1 subscription and 0 subscribers
Article

Aus der Traum vom Eigenheim

Das neu gebaute Einfamilienhaus auf dem Land gilt vielen Menschen als Wohntraum. Hohe Kosten und ökologische Bedenken stehen der Verwirklichung aber oft entgegen

Es ist der Traum der Deutschen schlechthin: das Eigenheim im Grünen. Gerade in pandemischen Zeiten scheinen die eigenen vier Wände einen sicheren Rückzugsort zu bieten. Wer im Homeoffice arbeitet, kann auch weiter entfernt von seinem Arbeitgeber wohnen. Und braucht mehr Platz, auch für neuentdeckte Lockdown-Hobbys: 35 Quadratmeter mehr Wohnfläche wünschen sich laut einer aktuellen Umfrage Menschen, die in eine Immobilie investieren wollen. Die Studie zeigt, dass der Wunsch nach dem Eigenheim tendenziell größer wird: Waren es 2018 rund 60 Prozent der Befragten, die vom Haus im Grünen träumen, stieg der Anteil 2021 auf 65 Prozent.

Doch spricht nicht alle Vernunft gegen diesen Traum? Der damalige Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter trat im Februar 2021 eine Debatte über Eigenheime los. In einem vielbeachteten "Spiegel"-Interview sagte er: "Einparteienhäuser verbrauchen viel Fläche, viele Baustoffe, viel Energie, sie sorgen für Zersiedelung und damit auch für noch mehr Verkehr". Er sprach über "Donutdörfer", in denen die Ortskerne aussterben, während an den Rändern immer neue Baugebiete ausgewiesen werden. Und darüber, dass sich manch ein Bürgermeister mehr Rechte wünsche, um etwas gegen verfallende, unbewohnte Häuser zu tun, bei denen die Besitzverhältnisse unklar sind oder die Erben sich streiten.

Ökologisch fragwürdig Auch manche Politiker von CDU und CSU gaben dem Grünen-Politiker recht, dass Einfamilienhäuser ökologisch fragwürdig seien. Die Zahlen bestätigen diese Einsicht: Zwar wurden 2019 nur noch halb so viele Häuser gebaut wie noch 20 Jahre zuvor, jedoch werden sie immer größer. Der Durchschnitt liegt inzwischen bei 157 Quadratmetern. Es ist aber nicht nur die Wohnfläche, auch die Verkehrswege fressen Fläche.

Zielmarken 2016 hat das Bundeskabinett im "Klimaschutzplan 2050" beschlossen, den Flächenverbrauch auf 30 Hektar pro Tag zu begrenzen. Das Bundesumweltministerium strebt sogar die Zielmarke 20 Hektar an. Doch noch im Jahr 2018 vergrößerte sich die Siedlungs- und Verkehrsfläche in Deutschland jeden Tag um 56 Hektar. Am größten war der Zuwachs in Kleinstädten und vor allem in Landgemeinden - in Gegenden also, von denen viele bis zum Ausbruch der Corona-Pandemie eher einen Bevölkerungsschwund erlebten.

Und so musste die Bundesregierung in der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Grünen im Februar 2021 einräumen, ihr selbstgesetztes Ziel nicht erreicht zu haben. Dennoch heißt es auch in der Nachhaltigkeitsstrategie 2021, dass die Bodenversiegelung in Deutschland bis 2030 auf "durchschnittlich unter 30 Hektar pro Tag" zu begrenzen sei. Auch die neue Ampel-Regierung von SPD, Grünen und FDP bestätigt in ihrem Koalitionsvertrag dieses Ziel.

Warum die zunehmende Bodenversiegelung ökologisch problematisch ist, verdeutlichen wenige Stichpunkte: Während aus einer Wiese Wasser verdunstet und so zur Kühlung der Luft beiträgt, heizt eine betonierte Fläche die Luft auf. Versickerndes Regenwasser füllt die Grundwasservorräte auf, es ist für Bäume, Pflanzen und das gesamte Ökosystem die wichtigste Lebensgrundlage.

Wenn zu viel Boden versiegelt wird und Ausgleichsflächen fehlen, kann sich Starkregen zu reißenden Fluten entwickeln. Das hat zuletzt das zerstörerische Hochwasser in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen gezeigt. Umweltschützer begehren daher gegen aus ihrer Sicht unnötige Bauvorhaben auf. Oft sind es heute Kleintiere wie Schnecken, Schmetterlinge oder Käfer, die letztlich einen Baustopp bewirken.

Knappe Ressourcen Doch der Schutz des Lebensraums für einzelne bedrohte Arten ist nur der offensichtlichste Grund, von einem Bauvorhaben abzusehen. Langsam setzt sich die Erkenntnis durch, dass es nicht nur um den Erhalt einzelner Tierarten geht, sondern dass in einem komplexen Ökosystem alles mit allem zusammenhängt. Der Mensch zerstört allmählich seine eigene Lebensgrundlage.

