Darf man Stylisten, Stars und den Farbgurus der Firma "Pantone" glauben, kommen wir 2016 an zwei Farben nicht vorbei: Rosa und Hellblau. Für mich gibt es also Hoffnung. In diesem Jahr drehte sich nämlich alles um Marsala, ein erdiger Weinrotton, benannt nach dem gleichnamigen Likörwein. Zufriedenheit und Vertrauen soll die Farbe ausstrahlen - und angeblich wirklich jedem Typ stehen. Ich sehe in Marsala aus, als steckte ich inmitten der Vorbereitungen für einen Gastauftritt in der Zombieserie "The Walking Dead" - als Zombie, versteht sich. Anstelle meiner Augen werden in Marsala-Outfits die Ringe darunter betont, und meine Haut wirkt seltsam blutleer.
Pragmatisch erklärte mir eine befreundete Designerin: "Keine Farbe steht jedem und keinem steht jede Farbe." Hätte man wissen können. Und bei Marsala ist die Sache wie gesagt eindeutig. Aber wie sieht es mit Zuckerwatterosa und Babyblau oder Exotenfarben wie Lindgrün, Malve oder Eisenoxidgelb aus? In welchen Farben sieht man gut, in welchen nach Grippe-Opfer aus?
Schnelle Antworten gibt ein Farbberatungstest im Internet. In wenigen Klicks wird man mittels Fragen wie "Welchen Prominenten ähneln sie am meisten?" in eine Gruppe angeblich typähnlicher Prominenter eingeordnet. Ich gehöre in Gruppe A: Goldie Hawn, Anna Kournikova, Angela Merkel und Boris Becker. Allein der Gedanke, wie sich die Kanzlerin und Bum-Bum-Becker im Partnerlook die Bälle zuschmettern!
Zwischenlösung schwarzer CardiganGoogle hält in 17.500 Ergebnissen einige solcher Tests parat. Fünf Fragerunden später glaube ich, irgendwo zwischen dem warmen Frühlings- und dem kühlen Sommertyp zu stehen, außerdem wird mir folgender Rat erteilt: "Bei der Farbwahl sollte auch immer auf die individuelle Persönlichkeit geachtet werden." Ich fühle mich persönlich im Stich gelassen und hülle mich trotzig in einen schwarzen Cardigan.
Das System, Menschen und ihren Farbtyp nach Jahreszeiten zu ordnen, ist so alt wie überholt. Farbfamilien werden der Einfachheit halber auf ihr Oberhaupt reduziert und mit Pauschalaussagen wie "Meiden Sie Rot!" verunglimpft. Dabei genügt ein Blick in den Tuschkasten, um fast selbstverständlich festzustellen: Rot und Rosa gehören zwar zur gleichen Familie, stellen sich aber besonders in textiler Form völlig unterschiedlich dar. Veronika Wimmer von Imago Berlin, einer Farbberatungsfirma in Berlin, erkannte diesen Denkfehler schon vor 15 Jahren. Nämlich als Kundinnen sich im engen Korsett des Jahreszeitentyps nicht so recht wiederfinden wollten und den Beratungstermin eher nörgelnd als flötend verließen.
Sie entwickelte ihre eigene Technik zur Typbestimmung und gibt erst mal allen Farben eine Chance, bis sie im Ausschlussverfahren das Spektrum eingrenzt. Ihr Studio liegt in Kreuzberg, dem Szenekiez Berlins. Noch vor dem tatsächlichen "Hallo" sprechen sich Veronika Wimmers pinkfarbener Lippenstift und das Grafikkleid, auf dem farbtechnisch ein Tornado tobt, für alles aus, was über die sicheren Häfen Schwarz, Weiß und Grau hinausgeht. Ihre Haare sind wuschelig kurz und stehen im harten Kontrast zu ihren hellen Augenbrauen.
Farbberatung oder schamanisches RitualWimmer begrüßt mich mit der Gemächlichkeit einer Heilpraktikerin. Und spätestens nachdem die Farbberaterin mich in einen weißwandigen Raum bringt, in dem Kleiderständer, behangen mit Stoffen, und zwei riesige Tische stehen, ebenfalls übersät mit farblich sortierten kleinen Stoffschnipseln, wird es irgendwie esoterisch. Ich starre auf ein Kuhfell, das, mit dem Porträt eines Kindes bedruckt, an der Wand hängt, und grübele, was Frau Wimmer wohl meinte, als sie ankündigte, ich würde mich heute noch mal ganz neu kennenlernen.
In der Ecke stehen zwei Scheinwerfer. Ihr gleißendes Licht leuchtet einen ledernen Drehstuhl vor einer Spiegelwand aus. Veronika Wimmer gießt spanischen Früchtetee in zwei Gläser und sieht mich prüfend an. "Wie geht es Ihnen heute?", fragt sie, und ich fühle mich, als würde ich gleich Zeuge eines schamanischen Rituals.
Tatsächlich ist so eine Farbberatung eine ziemlich einmalige Angelegenheit. Denn der Farbtyp verändert sich im Laufe des Lebens nicht. Selbst Sommerbräune oder eine neue Haarfarbe beeinflussen nur Nuancen, die Farbe der Unterhaut und jene der Augen bleibt immer gleich. Sind die passenden Farben einmal bestimmt, kann man sich ein Leben lang an ihnen orientieren. Und weil das in drei Mausklicks nicht zu bewerkstelligen ist, hat Veronika Wimmer für die Beratung heute satte zweieinhalb Stunden veranschlagt.
