Bitte nicht den Pokal vorbeibringen müssen! Diese Angst treibt alle an, die Fans der Seattle Sounders, der Vancouver Whitecaps und der Portland Timbers.
Denn die drei benachbarten Teams der US-Fußballprofiliga Major League Soccer (MLS) tragen jedes Jahr einen Wettstreit aus. Wer in den Partien gegeneinander am häufigsten siegt, gewinnt den "Cascadia Cup". Und die Fans der unterlegenen Teams müssen die silberne Schale mit Marmorsockel im Klubhaus des Siegers überreichen, wo sie mit Bier und voller Schadenfreude empfangen werden.
Es steht also einiges auf dem Spiel, beim MLS-Duell am Abend zwischen den Seattle Sounders und den Portland Timbers (20.30 Uhr). Nicht unbedingt sportlich: In der "Western Conference" spielen beide Teams unauffällig mit. Auf den Rängen sieht das anders aus. Denn die Kurven der Klubs sind das Beste, was der US-Fußball derzeit zu bieten hat.
Das gilt vor allem für die "Timbers Army", die Anhängerschaft aus Portland. Die Nordkurve im Providence Park besteht jeden Vergleich zu europäischen Szenen, mehrere Tausend Anhänger singen und schwenken Fahnen. Berühmt geworden ist die Timbers Army vor allem durch ihre aufwendigen und kuriosen Choreografien. Neulich etwa, beim MLS-Auftakt gegen Minnesota United, präsentierten die Anhänger ein überdimensionales Konterfei des krausköpfigen Fernsehmalers Bob Ross, der anstelle des sonst üblichen Seepanoramas das Timbers-Logo pinselte.
Was war nochmal die Nachspielzeit?
Finanziert werden die Materialien durch den Verkauf von Fanartikeln. "Wir wollen kein Geld vom Klub" sagt Fan-Aktivistin Sherrilynn Rawson. Unabhängig vom Klub zu sein, das hat man sich aus Europa abgeschaut, ebenso wie die Vorsänger, die die Nordkurve antreiben. Und auch den Namen des Hauptquartiers der Timbers Army haben sie sich abgeguckt, es heißt "Fanladen" wie beim FC St.Pauli in Hamburg. "Ein Zeichen der Ehrerbietung für diesen tollen Klub" sagt Rawson.
Aus Südamerika wiederum kommen die langen Choräle mit unzähligen Strophen. Und sehr regional ist das Maskottchen der Kurve, Holzfäller "Timber Joe" mit hochgekrempeltem Karohemd. Der wirft bei jedem Portland-Treffer vor der Fankurve seine Kettensäge an, sägt eine Scheibe von einem Baumstamm ab und reicht diese unter großem Jubel in den Fanblock, wo sie pathetisch geherzt und geküsst wird. Und wenn der Holzfäller nichts zu tun hat, weil einfach kein Tor für Portland fällt, stimmt die Kurve fünf Minuten vor Schluss den Elvis-Presley-Klassiker "Can't Help Falling In Love" an. Selbstironie hilft immer.
Das alles ist ein auch für den neutralen Zuschauer amüsantes Spektakel. Trotzdem lassen sie in Seattle kein gutes Haar an der Konkurrenz aus Portland. Die Anhänger der Sounders sind Veteranen der Szene. Schon in den Achtzigerjahren, als der US-Soccer noch in einer chronisch unterfinanzierten Pleiteliga namens NASL organisiert war, war ein Sounders-Team dabei. Die Atmosphäre glich damals allerdings der beim Football. Picknickkörbe und Winkhände aus Schaumgummi dominierten die Szenerie. Manchem Zuschauer musste erst das Konzept der Nachspielzeit erklärt werden.
Inzwischen herrscht bei den Sounders ebenfalls eine prächtige Stimmung. Unter "Groundhoppern" gilt die Seattle-Szene als deutlich anarchischer als die in Portland. Der Humor der Kurve jedenfalls ist schräg. Als die Sounders Portland vor kurzem 4:2 besiegt hatten, gaben die Anhänger aus Seattle den Gästen noch einen Trost mit auf dem Heimweg, auf mehreren Spruchbändern präsentierten sie nämlich den kompletten Refrain der Rick-Astley-Discopeitsche aus den Achtzigern: "Never gonna give you up".
"Wir sind zu Sportkonsumenten erzogen"
An anderen MLS-Standorten, ob in Dallas oder Chicago, schauen sie neidisch in den Nordwesten. Vor allem, weil hitzige Derbys im US-Soccer eher Seltenheit sind. Das liegt auch an den beträchtlichen Entfernungen. "Dieses Jahr war ich auswärts in Columbus, Atlanta und New York" sagt Scott Green, Anhänger des Schweinsteiger-Klubs Chicago Fire. "Nach Columbus bin ich sechs Stunden gefahren. Nach Atlanta und New York musste ich fliegen, das war richtig teuer." Das größere Hindernis für gute Stimmung ist für Green jedoch die Mentalität der US-Fans. "Wir sind zu Sportkonsumenten erzogen. Wir starren auf die Videowand, die uns mitteilt, wann wir zu applaudieren haben. Und wer gegen einen miesen Besitzer protestieren will, geht einfach nicht mehr hin".
Das Klischee vom brav klatschenden Soccerfan mag auf Chicago zutreffen, anderswo in der Liga geht es auf den Rängen leidenschaftlicher zu. So leidenschaftlich, dass die Klubs inzwischen angehalten sind, streng durchzugreifen. Wer den Referee oder den Gegner beleidigt, wird in den meisten Stadien schnell von Stewards herauskomplimentiert. Die Timbers Army in Portland hat deshalb ihren Mitgliedern einen Gesangszettel an die Hand gegeben - mit unbedenklichen, weitgehend jugendfreien Songs. Derlei Kontrollwahn wirkt auf europäische Zuschauer oft befremdlich, so glaubt die MLS jedoch die Gewalt aus den Stadien heraushalten zu können.
Wenn dann doch mal Anhänger aneinandergeraten, dann geraten die Konfrontationen eher kurios, gerade weil man sich an europäischen Vorbildern orientiert. Vor Jahren prügelten sich Fans der beiden New Yorker Klubs vor dem Derby in Brooklyn und trugen dabei nicht nur die bei englischen Hooligans beliebten Casual-Hemden, sondern imitierten auch noch den derben Cockneyslang britischer Arbeiter. T.J. O'Toole kann mit den Hauereien wenig anfangen. "Wir sind doch nicht mehr in den Achtzigern" sagt der Mitbegründer der "Chicken Buckets", des größten Fanklubs des New York FC.
Auch in Portland ist Gewalt kein Thema. Man setzt eher auf optische Reize und stimmungsvolle Chants. Und wenn es schiefgeht, tragen sie zur Not auch einen silbernen Pokal hinüber zum Erzfeind. "Aber ganz ehrlich" sagt Timbers-Fan Sherrilynn Rawson, "das würde ich uns lieber ersparen."