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Kirchenaustritt: Können Sie in dieser Kirche bleiben?

Susanne Laimer: Es ist vorbei

Vorigen Freitag habe ich den Entschluss gefasst: Ich trete aus. Obwohl die Kirche lange meine Heimat war. Ich stamme aus dem erzkatholischen Bamberg, wurde als Schülerin von Mönchen unterrichtet, habe viele Jahre im Domchor gesungen. Meine Töchter, 13 und 11, gehen in auf eine katholische Schule. Den ersten Knacks bekam mein Verhältnis zur Kirche, als meine Mutter nach ihrer Scheidung nicht mehr die heilige Kommunion empfangen durfte. Schon vor 20 Jahren haben mir Bekannte aus dem Priesterseminar erzählt, dass es dort keineswegs keusch zugeht. Viel Scheinheiliges habe ich hingenommen - auch weil ich das Glück hatte, in München einem tollen, unangepassten Seelsorger, dem Pfarrer Schießler, zu begegnen. Doch vorige Woche wurde mir schlagartig klar: Es ist vorbei. Denn da las ich über den Altpapst: Er bete für die Opfer des Missbrauchs. Kein Bitten um Verzeihung! Stattdessen Worte, die auf mich nur noch arrogant wirkten. Worte, die ich nicht mehr ertragen konnte. Mein Ehemann will noch in der Kirche bleiben. Mit unserer ältesten Tochter haben wir am Wochenende gerungen, ob sie zur Firmung geht. Von mir aus muss sie das nicht mehr tun. Ich verlasse die Kirche nicht verbittert, sondern erleichtert. Vom zuständigen Amt hieß es: Der nächste Termin, um den Austritt zu besiegeln, sei im Mai. Laimer, 43, arbeitet in einem Start-up in München.

Monika Grütters: Wir haben viel zu verlieren

"Muss man jetzt aus der Kirche austreten?" Als mich Ihre Frage erreichte, saß ich gerade im Gottesdienst in St. Ludwig in Berlin. Im Grunde würde es schon reichen, in eben dieser Messe gewesen zu sein, um klar antworten zu können: "Natürlich muss man nicht austreten." Denn hier wird die Frohe Botschaft verkündet, hier haben wir es mit charismatischen Seelsorgern zu tun. Aber auch ganz grundsätzlich gilt: Die Kirche schafft kulturelle Identität weit über den Kreis ihrer Mitgliedschaft hinaus. Sie tut das seit 2000 Jahren mit einer Prägekraft, wie sie keine zweite Institution je entwickelt hat. Ohne die große künstlerische Inspirationskraft der christlichen Theologie wäre die Kultur des Abendlandes ärmer an Geist und Sinnlichkeit. Oder denken Sie an die Arbeit der Katholischen Kirche im karitativen Bereich, in der Bildung, im Gesundheitswesen, nicht nur hier in Deutschland. Wir alle haben viel zu verlieren, wenn wir unserer Kirche wegen der Skandale um die Missbrauchsfälle nun allesamt den Rücken kehren würden. Und ganz persönlich: Ich hatte Glück mit dieser Kirche, die meinem Glauben eine Heimat bietet. Charismatische Seelsorger, beeindruckende Ordensschwestern, wichtige Vorbilder in der Lebensgestaltung haben mein Leben begleitet. Mein Glaube gibt mir so Halt und innere Orientierung. Ganz klar ist aber auch: Diese unsere Katholische Kirche in Deutschland muss sich tiefgreifend erneuern, um glaubwürdig bleiben zu können. Wir brauchen Frauen in Diensten und Ämtern, wir müssen den Umgang mit dem Zölibat überdenken, in der Sexualmoral neue Töne anschlagen und die Anstrengungen in der Ökumene verstärken. Dann bleibe ich auch niemandem ein klares Bekenntnis schuldig - ganz nach dem berühmten Petrus-Wort: "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die Euch erfüllt". Monika Grütters, 60, war Kulturstaatsministerin (CDU). Sie sitzt im Deutschen Bundestag.

Markus Lanz: Selbstdemontage

Ich habe Joseph Ratzinger, damals noch Chef der Glaubenskongregation, 2003 erstmals zum Interview getroffen und als Menschen erlebt, der sehr an Aufklärung interessiert zu sein schien. Er ist keiner Frage ausgewichen, Zölibat, Homosexualität, und ich meine mich zu erinnern, dass wir auch über die ersten Berichte zu Missbrauchsskandalen sprachen. Er hat nicht versucht, die Dinge schönzureden, das war beeindruckend. Umso bedrückender ist, was wir gerade erleben. Diese Institution demontiert sich selbst, auf die schlimmste Weise. Das ist besonders deshalb so tragisch, weil wir die Kirche eigentlich dringend bräuchten. In einer Zeit tiefer Wertekrisen, noch dazu in einer Pandemie, wäre sie wichtig, um moralischen Halt zu geben! Dass sie das nicht vermag, verändert nicht nur meinen Blick auf die Kirche. Als Kind hatte ich einen Pfarrer, den ich bis heute verehre. Ich war Messdiener, er hat mich gefördert, wo er konnte, mich mit tollen Büchern in Kontakt gebracht und später dafür gesorgt, dass ich eine Klosterschule besuchen konnte. Ohne diese Schule wäre ich nicht dort, wo ich bin. Das ist der Widerspruch, den viele fühlen: Es geht nicht mehr mit dieser Kirche, aber in einer Welt ohne Kirche will man auch nicht leben. Sie wäre sehr viel ärmer. Lanz, 52, ist TV-Moderator.

Harald Schmidt: Natürlich trete ich nicht aus

1. Natürlich trete ich nicht aus. 2. Will nach dem Zusammenbruch beim Aufbau helfen. Harald Schmidt, 64, ist Entertainer. Er entstammt einer streng katholischen Familie. In seiner Jugend war er Organist der katholischen Gemeinde in Nürtingen.

Klaus Mertes: Kirche ist auch Auftrag

Ich trete nicht aus der Kirche aus. Wenn ich meine Zugehörigkeit zu Gruppen davon abhängig machen würde, dass ihre Mitglieder (auch ihre leitenden Mitglieder) und deren Geschichten moralisch sauber sind, dann könnte ich zu keiner Gruppe gehören. Geht es mir etwa bei meiner Kirchenzugehörigkeit um meine eigene saubere moralische Weste? Und: Warum sollte ich gerade jetzt austreten? Mir reicht es langsam, dass es so vielen erst jetzt reicht. Wirklich Neues enthält der Münchner Bericht ja nicht, was nicht schon längst mehr oder weniger auf dem Tisch lag. Und um es mal mit Sokrates zu sagen: Auf welchem Posten in einer Schlacht jemand aufgestellt worden ist, da soll er ausharren. Kirche ist für mich nicht nur Heimat, sondern auch Auftrag. Ohne Kirche gibt es auf Dauer kein Evangelium mehr. Deswegen mache ich bei der Gleichung "Evangelium ja, Kirche nein" auch nicht mit. Mertes, 67, war Rektor des Berliner Canisius-Kollegs, wo er Missbrauchsfälle öffentlich machte.

Friedrich Merz: Verzweiflung

Ich bin in tiefer, wirklich tiefer Verzweiflung über meine Kirche. Bei Missbrauch an Kindern hört für mich wirklich jedes Verständnis auf. Merz, 66, ist CDU-Vorsitzender.

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Ich bin am Montag dieser Woche aus der Kirche ausgetreten. Ich bin ehrlich: In erster Linie, weil ich die Kirchensteuer nicht mehr zahlen möchte. Aber im Hintergrund spielt eine große Rolle, dass ich keinen Bezug mehr zur Kirche habe. Diese ständigen Missbrauchsgeschichten gehören dabei natürlich zu den Dingen, die mitschwingen, wenn man sich Monat für Monat fragt, ob man so eine Organisation mit seinem Geld noch finanzieren möchte. Die Kirche hat mich schon lange verloren. M., 22, ist Angestellter in einer Sport-Event-Agentur in München.

