Erwartungen auf ihrem Weg entgegengehalten haben. Zur Inspiration. Gerade für Frauen unter 35.
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