Foto: Jennifer Hinz
Los geht's: Anhand farblich sortierter Stoffschnipsel soll ich sagen, welche Farben ich gerne trage. Ich deute auf ein paar Pastelltöne und einen satten Korallton. Die Farbexpertin quittiert meine Wahl durchweg mit ausdrucksloser Miene und einem "Hmm-hm" in verblüffend hoher Tonlage. Offenbar gibt es noch kein richtig und kein falsch, kein "Na, ich sehe schon, mit Ihnen wird das heute ein einfacher Ritt, Sie wissen ja schon, was Ihnen steht."
Bevor es richtig losgeht, legen wir noch eine Teepause ein. Die sind Veronika Wimmer wichtig. Es gebe ja viel zu verarbeiten. Wir wechseln auf den Stuhl im Scheinwerferlicht. Ich muss mich abschminken. Runter mit allem, was meinen Typ beeinflussen könnte, weg mit den künstlichen Kontrasten. Zum Vorschein kommt ein blasses Gesicht. Ich fühle mich entblößt.
Die Beraterin holt einen Ring mit unifarbenen Stofftüchern herbei. Wir würden zuerst mit einer groben Einschätzung anfangen und später ins Detail gehen, sagt sie. Veronika Wimmer beginnt, eines der Tücher um meinen Hals zu drapieren. Ein unspektakuläres Dunkelblau. Passt, wusste ich aber auch schon.
"Hmm-hm", tschilpt mein Farbguru und legt mir anschließend ein sattes Grün um den Hals. Ich sehe nun ungesund gelb im Gesicht aus. Das geht gar nicht, da sind wir uns einig, und es folgt ein Türkiston, der meinem müden Winterteint Leben einhaucht und den "wir uns für später zur Seite legen". So geht das Stoff um Stoff, etwa 50 Mal.
Blau funktioniert - und FuchsiaDanach: Tea-Time, verschnaufen. Wir ziehen eine erste Bilanz: Blau geht immer, mit Gelb-, Grün und den meisten Rottönen bin ich dagegen inkompatibel. So diskutieren wir uns durch den nächsten Stoffring, am Ende sind über 110 verschiedene Farben zum Test angetreten. Keine meiner Lieblingsfarben ist aus dem Rennen geflogen. Größere Diskussionen blieben aus. "Ich muss eigentlich nie am Ende mit Kunden diskutieren. Die Leute sehen ja selbst, wenn etwas so gar nicht zu ihnen passt", sagt die Farbexpertin.
Erst als mir die Farbexpertin rät, bei meinem Lippenstift dringend auf Fuchsia-Töne zu setzen, verebbt mein zustimmendes Nicken. Fuchsia? Dieses kreischige Pink?! Alles in mir bäumt sich auf. Pink ist was für Frauen, die von sich auch mit 30 noch als "Mädchen" sprechen.
Noch einmal versinke ich in einem Wirrwarr aus Tüchern. Na schön, stimmt: Lilastichiges Pink funktioniert besser als sattes Bordeauxrot. Das könne man auch fühlen, sagt sie, blickt in mein verständnisloses Gesicht und fährt fort: "Falls Sie sich darauf einlassen wollen, würde ich gern ein kleines Experiment mit Ihnen machen." Nun tanzen wir doch gleich in Trance um eine Duftkerze, schwant es mir.
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Veronika Wimmer bittet mich, die Augen zu schließen. Sie wolle mir nun verschiedenfarbige Tücher um den Hals legen und ich solle sagen, was ich zur jeweiligen Farbe für ein Gefühl habe. So spüre ich im Dunkeln nach meinen Empfindungen. Das Resultat ist erstaunlich. Es überschneidet sich mit unseren bisherigen Ergebnissen. Schwarz empfinde ich als schwer und unangenehm - es steht mir ja auch nicht - helles Petrol dagegen als fantastisch.
Unser empfindsames Verhältnis zu Farben wird, gerade wenn es um Kleidung geht, häufig unterschätzt. Gilt es zu entscheiden, ob ein Zimmer in Blau oder Rot gestrichen werden soll, ist die Wahl schnell klar. Geht es um Bekleidung, tun wir uns ungleich schwerer. Farben beeinflussen das Wohlbefinden, pushen oder mindern unser Selbstbewusstsein, wenn sie uns als Klamotte durch den Tag begleiten. Zu einem sicheren Auftreten gehört ein sicheres Händchen in Sachen Mode. Auch Stilberater Jan Schaumann kennt die mitunter zerstörerische Kraft der Farben: "Ein noch so gut sitzendes Outfit bringt nichts, wenn am Ende die Farben den Träger unvorteilhaft erscheinen lassen."
Aus diesem Grund kämen vor allem Männer der Karriere wegen zur Farbberatung, beobachtet Veronika Wimmer. Bei Frauen sei das zwar ebenfalls ein häufiger Grund, die würden ihr neu gewonnenes Farbbewusstsein aber auch privat nutzen. Die Expertin gibt mir eine Art Faltbroschüre mit, in die sie alle Farben, die wir für gut befunden haben, als Schnipsel einklebt. Sozusagen mein farblicher Wegweiser für die Ewigkeit.
Auf dem Rückweg investiere ich in einen pinkfarbenen Lippenstift mit kühlem Lilastich. Das nimmt aber keiner wahr. Stattdessen heißt es: "Du siehst ja erholt aus. Warst du im Urlaub?"
Veronika Wimmer hat auch ein Buch zum Thema Farbberatung veröffentlicht: "Mein schönstes Ich", Kreuz Verlag, 16,99 Euro. Weitere Informationen zu ihrer Firma Imago finden Sie hier. Folgen Sie uns auch auf Facebook: