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Wie die Zeit vergeht: Modetänze von Lindy Hop bis Pogo

Lieber züchtig im Wiegeschritt? Oder ungezähmt zum "Harlem Shake"? Tanzstile wechseln wie die Mode, spiegeln gesellschaftliche Umbrüche und sind manchmal gar politisch. Eine Zeitreise in Bildern.

Minütlich stieg die Spannung im "Savoy Ballroom", dem beliebtesten Tanzsalon in New Yorks Stadtteil Harlem. Bis zu 2000 Tänzer präsentierten hier in den Dreißigerjahren jeden Abend ihre ausgefeiltesten Choreographien. Das "Savoy" war der einzige Saal der Stadt, zu dem schwarze und weiße Paare Zutritt hatten. Selbst in Zeiten der Rassentrennung zählte hier allein Talent.

Für die Besten der Besten war ein spezieller Bereich reserviert. Er befand sich ganz in der Nähe der Live-Band und hieß einfach "die Ecke". Hier stellten sich ein halbes Dutzend Paare zu später Stunde im Halbkreis auf und kämpften darum, sich mit den gewitzten Schrittkombinationen an die Spitze der Rangliste im "Savoy" zu tanzen.

Dauergäste in "der Ecke" waren George "Shorty" Snowden und Beatrice Gay, genannt "Big" Bea, weil sie ihren Tanzpartner um einen Kopf überragte. Snowden und Gay galten als die unangefochtenen Stars der Tanz-Wettkämpfe. Das Paar bewegte sich nicht nur technisch ausgezeichnet, sondern nutzte den Größenunterschied, um ihren Auftritten eine komische Note zu geben.

Wachablösung in New Yorks Tanztempel

An einem Abend im Jahr 1935 hatten Snowden und Gay aber plötzlich starke Konkurrenz: Frankie Manning und seine Partnerin Frieda Washington zeigten eine neue Interpretation des damals angesagten Lindy Hop-Tanzstils. In endlosen Übungsstunden mit einem Besen in seinem Schlafzimmer hatte Manning sich geschmeidige Bewegungen antrainiert, nachdem seine Mutter ihn als steifen Tänzer kritisiert hatte. Zum Lindy Hop tanzte Manning zudem nicht in der typischen aufrechten Haltung - sondern leicht gebeugt.

Er sah aus wie ein Sprinter vor dem Startschuss.

Als die Band aufspielte, vibrierte der Boden unter schnellen, kraftvollen Schritten: Manning und Washington schwangen die Füße zu kurzen, zügigen Tritten vor und zurück, tippten mit den Fußballen kurz aufs Parkett, tanzten vor-, neben- und umeinander, bis sie Rücken an Rücken standen. Sie verschränkten die Arme, Manning beugte sich nach vorn und hob Washington in die Luft - die sich über seinen Rücken abrollte und vor ihm zum Stehen kam.

"Shorty", Bea und die anderen Gästen im "Savoy" staunten. Sie waren soeben Zeuge des ersten "aerial" geworden - einer bald legendären Hebefigur, die dem Tanz eine akrobatische Komponente hinzufügte.

Nach diesem Abend hob der Lindy Hop sprichwörtlich ab: Mit immer anspruchsvolleren Choreographien behauptete sich der Tanz bis in die Vierzigerjahre als beliebter Paartanz in Amerika. "Aerials" wurden zum festen Bestandteil für jedes professionelle Tanzpaar, das etwas auf seine Lindy-Hop-Künste hielt. Manning bekam einen Platz in der Profi-Tanzgruppe des "Savoy" und löste damit Tanzveteran George "Shorty" Snowden als Nummer eins ab.

Wieder einmal hatte sich der Tanz selbst neu erfunden - und dabei eine Legende gestürzt. Denn "Shorty" Snowden hatte dem Lindy Hop einst selbst zum Durchbruch verholfen und ihm seinen Namen geprägt. Angeblich hatte 1929 ein Reporter Snowden nach dem Namen dieses verrückten Tanzes gefragt, den er da eben vorgeführt habe. "Das ist der Lindy Hop", soll Shorty schlagfertig geantwortet haben - eine Anspielung auf den Transatlantikflug von Charles Lindbergh, den die US-Presse als "hop across the Atlantic" ("Hüpfer über den Atlantik") bezeichnet hatte.

Seinen Namen mag der Tanz von Lindbergh haben. Seine Wurzeln aber liegen im Charleston, dem Swingtanz, benannt nach der gleichnamigen Hafenstadt in South Carolina. Beim Lindy Hop bewegt sich das Paar beschwingt über die Tanzfläche; getanzt wird nicht in traditioneller, enger Paartanz-Haltung, sondern oft nebeneinander oder umeinander herum, wobei sich das Paar an einer Hand hält. Zum Grundschritt gehört ein Triple Step, der das Tempo ankurbelt und den Bewegungen einen wippenden Eindruck gibt. Mit den Tanz-Wettbewerben im "Savoy" kamen dann die Hüpffolgen und Hebefiguren hinzu.

Der wilde Lindy Hop war allerdings längst nicht der erste Tanzstil, der für Aufruhr sorgte. Denn seit jeher befeuerten neue Musikstile neue Tanzmoden, die mit Traditionen brachen - und Kulturpessimisten und Sittenwächter aufbegehren ließen.

Das vielleicht beste Beispiel dafür liefert der heute als verstaubt geltende Walzer. Denn anders als beim Menuett, dem Modetanz der Klassik und des Barock, standen sich die Tanzenden nicht mehr gegenüber und hielten sich zaghaft an einer Hand. Stattdessen tanzten die Paare in einer Art Umarmung. Im ausgehenden 18. Jahrhundert rümpften viele an Europas Höfen die Nase über diese skandalös intime Tanzhaltung. Doch der Walzer setzte sich durch: Bald schon schwofte der Adel von Versailles bis Moskau im Dreivierteltakt.

Ärzte warnten: Bittet, twistet nicht!

Bis ins 20. Jahrhundert blieb dieser Tanzstil immens beliebt, bis ihm in Europa nach dem Ersten Weltkrieg der Foxtrott den Rang ablief. In den USA sorgte derweil der Charleston für Furore - und besonders die Frauen, die ihn tanzten: Sie brachen nicht nur auf dem Parkett mit Idealen, sondern stellten mit kurzen Kleidern, Bob-Haarschnitt und selbstbewussten Auftreten auch gesellschaftliche Konventionen in Frage. Sogar eine frühe Form des Twerking, bei dem die Tänzer ihre Kehrseite rhythmisch auf- und abbewegen, wird den Charleston-Tänzerinnen zugeschrieben - Jahrzehnte bevor Miley Cyrus ihr wild zuckendes Hinterteil dem Sänger Robin Thicke bei den MTV-Music Awards in die Lendengegend drückte.

Zu noch offensiveren Hüftbewegungen führte in den Sechzigern der Twist, vor dem damals aber nicht nur Sittenwächter, sondern auch Mediziner warnten. Sie sorgten sich um die Knie- und Hüftgelenke der Tanzwütigen. Noch mehr Grund zur medizinischen Sorge lieferten die seit den Achtzigern in Punk- und Metalkreisen beliebten Mosh Pits, bei denen sich die meist männlichen Tanzenden - eher wild Herumspringende - gezielt anrempeln.

Was ist Ihr Lieblingstanzstil? Begeben Sie sich in der Bildergalerie auf eine Zeitreise und erfahren Sie mehr über die Geschichte der spannendsten Modetänze - von Bunny Hop bis zum Hully Gully.

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