Bettina Jarasch: Nicht wegen, sondern trotz Benedikt

Wäre die Kirche eine Partei, wäre ich vermutlich längst ausgetreten. Die Unfähigkeit so vieler Kleriker und auch durchaus einiger Laien, die Perspektive der Missbrauchsopfer über den Erhalt der Institution zu stellen, ist ein gelebter Widerspruch zur Botschaft des Evangeliums. Diese Botschaft durch die Zeiten zu tragen wäre Auftrag der Kirche. Als Institution scheitert die Kirche dramatisch an diesem Auftrag. Kirche ist für mich aber vor allem die Gemeinschaft mit Menschen, die wie ich auf dem Weg sind, die sich bemühen, ihr Leben an der frohen Botschaft auszurichten, ihre Erfahrungen und Hoffnungen miteinander teilen. Solche Menschen finde ich nach wie vor in der Kirche, auch Priester und Ordensleute sind darunter. Mit anderen Worten: Ich bin in der katholischen Kirche nicht wegen, sondern trotz Klerikern wie Ex-Papst Benedikt XVI. Und deshalb bleibe ich. Jarasch, 53, ist grüne Vize-Regierungschefin von Berlin und sitzt im Zentralkomitee der Katholiken.

Andreas Högner: Ich bleibe, trotz allem

Diese Obrigkeit der katholischen Kirche, die versteckt sich hinter ihren Gewändern. Immer wird nur verschwiegen! Man müsste den Führungsclan komplett austauschen. Wenn ich das sage, sage ich zugleich: Ich bleibe. Die katholische Kirche hat gute Seiten. Ich bin homosexuell, in der Kirche habe ich meine Heimat gefunden. Hier fühle ich mich aufgehoben. Denn Leute wie mein rebellischer Münchner Stadtpfarrer Rainer Maria Schießler polarisieren. Und solche Pfarrer braucht die Kirche. Ich glaube, es wäre der falsche Weg, jetzt auszutreten. Es ist gerade jetzt die Zeit, sie von innen heraus umzugestalten. Högner, 53, ist Kaufmann in der Modebranche in München.

Maria Mesrian: Gebt die Kirchensteuern anderen!

Die Frage, ob man jetzt austreten soll, ist sekundär. Egal, ob ich gehe oder ob ich bleibe - alle Katholik:innen müssen sich die Frage stellen: Übernehme ich Verantwortung? Stelle ich mich an die Seite der von sexualisierter Gewalt Betroffenen und all derer, die durch ein unmenschliches Arbeitsrecht von der römisch-katholischen Kirche diskriminiert werden? Ein Kirchenaustritt entbindet nicht von der Verpflichtung, Verantwortung zu übernehmen. Dass es für viele Menschen ein unerträglicher Gedanke geworden ist, sich durch die Kirchensteuer zu Kompliz:innen eines Unrechtssystems zu machen ist verständlich. Deshalb haben wir Umsteuern! gegründet. Wir möchten denen zur Seite stehen, die bis heute von der Amtskirche missachtet werden. Die Betroffenenvereine sind gezwungen, mit minimalen finanziellen Mitteln auf ihre Anliegen aufmerksam zu machen. Warum werden sie nicht großzügig von der Deutschen Bischofskonferenz unterstützt? Gleichzeitig gibt es keine Anlaufstelle außerhalb kirchlicher Strukturen, an die Betroffene sexualisierter Gewalt sich wenden können. Viele würden das jahrzehntelange Leid niemals einem Vertreter der Täterorganisation anvertrauen. Indem wir Machtmissbrauch beim Namen nennen, entlarven wir ein System, das selbstverständlich davon ausging, seine jahrtausendealte Macht auf immer und ewig zu erhalten. Das hat nun ein Ende. Die klerikale Machtelite hat sich disqualifiziert. Sie hat die Botschaft Jesu verraten. Maria Mesrian ist katholische Theologin und Aktivistin der Frauen-Initiative Maria 2.0.

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