"Was ist Macht?" steht noch im dritten Stock der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst (HGB) an einer Wand. Darunter hing bis vor kurzem ein Bild des Malereistudenten Martin Schwarze. Aufgehängt hatte er es für einen öffentlichen Rundgang der Hochschule im Februar - und seitdem hat der Student einiges gelernt, über Macht, Ohnmacht und Kunstfreiheit.
Sein Gemälde zeigte Bundeskanzlerin Angela Merkel vor schwarz-rot-goldenem Hintergrund, ihre Hände sind vor dem Bauch zur charakteristischen Raute geformt. Neben ihr steht eine schwarz vermummte Gestalt in Turnschuhen, das Sturmgewehr in ihren Händen zielt auf Merkels Kopf.
Zur Inszenierung des Merkel-Bildes gehörte auch ein Graffito: Während eines Ausstellungsrundgangs kam ein Vermummter und schrieb die Worte "WIR TÖTEN DICH!" quer über das Bild. Martin Schwarze wollte das so, die symbolische Drohung gegen den Künstler ist Teil des Werks.
"Vom Zeugen zum vermeintlichen Täter"
"Wer übt wie auf wen Macht aus?", das sei für ihn die zentrale Frage gewesen, sagt Schwarze. Die Terroristen auf den Staat, weil der IS Syrien und die Nachbarländer terrorisiert und Drohungen ausstößt? Deutschland, weil es den Gegnern Waffen liefert? Kann sich das Kräfteverhältnis umkehren - und wer wären dann die Opfer?
Die Realität brach in Schwarzes Gedankenwelt unvermittelt ein, als sich der polizeiliche Staatsschutz wegen "Sachbeschädigung" an seinem Kunstwerk meldete. Er solle "als Zeuge und Geschädigter" aussagen, schrieb ihm das 5. Dezernat der Polizeidirektion Leipzig, das sich um politische Straftaten kümmert. Schwarze erklärte, es liege keine Sachbeschädigung vor, der Schriftzug sei Teil des Kunstwerkes. Weil ihn die Sache trotzdem verunsicherte, nahm er sich vorsichtshalber einen Anwalt.
Zum Glück - denn dem Juristen Ralph Mayer liegt die mittlerweile geschlossene Ermittlungsakte vor. Und darin ist sein Mandant nicht nur Zeuge, sondern auch Beschuldigter: Die Polizei ermittelte gegen den Maler wegen einer möglichen strafbaren Aussage seines Bildes. Auch sind Mitteilungen der Kunsthochschulrektorin Ana Dimke Bestandteil der Akte. Martin Schwarze sei "auf kaltem Wege vom Zeugen zum vermeintlichen Täter" geworden, sagt Anwalt Mayer. Die Freiheit der Kunst habe die Beamten offenbar nicht interessiert, der Vorwurf der Gewaltverherrlichung finde sich "in der gesamten Akte".
Studentenvertreter gegen Rektorin
Empört ist auch Manuel Washausen, der Vorsitzende des Studierendenrats der Hochschule. Die Ermittlungen seien ein "Angriff auf die Freiheit der Kunst". Der Vorwurf der Studentenvertreter: Die Hochschule habe Namen und Kontakt des Künstlers dem Staatsschutz zugänglich gemacht, ohne Rücksprache mit Martin Schwarze, der sein Bild ohne Namensnennung ausgestellt hatte. Auch Schwarze sagt, er fühle sich "von der Hochschulleitung im Stich gelassen".
Am Mittwoch konfrontierten die Studentenvertreter die Rektorin in der Senatssitzung mit ihrem Vorwurf. Auf Anfrage von SPIEGEL ONLINE teilte eine Sprecherin der Hochschule mit, Ana Dimke könne sich persönlich erst in der kommenden Woche äußern.
In regem Austausch stand die Rektorin allerdings mit dem sächsischen Europaabgeordneten Hermann Winkler. Der CDU-Mann hatte per E-Mail einen Fragenkatalog an die Hochschule geschickt, der Schriftwechsel zwischen ihm und der Rektorin ist Teil der Ermittlungsakte. Ob der "Aufruf zur Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung angemessen" sei, wollte Winkler wissen. Ob Schwarzes Werk überhaupt noch von der Kunstfreiheit gedeckt sei. Und: Ob eine öffentlich finanzierte Kunsthochschule die "Proklamierung einer Ablehnung des Staates zu unterstützen" habe. Die Antwort von Rektorin Dimke: Das Kunstwerk sei von der Kunstfreiheit gedeckt, die Kritik Winklers weise sie zurück.
Kein Bedauern über die Ermittlungen
Am Telefon erklärt Winkler, dass er auch die Polizei auf das Bild aufmerksam gemacht habe. Er sei durch den Hinweis "einer besorgten Bürgerin" aufmerksam geworden. Winkler, der auch im Kultur- und Bildungsausschuss des EU-Parlaments sitzt, erklärt, er finde Schwarzes Bild "grenzwertig, und auch nicht unbedingt schön". Deshalb habe er ein Foto des Bildes an die Ermittlungsbehörden weitergeleitet. Wer sowas mache, müsse damit rechnen, dass der Staatsschutz sich meldet. Er habe keine Anzeige erstattet, begrüße aber die Ermittlungen.
Inzwischen ist das Verfahren zwar eingestellt, doch der Schreck sitzt Schwarze noch in den Knochen. Er werde auch weiterhin politische Kunst machen. Er sei überrascht, dass es in Deutschland dann doch so schnell geht, in den Fokus der Behörden zu geraten. Juristisch erledigt ist die Sache nicht: Schwarze und sein Anwalt erwägen zivilrechtliche und dienstrechtliche Schritte gegen die Ermittler.
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