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Im Labor ein Star, in der Natur bedroht

MEXIKO-STADT | Die weltweit einzige frei lebende Population des Axolotl in Mexiko ist extrem geschrumpft. Wie Forscher die Ausrottung verhindern wollen


Um Peter Pan zu retten, fährt Carlos Sumano Tag für Tag raus auf die verzweigten Kanäle im Süden von Mexiko-Stadt. Dort spricht er mit Gemüsebauern, prüft die Wasserqualität und nimmt Bodenproben. Sumano, ein großer, bärtiger Mann Anfang 30, ist Wissenschaftler an der Universität UNAM und "Peter Pan" der Spitzname des mexikanischen Schwanzlurchs Ambystoma mexicanum, besser bekannt als Axolotl. Dessen körperliche Entwicklung endet mitten im Larvenstadium. Er wird also - wie Peter Pan - nie ganz erwachsen.


Der Axolotl ist akut vom Aussterben bedroht. "Beim letzten Zensus wurden hier fast keine Exemplare mehr gefunden", erzählt Sumano. Die Population in den Kanälen von Xochimilco, dem weltweit einzigen natürlichen Habitat des Axolotl, ist innerhalb von 15 Jahren von 6000 auf 0,3 Tiere pro Quadratkilometer geschrumpft.


Damit droht ein Lebewesen auszusterben, das über die Jahrhunderte vom Heiligtum zum Labortier geworden ist. Die Azteken verehrten den Lurch als Nachkommen ihres Gottes Xolotl und verspeisten ihn als Delikatesse. Als Biologen dann herausfanden, dass der Axolotl seine Gliedmaßen und sogar Teile von Herz, Hirn oder Rückenmark selbstständig nachbilden kann, entstanden in Laboren weltweit Populationen zu Forschungszwecken. Beim Axolotl heile eine Verletzung komplett ohne Narbenbildung, erläutert die Biologin Andrea Meinhardt von der Technischen Universität Dresden (siehe Interview). "Die Organe bleiben vollständig funktionell."


An der UNAM in Mexiko-Stadt arbeitet eine Forschergruppe an der Rettung der Spezies. "Wir haben festgestellt, dass es nicht die Lösung ist, die Tiere einfach zu züchten und den Kanälen zuzuführen", erklärt der Gruppenleiter und Biologe Luis Zambrano. "Das Problem ist nicht der Axolotl, sondern das Ökosystem." Dieses müsse wieder so gestaltet werden, dass der Axolotl sich wohlfühlen kann.


Entworfen wird die Axolotl-Traumwelt in einem kühlen, fensterlosen Laborraum. An den Axolotl-Kolonien, die in hellblauen Plastikbecken schwimmen, haben die Forscher in den vergangenen Jahren untersucht, wie die Tiere auf äußere Reize reagieren, etwa auf Lärm und andere Tiere in ihrer Umgebung. So wollten sie herausfinden, was die Gründe für das Massensterben sind und unter welchen Bedingungen die Population in Xochimilco wieder wachsen könnte.


Neben einer wachsenden Population aggressiver Fressfeinde wie Karpfen und Barsche hat in erster Linie der Mensch den Axolotl vertrieben. "Die Urbanisierung hat dem Axolotl große Probleme bereitet", sagt Zambrano. Der gestiegene Wasserverbrauch der Metropole Mexiko-Stadt senkte den Wasserspiegel in den Kanälen, das künstlich zugeführte Wasser verunreinigte sie. In der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts siedelten zudem immer mehr Menschen an den Ufern der Kanäle von Xochimilco. "Für den Axolotl bedeuten Bewegung, Licht und Lärm großen Stress", sagt Zambrano. "Er wird krank und stirbt."


Was seine Kollegen im Labor her­ausfinden, setzt Sumano eine halbe Autostunde südöstlich des Campus mit den Chinamperos, den Gemüsebauern von Xochimilco, um. Sie haben zehn Refugien angelegt, die sich wie kleine Nebenkanäle rund um die Bohnen-, Mais- und Blumenfelder schlängeln. Mit engmaschigen Metallgittern sind sie von den Kanälen abgetrennt, damit Wasser zirkulieren kann, Fressfeinde aber ausgesperrt bleiben.


"Wenn man die Farbe und Transparenz des Wassers draußen im Kanal mit der hier vergleicht, sieht man, dass die Qualität im Refugium deutlich besser ist", sagt Sumano. Das Wasser ist voller hellgrüner Pflanzen, ein Hinweis auf einen hohen Sauerstoffgehalt. Die Chinamperos bauen und schützen die Refugien auf ihren Grundstücken, als Gegenleistung soll ihr Gemüse von der guten Wasserqualität der Refugien profitieren, die die Felder mit Wasser versorgen.


Die Zucht der Tiere soll in ein natürliches Umfeld verlagert werden

Ende des Jahres sollen hier probeweise Labortiere ausgesetzt werden, um zu prüfen, ob die Refugien tatsächlich als Schutzraum taugen und man die letzten verbliebenen Exemplare aus den Kanälen umsiedeln könnte. Langfristig kann die Laborzucht laut Zambrano aber keine Lösung sein. "Die Tiere dort werden oft krank und sind genetisch gesehen minderwertig."


Parallel startet das Forscherteam deshalb ein neues Projekt: Die Zucht der Tiere soll in ein natürliches Umfeld verlagert werden, das dem in Xochimilco ähnelt. In einem Naturschutzgebiet mit vier großen Tümpeln auf dem Campus der UNAM hat das Team zehn Tiere ausgesetzt, deren Verhalten nun mit Hilfe implantierter Chips untersucht werden soll. Nehmen sie den Lebensraum gut an, könnte der weltweit erst zweite Lebensraum für den Lurch entstehen, der nie erwachsen wird.

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