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Rot-grüne Länder stellen sich gegen Abschiebungen

Foto: dpa

Innenminister de Maizière hält Abschiebungen nach Afghanistan für vertretbar, weil es in Kabul oder im Norden des Landes sichere Gebiete gebe. Etliche Menschenrechtsorganisationen beurteilen das ganz anders. Auch in den Ländern regt sich Widerstand.

Am Mittwoch sollen 50 Menschen unfreiwillig den Flughafen München in Richtung Afghanistan verlassen: In der dritten Sammelabschiebung seit Ende 2016 sollen abgelehnte Asylbewerber in ihr Herkunftsland zurückgeschickt werden. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) hat zuvor bekräftigt, die Einschätzung des Bundesinnenministeriums und des Auswärtigen Amtes ließen solche Rückführungen "in gesicherte afghanische Provinzen" zu. Bayern werde sich daher auch künftig an Abschiebungen beteiligen. In anderen Bundesländern regt sich hingegen parteiübergreifender Widerstand.

Anfang Februar hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) noch verkündet, Bund und Länder hätten sich auf das gemeinsame Ziel verständigt, die Zahl der Abschiebungen durch engere Zusammenarbeit und beschleunigte Verfahren zu steigern. Doch schon damals reagierten die Länder zurückhaltend: Sie wollten ihre endgültige Zustimmung vom konkreten Gesetzestext abhängig machen, einzelne wünschten Sonderbedingungen.


De Maizière: Abschiebungen "in kleinem Umfang" vertretbar

Inzwischen verweigern fünf Bundesländer ihre Kooperation, am deutlichsten ist Schleswig-Holstein. Dort ordnete Innenminister Stefan Studt (SPD) an, dass das Land in den kommenden drei Monaten "bis zu einer Neubewertung der Sicherheitslage durch die Bundesregierung" keine Menschen mehr nach Afghanistan abschieben wird. Bremen, Thüringen, Rheinland-Pfalz und Niedersachsen schlossen sich an.

"Nichts ist dort sicher", sagte Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) am Mittwoch im Landtag mit Blick auf Afghanistan. "Sie sehen mich zutiefst enttäuscht von der Position der Bundesregierung in Gänze." Der dreimonatige Kieler Abschiebestopp läuft am 10. Mai aus. Sein Ziel sei es, danach einen bundesweiten Abschiebestopp zu erreichen, wenn sich die Lage bis dahin nicht verändert, sagte Albig. Bundesinnenminister Thomas de Maizière habe eine technokratisch-zynische Sicht auf Afghanistan.

Das rot-rot-grün regierte Berlin wird sich nach den Worten mehrerer Koalitionspolitiker ebenfalls nicht an Sammelabschiebungen nach Afghanistan beteiligen. "Man kann Menschen nicht nach Afghanistan abschieben", sagte die migrationspolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Canan Bayram, im RBB-Inforadio. "Die Menschen sind dort an Leib und Leben gefährdet. Das wäre verantwortungslos, das machen wir in Berlin nicht."


Ein Sprecher der Innenverwaltung verwies allerdings darauf, dass es keinen generellen Abschiebestopp in Berlin gebe: "Weder für Afghanistan noch für andere Staaten." Bei jeder Abschiebung finde eine gründliche Abwägung des Einzelfalls statt. "Straftäter und/oder Gefährder sollen auch weiterhin abgeschoben werden können, auch nach Afghanistan." Innensenator Andreas Geisel (SPD) habe jedoch keinen Hehl daraus gemacht, dass er die Sicherheitslage in Afghanistan für schwierig halte, fügte der Sprecher hinzu.


De Maizière unterstellt parteipolitisches Kalkül

Der Innenminister hingegen vermutet nach eigener Aussage parteipolitisches Kalkül dahinter, dass ihm ausgerechnet die Länder die Gefolgschaft verweigern, in der SPD und Grüne zur Regierung gehören. "Wir brauchen beim Thema Rückführung eine gemeinsame Anstrengung, bei der jeder seinen Beitrag leistet", sagte er der Funke Mediengruppe. Besonders ärgere ihn, dass Bund und Länder erst "vor ein paar Tagen zusammengesessen" hätten und übereingekommen seien, dass Außenpolitik Sache des Bundes sei, schimpfte de Maizière in der ARD-Nachrichtensendung "Tagesthemen".

"In kleinem Umfang" seien Abschiebungen nach Afghanistan durchaus vertretbar, da es dort "sichere Orte" gebe - etwa in der Hauptstadt Kabul oder im Norden des Landes. Die "normale Bevölkerung" sei zwar Opfer, aber nicht Ziel von Taliban-Anschlägen - nach Ansicht von de Maizière ein "großer Unterschied".


Menschenrechtspolitische Sprecher von Union und SPD sind skeptisch

Doch zahlreiche Beobachter und Menschenrechtsorganisationen sehen das ganz anders. Die Lage in dem von Krieg gebeutelten Land sei instabil, eine Gefahrenprognose nur schwer zu treffen, sagte Markus N. Beeko, Generalsekretär von Amnesty International in Deutschland, im ARD-"Morgenmagazin". Frank Schwabe, der menschenrechtspolitische Sprecher der SPD, nannte die Sammelabschiebungen "menschenrechtlich fragwürdig und mit enormem Aufwand verbunden"; sein Pendant bei den Unionsparteien, Michael Brand, betonte, jeder Einzelfall müsse genau betrachtet werden. Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl wittert gar das Bestreben, Deutschland vom "Aufnahmeland" zum "Abschiebeland" zu umzubauen.

Deutsche Staatsbürger werden auf der Seite des Auswärtigen Amts vor Reisen nach Afghanistan dringend gewarnt: "Wer dennoch reist, muss sich der Gefährdung durch terroristisch oder kriminell motivierte Gewaltakte bewusst sein. Auch bei von professionellen Reiseveranstaltern organisierte Einzel- oder Gruppenreisen besteht unverminderte Gefahr, Opfer einer Gewalttat zu werden", heißt es. Die aus Bayern abgeschobenen Asylbewerber sollen nun dort leben.


Mit Material der Nachrichtenagenturen.
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