Problematisch ist auch die weltweit wachsende Ressourcenknappheit, die sich beim Hausbau durch massiv gestiegene Materialkosten bemerkbar macht. Ein konventionelles Eigenheim verbraucht viel Sand und Kies - Rohstoffe, die weltweit knapp werden und deren Gewinnung negative ökologische Konsequenzen hat. Auch Holz, eigentlich der nachhaltige Baustoff per se, ist momentan keine gute Alternative. Wegen des Baubooms in der Coronakrise, Lieferunterbrechungen, Schädlingsbefall und damit Produktionsausfällen explodierte der Preis: Im April 2021 war Bauholz an der Deutschen Börse fünf Mal so teuer wie fünf Jahre zuvor. Selbst mit dem billigen REA-Gips, mit dem der Häuslebauer gern Keller und Dach ausbaut, wird es mit Abschaltung der Kohlekraftwerke, wo er als Abfallprodukt entsteht, vorbei sein.

Auch Bauplätze werden knapper und damit teurer. Hinzu kommt der Fachkräftemangel in der Baubranche. Gute Handwerker mit Platz im Auftragsbuch zu finden, wird immer schwieriger.

Alternativen Platzt also gerade für alle Normalverdiener der Traum vom eigenen Haus mit Garten? Eine Alternative zum Neubau bietet sich mit dem Programm "Jung kauft Alt", das Hiddenhausen in NRW bereits 2007 ins Leben gerufen hat und das seitdem von etlichen Kommunen übernommen wurde. Die ostwestfälische Gemeinde mit 20.000 Einwohnern weist keine Neubaugebiete mehr aus und fördert stattdessen Kauf und Sanierung einer Bestandsimmobilie. Nur eine DIN-A4-Seite umfasst der Förderantrag, mit dem Käufer von Altbauten sechs Jahre lang bis zu 1.500 Euro erhalten können: 600 Euro Grundbetrag plus 300 Euro für jedes Kind. 716 Käufe von Bestandsimmobilien wurden seit Programmstart gefördert. Unter den Käufern sind etliche junge Familien, die viele Kinder haben. "Sie füllen jedes Jahr eine eigene Schulklasse", sagt Alexander Graf, der in Hiddenhausen das Amt für Gemeindeentwicklung leitet. Eine frühere Prognose, Hiddenhausen würde schrumpfen, erfüllte sich nicht.

300.000 Euro sind im Gemeindehaushalt jährlich für "Jung kauft Alt" reserviert, dazu 30.000 Euro zur Förderung energetischer Sanierungen. Ein Betrag, der manchen Kommunalpolitiker zusammenzucken lässt. Doch die Erschließungs- und Unterhaltungskosten für ein Neubaugebiet kämen Gemeinden ähnlich teuer, meint Graf.

Altbau im Fokus Weil es einige Anfragen von Interessenten gab, die sagten, dass sich der Altbau auf dem Wunschgrundstück nicht wirtschaftlich sanieren lasse, nahm Hiddenhausen 2012 auch den Abriss und Neubau von Wohnhäusern ins Programm auf. Erstaunlich ist: Nur ein einziger Neubau wurde seitdem gefördert. Graf erklärt das mit einem Umdenken. Das Programm habe den Fokus vom Neubau auf der grünen Wiese zum Altbau hin verschoben. Es ist ein Umdenken, das notwendig erscheint. Zwei Drittel aller Wohngebäude in Deutschland waren nach Angaben des Statistischen Bundesamts im Jahr 2019 Einfamilienhäuser. Wie viele von ihnen leer stehen oder von einer Person bewohnt werden, ist statistisch nicht erfasst. Doch wer sich verödende Ortskerne kleinerer Landgemeinden anschaut, ahnt, dass sich hier viel fehlgenutzte Fläche verbirgt. Familien schätzten großzügig geschnittene Altbauten mit Bäumen auf großen Grundstücken, sagt Graf. Auch gewachsene Siedlungsstrukturen seien ein Pluspunkt.

Neue Projekte Inzwischen engagiert sich die Verwaltung auch für die Schaffung von kleineren Wohnungen und Mietshäusern. Zielgruppe sind Menschen, die gerne im Dorf leben wollen, aber ohne eigenes Haus. Im nächsten Jahr startet etwa ein Co-Housing Projekt namens "Gartenwohnen". Auf einem großen Grundstück sind im Hauptgebäude Gewerbe und Gemeinschaftsflächen vorgesehen. Im Garten sollen Wohnungen von 45 bis 80 Quadratmetern Größe entstehen. Im Grün dazwischen kann gemeinsam gegärtnert werden.

Viele Kommunen wollen nicht mehr in die Fläche wachsen. Um junge Familien trotzdem zu halten, wird mit Mehrgenerationenhäusern mit betreutem Wohnen, Kita und Mietswohnungen experimentiert. Noch sind alternative Wohnformen auf dem Land Leuchtturmprojekte, doch sie finden Nachahmer. Graf rät anderen Dörfern, mutig zu sein und "einfach mal zu machen". Im besten Fall läuft es so wie in Hiddenhausen. Dort ist "Jung kauft Alt" längst zum Selbstläufer geworden, weithin bekannt und geschätzt, ohne dass es beworben wird.

Die Autorin ist Journalistin in Nürnberg.
Original