Immer öfter kommen Schüler aus dem Ausland nach Deutschland, um hier Abitur zu machen. Deutschland hat international einen guten Ruf. Auch wenn die Deutschen selbst ihr Bildungssystem gerne schlecht reden. Am Internat Marienau in Niedersachsen schreiben in diesen Tagen die ersten internationalen Schüler ihr Abitur.
Von Jennifer Lange
Im Büro der Schulleitern Heike Elz blinkt es auf dem Bildschirm. Ein eingehender Skype-Anruf. Auf dem Bildschirm erscheint eine Chinesin, Mitte 50, kurze, dunkle Haare, im gut sitzenden Hosenanzug. Es ist Yihong Mao. Sie vermittelt für Heike Elz Schüler aus Shanghai nach Marienau. „Ich habe in den letzten Tagen wieder 26 neue Bewerbungen bekommen“, sagt Mao. Die Schule wolle aber nur fünf Schüler im neuen Schuljahr aufnehmen, sagt Schulleiterin Elz. „Für die chinesischen Eltern ist es eine Frage des Prestiges, ihre Kinder zu uns zu schicken. Oft haben sie nur ein Kind. Und in dieses Kind investieren sie alles“, sagt die 54-Jährige.
Sie sitzt in ihrem lichtdurchfluteten Büro im ersten Stock eines alten Bauernhauses. Das Internatsgelände war früher mal ein Gutshof. Elz dachte lange, ihr Internat sei nur für deutsche Schüler interessant. Doch es kamen immer mehr Anfragen aus dem Ausland. Deutschland hat international einen guten Ruf. Die Wirtschaft brummt. Schule und Studium in Deutschland sind günstig im Vergleich mit anderen Ländern. Und der Konkurrenzkampf im Bildungssystem ist geringer. In China konkurrieren die Schüler mit tausenden Gleichaltrigen um einen Studienplatz an einer beliebten Universität.
In Deutschland ist der Druck nicht so hoch. Fast alle internationalen Schüler wollen daher in Deutschland bleiben und studieren. Am liebsten Maschinenbau oder Elektrotechnik. Das gilt auch für Zhongyu. Die 15-jährige Chinesin sitzt im Matheunterricht und tippt auf ihrem Taschenrechner. Sie ist begeistert. Mit dem Gerät ist alles so viel einfacher. Zuhause in China durfte sie nur im Kopf rechnen. „Gruppenarbeit“, ruft Mathelehrer Ferdinand Sadrawtz-Hische der Klasse 10c zu. Stühle werden hin und her gerückt. Immer vier Schüler setzen sich um einen Tisch. Zhongyu zögert. Wo soll sie sich dazu setzen. Sie ist neu in der Klasse. Und Gruppenarbeit kennt Zhongyu aus China nicht. Da zieht sie Sofia zu sich an den Tisch. Sofia ist aus Mexiko. Aber schon länger an der Schule.
„Zu Anfang sind sie immer schüchtern. Von Zuhause kennen sie nur Frontalunterricht. Da wird nichts hinterfragt“, sagt Lehrer Sadrawtz-Hische. Auch er musste sich erst mal an die neuen Schüler gewöhnen. „Mittlerweile gehören sie aber einfach zum Schulbild dazu und das ist toll.“ Seit drei Jahren nimmt die Schule Marienau internationale Schüler auf. Es sollen nicht mehr als zwei Schüler aus dem gleichen Sprachraum in einer Klasse sein. Das ist die interne Regel. Die neuen Schüler aus Russland, Mexiko und China sollen sich integrieren und Deutsch lernen.
Sofia war schon in Mexiko auf einer deutschen Schule. Sprachprobleme hatte sie daher wenig. „Was am Anfang komisch war, dass ich einfach mit dem Fahrrad draußen durch die Felder fahren darf. Oder mit dem Bus nach Hamburg. In Mexiko durfte ich nie öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Das ist viel zu gefährlich“, sagt Sofia und dreht ihren geflochtenen Pferdeschwanz zwischen den Fingern. Ihre Eltern haben die 15-Jährige überall hingefahren.
Zhongyu fährt auch jedes Wochenende mit ihren chinesischen Freunden nach Hamburg. Sie braucht das Großstadtgefühl. Und ein gutes chinesisches Restaurant. Sie kommt aus Shanghai. Einer Stadt mit rund 14 Millionen Einwohnern. Marienau, bei Dahlem, ist ein kleines Dorf in Niedersachsen. Umgeben von Feldern und Wiesen. Es gibt einen Bäcker, und einen kleinen Supermarkt. Es klingelt zur Pause. Die Schüler der Klasse 10c springen von ihren Stühlen auf und rennen nach draußen. Auf dem Pausenhof setzt sich die Chinesin Zhongyu mit ihrer Zimmernachbarin Janice auf eine Bank in die Sonne. Sie planen ihren Sommerurlaub. In zwei Wochen geht es los, nach Shanghai.
„Ich bin schon so aufgeregt. Am Anfang haben wir immer nur darüber gesprochen wie toll es wäre, mal ihre Familie in China zu besuchen. Bisher waren wir immer nur bei mir Zuhause“, sagt Janice. Das Mädchen kommt aus einem kleinen Ort bei Osnabrück. Sie war noch nie so weit weg. Shanghai – das ist groß. Und sehr weit weg. In Deutschland habe sie das erste Mal Freizeit, sagt Zhongyu. Sie kann nachmittags zum Sport, auf ihrer Querflöte spielen oder Freunde treffen. Das war vor einem Jahr Zuhause noch undenkbar. Sie möchte daher auf jeden Fall in Deutschland bleiben.