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Tourismus: Zum Urlaubsparadies verdammt

Spanien vermeldet so viele Besucher wie nie. Auf Mallorca und in Barcelona protestieren Einheimische gegen steigende Mieten, verpestete Luft und schrumpfende Strände.



Für die meisten Deutschen hängt die Urlaubsplanung auch vom Weltgeschehen ab. Erdoğans Türkei ist nicht mehr so gefragt, Nordafrika liegt, zumindest gefühlt, sehr nahe am Einflussgebiet des sogenannten Islamischen Staats und in Frankreich gab es zuletzt immer wieder terroristische Anschläge. Die Alternative: Spanien, supersicher, supersonnig. Für die Deutschen ist das Land seit Jahren das beliebteste Urlaubsziel. Der diesjährige Besucheransturm aus aller Welt ist ein neuer Rekord. Allein in der ersten Jahreshälfte haben 36,3 Millionen Ausländer ihren Urlaub in Spanien verbracht - so viele wie nie zuvor.

Dass das einigen Einheimischen zu viel ist, ist nicht neu. Neu dagegen ist die Vehemenz, mit der sie protestieren. In Palma de Mallorca kleben seit einiger Zeit Plakate an den Häuserwänden auf denen steht: "Tourists = Terrorists" oder "Tourismus tötet die Stadt". Die Anwohner fürchten steigende , die Verdrängung aus der Innenstadt und den Verlust der Nahversorgung, weil Supermärkte Souvenirshops weichen. Am Ballermann beschweren sich die Anwohner über grölende Betrunkene, die sie nachts nicht mehr schlafen lassen. Morgens stolpern sie dann über Berge leerer Sangriabecher und müssen aufpassen, nicht in Erbrochenes zu treten.


Tourismus als Motor des Landes

Vergangenes Jahr befanden sich zeitweise knapp zwei Millionen Urlauber auf Mallorca, Einwohner gibt es nur halb so viele. Und dieses Jahr dürften es noch mehr Touristen werden: Für Juli und August ist die Insel zu 92 Prozent ausgebucht, meldete die Mallorca Zeitung. Ist das nun Horror oder Himmel? Das kommt wohl ganz auf den Standpunkt an: nimmt seit Jahren über 50 Milliarden Euro jährlich durch den Tourismus ein. Die Branche schafft eine riesige Zahl an Arbeitsplätzen, Ministerpräsident Mariano Rajoy bezeichnete sie sogar als "Motor" des Landes. 2016 machte der Tourismus rund 16 Prozent des Bruttoinlandsproduktes aus.


Gerade weil die Urlauber so viel Geld ins Land bringen, müssen die Kritiker großen Lärm machen, um gehört zu werden. Im Mai marschierten 200 als Touristen verkleidetet Mallorquiner in Badelatschen und mit Kameras behängt durch Palmas Straßen. Sie schrien "Paella, Paella" und zogen Rollköfferchen hinter sich her. Organisator der Demonstration war die Bürgerinitiative Ciutat per a qui l'habita, no per a qui la visita - "Die Stadt für die Bewohner, nicht für die Besucher". Offenbar blieb der erwünschte Erfolg der Demo aus, weswegen die Initiative jetzt zu drastischeren Mitteln griff: Anfang August klebten einige Anhänger Zettel mit der Aufschrift "Geschlossen" an die Tür des Tourismusministeriums.


Straßenschlachten in Barcelona

Verhärtete Fronten gibt es auch in Barcelona, der meistbesuchten Stadt des Landes. Anwohner klagen seit Jahren, dass ihnen ihre Prachtstraße Rambla nicht mehr gehöre, sie könnten diese nicht mehr betreten ohne von Touristen herumgeschubst zu werden. Hilfe erwarten sie sich von der 2015 gewählten Bürgermeisterin Ada Colau, einer früheren Linksaktivistin. Als Stadtoberhaupt muss sie sich heute natürlich an Gesetze halten. Im Mai 2016 geriet sie von Seiten der Linken in die Kritik, als sie zuließ, dass eine stillgelegte Bankfiliale, die seit 2011 besetzt war, von der geräumt wurde.


Die Hausbesetzer, die immer wieder gegen Massentourismus und Immobilienspekulationen demonstrieren, lieferten sich daraufhin Straßenschlachten mit der Polizei. Die Aktivisten und bis zu 1.000 Unterstützer zündeten Müllcontainer und Autos an, schlugen die Scheiben von Geschäften ein, Polizisten wurden mit Steinen beworfen. Laut einem Polizeisprecher Barcelonas war das eine nie dagewesene Eskalation in diesem Zusammenhang. Der Kommentar von Bürgermeisterin Colau, die vor ihrer Amtszeit selbst gegen Hausräumungen protestiert hatte: "Gewalt kann nie die Lösung sein."


Friedlicher protestierten Aktivisten zu Beginn des Jahres, indem sie Touristenbusse an der Weiterfahrt hinderten und zwei neue Hotels besetzten. Hauptgrund für die Wut der Bürger ist die Wohnsituation in Barcelona. In der Innenstadt leben immer weniger Einheimische, während mehr und mehr Hotels eröffnen. Oder die Wohnungen werden über Zimmervermittlungsportale wie HomeAway oder Airbnb teuer an Touristen vermietet. Die Folge: In den letzten Jahren ist die Zahl der Anwohner allein im traditionellen Gotischen Viertel von 27.000 auf 16.000 zurückgegangen.


Zumindest diesem Trend stellt sich die Bürgermeisterin entschieden entgegen. Weil sie ohne Genehmigung wiederholt Wohnungen an Touristen vermittelten, sollen Airbnb und HomeAway nun jeweils 600.000 Euro Strafe an die Stadt Barcelona zahlen.


Die Touristen kommen, der Strand geht

Ganz andere Effekte des Massenansturms beklagt die Umweltschutzorganisation GOB auf . Auf der Insel landet derzeit alle 80 Sekunden ein Flieger, für den Sommer wurden zusätzlich 90.000 Leihautos auf die Insel geschafft. Neben der Luftverschmutzung wird auch der Müll zum Problem. Überquellende Müllcontainer stehen in der Sommerhitze auf den Straßen, sie stinken und locken Ratten an, berichtet die Mallorca Zeitung. Im Juni habe die Müllmenge auf der Insel mit 20.861 Tonnen zwölf Prozent über der des Vorjahres gelegen. Die Stadtreinigung kommt nicht mehr hinterher und kann sich nur noch entschuldigen.

Während der Müllberg wächst, schrumpfen die Strände. Am Strand Es Trenc, einem der beliebtesten der Insel, sollen 19 Tonnen Sand pro Jahr verschwinden. An der Platja de Palma am Ballermann seien es sogar 82 Tonnen. Die Zahlen stammen aus einer Studie der Umweltschutzorganisation Amics de la terra (Freunde der Erde). Bei jedem Besuch nähmen die Besucher ein bisschen Sand in ihren Schuhen oder Hosentaschen mit, das summiere sich.

Wer seit Jahren kommt, kann es mit bloßem Auge sehen: Der Strand in Palma ist um einige Meter schmaler geworden. Um einem weiteren Schrumpfen vorzubeugen, fordert Amics de la terra, dass Algen und Seegras am Strand bleiben. Weil die Touristen einen weißen Traumstrand wollen, werden die Pflanzen regelmäßig weggebaggert, was die Erosion zusätzlich beschleunigt.


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