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Belästigung : "Ich werde täglich belästigt, aber will kein Opfer mehr sein"

Bild: Obex

Sein Zigarettengestank schlägt mir entgegen, als er noch im letzten Moment in die Straßenbahn einsteigt. Ich merke erst gar nicht, dass er sich an mich presst. Um ehrlich zu sein, merke ich es schon, aber ich schiebe es darauf, dass so viele Leute im Waggon sind. Als sich die Bim leert, steht er immer noch direkt hinter mir. Ich spüre seinen Ständer an meinem Hintern. Ich ertrage es nicht länger, steige aus und laufe schluchzend nach Hause. Ich bin 14. Was ich zu dem Zeitpunkt noch nicht weiß: Es wird nicht das letzte Mal sein, dass ich mich so hilflos fühle. Es hat gerade erst begonnen.


Ich bin keine Ausnahme.

Was mir als Teenagerin passiert ist, widerfährt so ähnlich jeder dritten Frau in Österreich. Laut einer EU-weiten Studie der FRA, der Europäischen Union für Grundrechte, haben 35 Prozent der österreichischen Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr eine Form von s exueller Belästigung erlebt. Was unter sexuelle Belästigung fällt, ist jedoch nicht immer eindeutig. Sie erinnern sich an die „Po-Grapsch-Debatte", in der diskutiert wurde, ob die „Berührung" des Hinterns sexuelle Belästigung sei. Die Frage hat sich mir nie gestellt, ich fand das sehr eindeutig. Im Gesetz ist jedenfalls die Rede von intensiven Berührungen in der Geschlechtssphäre und verletzter Würde. Seit 2016 sind zusätzlich zu den Geschlechtsteilen auch Po und Oberschenkel rechtlich geschützt.


Meine Würde fängt nicht erst bei Berührung an.

Verletzend für die Würde sind aber nicht nur Berührungen. Was ist mit dreckigen Blicken in der U-Bahn, sexualisierenden „Komplimenten" auf der Straße oder Tiergeräuschen beim Spazieren­gehen? Die sind ebenso degradierend und menschenunwürdig, fallen aber leider in keine Statistik. Wenn ich mich in meinem persönlichen Umfeld umhöre, dürfte der Prozentsatz jener Frauen, die irgendeine Form von sexueller Belästigung, einschließlich der eben genannten, erlebt haben, bei 100 liegen. „Frauen sind nicht sicher auf den Straßen, am Arbeitsplatz und schlussendlich auch nicht zu Hause, dem Platz, an dem sie Schutz finden sollten", lautete auch die Conclusio des FRA-Direktors Morten Kjaerum zu seiner Studie.


Diese Stadt gehört nicht mir.

Seinen Befund konnte ich im vergangenen Sommer besonders gut nachvollziehen. Einen ganzen Tag über werde ich mit herabwürdigenden Sprüchen belästigt, mit Blicken beschmutzt, mit Geringschätzung beleidigt. Als Krönung kommt mir am Abend eine ­Gruppe junger Männer entgegen: Das Herz rutscht mir in die Hose. Ein beklemmendes Gefühl macht sich in der Brust breit. Soll ich die ­Straßenseite wechseln? Sie gehen vorbei, nichts passiert. Ich atme hörbar aus und kann es kaum erwarten, endlich die Haustür hinter mir zu schließen. Frau härtet mit der Zeit ab, aber an diesem Tag ist es mir zu viel. Ich fühle mich wie ein Fremdkörper in dieser Stadt: Sie gehört mir nicht. Ich kann mich hier nicht frei bewegen. Nur mein subjektives Empfinden?


Männer fühlen sich sicherer.

Im Wiener Gleichstellungsmonitor 2013 gaben 79 Prozent der Frauen an, dass sie sich in ihrem Wohnumfeld im Hinblick auf sexuelle Übergriffe und Belästigungen sicher fühlen. Jedoch fühlen sich vor allem Frauen unter 30 Jahren vor sexuellen Übergriffen und Belästigungen sowie dem Verfolgtwerden unsicher, hieß es im selben Bericht. Dafür fürchteten Frauen über 30 eher Kriminaldelikte. In allen ­Bereichen zeigte sich jedenfalls ein geringeres Sicherheitsempfinden bei Frauen als bei Männern.


