Vier Intensivpfleger stehen am Bett, zwei auf jeder Seite. Sie zählen bis drei und drehen den Patienten vom Bauch auf den Rücken. Ein heikler Moment. Kein Schlauch darf abknicken, kein Zugang verrutschen. Für Intensivpflegerin Michaela Strätz ist das ein Kraftakt. 13 Jahre arbeitet sie schon auf der Intensivstation am Universitätsklinikum Dresden. Seit der ersten Welle kümmert sie sich um die Corona-Patienten.
Für sie kam der schnelle Anstieg der Patientenzahlen überraschend: "Es war klar, dass die vierte Welle kommt. Aber, dass sie so schnell auf uns einbricht, damit habe ich nicht gerechnet." Die Zahlen seien jetzt schon so hoch wie im vergangenen Jahr zu Weihnachten. Sie fragt sich, wohin das noch alles führe.
18 von 19 Patienten sind ungeimpftDer Sommer und die damit verbundene Erholung sei schnell vergessen, berichtet Strätz. Dazu käme die psychische Belastung, weil wieder täglich Patienten versterben. "Wir sind Intensivpflegekräfte. Wir sind immer mit dem Tod konfrontiert, aber nicht in dieser Hülle und Fülle."
Auf der Dresdner Corona-Intensivstation liegen derzeit 19 Patienten, von denen 18 ungeimpft sind. Für das Team ist das eine mentale Herausforderung. Immer wieder haben sie mit Patienten zu tun, die Corona immer noch nicht ernst nehmen. Angehörige würden manchmal anrufen und fragen, ob ihr Angehöriger wirklich Corona habe, obwohl es im Labor nachgewiesen wurde. Intensivpflegerin Strätz hat dafür wenig Verständnis. Doch sie könne sich nicht über jeden Patienten ärgern, das raube ihr zu viel Energie, die sie für die Versorgung ihrer Patienten brauche. Trotz allem Frust behandele sie alle Patienten gleich.
Karneval? Die Pflegerin sieht künftige PatientenPeter Spieth ist Leiter der Intensivstation am Universitätsklinikum Dresden. Er hofft, dass sich mehr Menschen impfen lassen, damit sich die Situation für sie wieder entspannt. "Gesunde Menschen, die geimpft sind, haben wir hier bisher noch nicht intensiv stationär behandelt." Geimpfte Patienten, die hier landen, hätten alle Vorerkrankungen gehabt. Er gibt Beispiele: Patienten mit Organtransplantationen oder einem geschwächten Immunsystem infolge einer Krebserkrankung.
Angesichts der Überlastung auf ihrer Intensivstation schaut Michaela Strätz mit Sorge auf Bilder vom Karneval vor einer Woche. "Ich selber liebe Karneval. Aber das einzige, was ich dort sehe, sind die potenziellen Patienten, die wir dann zwei Wochen später bei uns auf der Intensivstation haben werden." Sie selbst wolle dieses Jahr auch nicht auf den Weihnachtsmarkt gehen. Es fühle sich für sie nicht richtig an.
Unvorhersehbarer KrankheitsverlaufRund die Hälfte der Patienten an einer Herz-Lungen-Maschine sterben. Intensivpflegerin Strätz hat bis dahin wochenlang um das Leben gekämpft: "Du baust eine Verbindung zu den Patienten auf. Manche lächeln dich an." Doch die Situation der Patienten ändere sich häufig. Patienten, die sie am Abend noch versorgt hat, können am nächsten Tag schon verstorben sein. Der Krankheitsverlauf sei unvorhersehbar.
Mittlerweile seien alle routinierter, die Zusammenarbeit mit anderen Kliniken funktioniere gut, berichtet Intensivmediziner Spieth. Trotzdem sei die Lage in vielen Regionen Deutschlands angespannt. Die Belegung der Intensivstationen mit Corona-Patienten habe direkte Auswirkungen auf den normalen Betrieb, auch in Dresden. Jede fünfte nicht notwendige Operation werde hier bereits verschoben. Damit stehen sie deutlich besser da als andere Kliniken. "Wir haben weiter große Operationen. Es gibt Patienten, die schlimme Unfälle erleiden, auch die müssen intensiv medizinisch versorgt werden."
"Abends auf allen Vieren nach Hause"Der Pflegenotstand verschärft die Situation. Auf der Corona-Intensivstation des Universitätsklinikums Dresden sind von den 30 möglichen Betten derzeit fast ein Drittel gesperrt. Es fehle an Pflegekräften, so Spieth. Trotzdem könne man auf die aktuelle Entwicklung der Corona-Patienten reagieren und aufstocken, versichert er.
Mehr Geld für Pflegekräfte sei nicht die Lösung, sagt Intensivpflegerin Strätz. Natürlich freue sie sich über eine paar Euro mehr. "Aber das löst das Problem nicht, dass die Arbeitsbedingungen so sind, dass man abends auf allen Vieren nach Hause kriecht." Um den Beruf wieder attraktiver zu machen, müssten sich die Arbeitsbedingungen ändern. Sie selbst hat neben der Arbeit ein Studium begonnen - zur Berufsschullehrerin. Die Belastung als Intensivpflegerin sei zu hoch, um den Beruf bis zur Rente auszuüben. Ganz an den Nagel hängen will sie ihren Job aber nie.
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