Was für eine Überraschung. Ausgerechnet auf Kreta, der griechischen Insel, auf der jeder gefühlt zwei öde Familienurlaube mit den Eltern verbracht hat, befinden sich drei der schönsten Strände der Welt. Sagen die Kretaner. Wohlgemerkt Strand. Nicht Bucht. Genau weiß es eigentlich keiner, aber alle drei seien mindestens in den Top Ten vertreten, wird mehrfach stolz berichtet. Die Top 100 stimmt eher, aber seien wir großzügig: Man ist ja im Urlaub. In jedem Fall sei der Besuch ein Muss. Eigentlich sollte man im Urlaub gar nichts müssen, aber Weltwunder und Top-Ten-Strände hebeln das Credo natürlich aus.
Ich entscheide mich für die Balos-Lagune, wo es neben karibisch anmutendem Wasser auch einen Berg mit einem alten Piratenfort zu besichtigen gibt. Beides lässt sich nur per Boot erreichen. Das sagt mir zu. Noch dazu sei die Aussicht auf dem Fort ein: Muss. Und Bootstouren auf kleinen Kuttern sind aufregend. Irgendjemand hängt immer ziemlich unwohl über der Reling.
Ich habe also keine Wahl, ich muss. Am Hafen von Kissamos warten sechs Fähren darauf, mit Hunderten Touristen Lagune und Fort einzunehmen. Das Transferboot versteht sich auch als Partyschiff, dreht beatlastige House-Musik auf. Der Kapitän, ein sonnengegerbter Seebär mit Zottelmähne und stechend blauen Augen begrüßt jeden persönlich.
Der minutiös durchgetaktete Zeitplan lässt uns drei Stunden in der Lagune. Das reicht auch. Außer einer bildschönen Kombination aus Felsen, glasklarem türkisblauen Wasser und weißem Sand gibt es nichts. Auch keinen Schatten. Man unterzieht sich einer Art Express-Röstung und torkelt am Ende leicht benommen aber glücklich dem Boot entgegen. Das ist pünktlich bereit zum Ablegen.
Am Morgen hatte ich noch überlegt, ob Flipflops für einen Tag am Strand ausreichend wären. Dann fiel mir das Fort auf dem Berg ein und ich entschied mich sicherheitshalber für Sandalen. Als das Boot in Gramvousa anlegt, springe ich von Bord, bereit für den Aufstieg. Zu meinem Entsetzen kramen andere Passagiere erst einmal Wanderschuhe aus ihren Strandtaschen hervor. Wie schlimm kann es werden, denke ich, im Prospekt hatte ich nur etwas von einer Treppe gelesen.
Doch dieser Begriff ist recht dehnbar - und entpuppt sich als eine Reihe von Felsvorsprüngen, die nach zwei Dritteln des Weges ganz enden. Nach einem Drittel pausiere ich, wische die Schweißperlen vom Gesicht und zweifele, ob ich für Kletterpartien bei 37 Grad gemacht bin. Vorbei ziehen Wanderschuhe, trittsicher, dynamisch - eben nicht so wie ich. Ich proste bekannten Gesichtern mit der Wasserflasche zu. Soll ich aufgeben? Aber ich muss doch da hoch!
Mein Blick fällt auf das Schuhwerk einer reichlich untersetzten Amerikanerin: Flipflops! Mein Ehrgeiz ist geweckt. Immer nur die nächste Stufe im Blick, bezwinge ich den Berg. Um festzustellen: Von dem Fort ist nicht mehr viel übrig. Doch die Aussicht ist sensationell. Türkistöne und unberührte Inseln, wohin das Auge reicht. Trotzdem fühle ich mich ruhelos: Was hoch geht, muss auch wieder runter - und das ist erfahrungsgemäß die größere Herausforderung. Zehn Minuten irre ich umher, schieße Fotos und entscheide mich dann für einen frühen Abstieg. Mein Partyboot ist das letzte am Anleger. Sollte es streng nach Zeitplan ohne mich ablegen, müsste ich im Open-Air-Fort übernachten.
Ich taste mich vorsichtig voran, da eilt ein Mann in Badeshorts und Flipflops an mir vorbei. Auf der Schulter trägt er ein Kleinkind. Der Mann ist Wiener und hat es scheinbar auch eilig, weil der kleine Mann auf der Schulter offenbar ein Windelproblem hat, wie ich dem nicht eben leisen Zwiegespräch entnehme. Flink wie eine Bergziege steigt er hinab, und ich hinterher. Ich setze meine Schritte genau wie er. Weil ich mich dabei sehr konzentrieren muss, merke ich erst, als ich plötzlich die Füße vor mir nicht mehr sehe, dass wir unten angekommen sind. Was bin ich froh.
Aber die Aussicht da oben ist wirklich ein Muss.