Wie hoch das Sicherheitsgefühl wohl wäre, wenn die Befragung ­heute durchgeführt würde? Meine Vermutung: nicht so hoch. Das Sicherheitsempfinden ist nämlich stark subjektiv und beeinflussbar. So meint Thomas Keiblinger, Presse­sprecher der Landespolizeidirektion Wien, dass „ Medien im Bezug auf das Sicherheitsempfinden eine große Rolle spielen". Also habe ich vielleicht damit übertrieben, dass ich mich nicht sicher oder gar gefährdet fühle?


Auf meiner Stirn steht "serbische Hure".

Ich denke nicht, denn die unzähligen ­Hasskommentare, die ich im Laufe meiner journalistischen Laufbahn erhalten habe, waren sehr real. In diesem Beruf braucht man ganz klar eine dicke Haut. Dass Mord- und Vergewaltigungsdrohungen aber irgendjemanden kaltlassen würden, wage ich zu bezweifeln. „Ich kann es kaum erwarten, an einer dunklen Ecke auf dich zu warten und dich zu vergewaltigen." „Ich bringe dich um, du kleine Schlampe." Zeilen von unbekannten Lesern. Alles, was sie geschrieben haben, bleibt an mir kleben. Nach einem nationalismus- und faschismuskritischen Artikel im Magazin Biber renne ich wochenlang mit einem imaginären Post-it auf der Stirn herum, auf dem „serbische Hure" steht.


Die Kombination aus jung, weiblich, migrantisch verschafft mir ­viele Chancen, bietet aber gleich drei ­Angriffsflächen. Sämtliche meiner Kolleginnen, die sich mit Politik oder frauenpolitischen Themen befasst haben oder überhaupt als starke Frauen mit Meinung aufgetreten sind, können davon ein (Klage-)Lied singen. Wie viel Hass im Netz verbreitet wird, lässt sich kaum in Zahlen ausdrücken. Auf Anfrage bei der Landespolizeidirektion Wien konnte man mir keine Statistik zu Hasspostings übermitteln. Und auch wenn es eine solche gegeben hätte, wäre die Aufschlüsselung nach Geschlecht nicht möglich gewesen. Man weiß aber: Im Internet kann jeder surfen und Hasspostings gibt es demnach wie Sand am Meer. Doch nur vergleichsweise wenige dieser sintflutartigen Ergüsse können wirklich bestraft werden, denn die Tatbestandsmerkmale der Verhetzung oder gefährlichen Drohung müssen erfüllt sein, um strafrechtlich relevant zu sein.


Mir reicht es jetzt.

So wate ich also durch die Straßen, stolpere durchs Internet und ertappe mich immer öfter in der Opferrolle. Und wenn ich in eine für mich unangenehme Situa­tion gerate, dann mache ich, was viele Frauen machen: Ich versuche, zu deeskalieren. Nicht unangenehm aufzufallen. Mich zurückzunehmen. Das hat jetzt ein Ende.


An einem Tag, es ist gar kein besonderer Tag, ertappe ich wieder einen Starrer in der U-Bahn und tue etwas, was ich schon viel früher hätte tun sollen: Ich schaue zurück. Und dann passiert etwas, was mir bis dahin nicht oft passiert ist. Ihm ist es unangenehm und nicht mir. Plötzlich fühle ich mich stark. Das soll nicht bedeuten, dass man niemanden mehr anschauen, anlächeln oder ansprechen darf. Aber die Blicke, die mir Unwohlsein bereitet haben, unterbinde ich ab jetzt. Und bisher hat jeder Einzelne als Erster weggesehen. Es klingt nach wenig, fällt mir aber sehr schwer und fühlt sich jedes Mal wie ein kleiner Triumph an.


Ich gebe nicht kampflos auf.

Es ist kein Kampf gegen die Männer. Ich liebe sie. Es ist ein Zeichen für mich als Frau. Und gegen ein System, das es Männern erlaubt, zu denken, sie hätten ein vermeintlich gottgegebenes Privileg, alles für sich einzunehmen. Ich hole mir meinen Raum ab sofort zurück. Durch meinen Gang, durch meinen Blick, durch meine Gedanken. Nie wieder will ich mich so hilflos wie mein 14-jähriges Ich fühlen. Noch immer überkommen mich an gewissen Tagen Unsicherheit und Schwäche. Aber ich habe den Weg gewählt, stark zu sein und für mich und andere Mädchen und Frauen einzustehen, und nichts und niemand kann mich mehr davon abhalten.

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