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Hamburgs Außenministerin Annette Tabbara arbeitet jeden Tag für Europa - WELT

Hamburgs Außenministerin „Es lohnt sich, jeden Tag für Europa zu arbeiten"

Für Hamburgs neue Außenministerin Annette Tabbara hat Europa nur eine Chance, wahrgenommen zu werden, wenn es mit einer Stimme spricht - selbst, wenn es schwierig ist, diese vereinte Stimme zu finden.

Einfach war eine Einigung in Europa nie. „Auch die Handelsunion, die Zollunion, die Währungsunion sind das Ergebnis von langwierigen und komplizierten Aushandlungsprozessen", sagt Annette Tabbara. Heute gebe es neue Bereiche, die auf europäischer Ebene geregelt werden könnten: die Finanzpolitik oder die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik. „Es ist doch klar, dass es darüber Auseinandersetzungen gibt", sagt die 47-Jährige.

Wer Tabbara begegnet, spürt rasch, dass sie eine überzeugte Europäerin ist. Redet sie über den Staatenverbund, schwingt noch ein wenig mehr Energie in ihrer Stimme mit, strahlen die Augen noch ein bisschen mehr. „Wir haben nur eine Chance, dieses Europa zusammenzuhalten, wenn wir alle 28 Nationen und ihre Meinungen respektieren", betont Tabbara. Wie passend, dass sie seit vier Monaten einen Posten bekleidet, der dafür maßgeschneidert ist. Tabbara ist Hamburgs Bevollmächtigte beim Bund, der Europäischen Union und für auswärtige Angelegenheiten und damit die erste Frau in diesem Amt. Ein Amt, das die Hansestadt wie kaum ein anderes nach außen repräsentiert. Ein Amt, das die logische Sprosse auf Tabbaras Karriereleiter ist und sich doch überraschend ergab.

Ende ihrer Arbeit im Kanzleramt

1970 in Frankfurt am Main geboren, wächst die Tochter einer Griechin und eines Schlesiers im Dreiländereck Deutschland, Belgien, Niederlande auf. Weil sich ihre Eltern anfangs nur auf Französisch verständigen können, schicken sie die Tochter auf eine deutsch-französische Schule. „Europa ist für uns ganz wichtig, es gehört zu unserer Familie", sagt Tabbara, die auch noch Englisch und Spanisch spricht. Nach dem Abitur studiert sie Jura in Deutschland und Kanada und promoviert.

Nur kurz hält es Tabbara in einer Anwaltskanzlei, schon bald lockt die Politik. Zehn Jahre arbeitet sie im Bundesarbeitsministerium, auch unter dem damaligen Minister Olaf Scholz (SPD). 2015 wechselt sie ins Kanzleramt und leitet den Arbeitsstab der Integrationsbeauftragten Aydan Özoguz (SPD). Insbesondere dort erlebt Tabbara das Ringen um eine europäische Flüchtlingspolitik. „Flüchtlingspolitik ist seit Herbst 2015 ohne Europa nicht mehr denkbar", sagt die 47-Jährige. Das sei Europapolitik pur. Tabbara: „Auch wenn man die ungarische oder tschechische Position nicht teilt, muss man ihnen immer wieder zuhören, sie verstehen und sich fragen, warum sie diese Position haben."

Mit Beginn der neuen großen Koalition im Frühjahr dieses Jahres endet ihre Aufgabe im Kanzleramt. Es ist kein leichter Abschied, das ist der Mutter zweier Kinder anzusehen, wenn sie darüber spricht. Welch glückliche Fügung, dass parallel in Hamburg die Bevollmächtigtenstelle beim Bund, der Europäischen Union und für auswärtige Angelegenheiten frei wird. „Als der Anruf aus dem Senat kam, musste ich ein bisschen springen, um diese neue Aufgabe für mich anzunehmen", gesteht Tabbara. Schließlich sei das ein Schritt in die Politik - ein Unterschied zu dem, was sie vorher gemacht hat, ein Rollenwechsel. Sie beschreibt: „In meinen bisherigen Positionen konnte ich anregen, was andere machen sollten. Nun stehe ich selbst vorne."

Tabbara bearbeitet ein komplexes Feld

Neben einem politisch wie menschlich guten Verhältnis zu Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) hat es „einfach sehr gut gepasst, jetzt nach Hamburg zurückzukehren", sagt die Staatsrätin - an den Ort, an dem sie studiert und ihr juristisches Referendariat gemacht hat. Es schließe sich ein Kreis, wenngleich sie weiter mit ihrer Familie in Berlin wohnt. Tabbara: „Hamburg war immer etwas Besonderes für mich. Es ist sehr schön, dass ich wieder da bin - zumindest für einen Teil der Woche."

Es ist ein komplexes Feld, das die 47-Jährige bearbeitet. Im Bereich auswärtige Beziehungen kümmert sie sich um die 96 General- und Honorarkonsulate und die neun Partnerstädte der Hansestadt. „Die Pflege der konsularischen Beziehungen nehmen wir in Hamburg sehr ernst, schließlich sind wir als internationale Handelsstadt nicht nur das Tor zur Welt, sondern brauchen die Welt und ihre Waren auch bei uns", erklärt Hamburgs Außenministerin.

Nicht zuletzt vertritt sie die Elbmetropole bei der Bundesregierung und im Bundesrat. In der Länderkammer „nimmt Hamburg konkret Einfluss auf die Gesetze des Bundes, die im Bundesrat abgestimmt werden, zum Beispiel zum Familiennachzug oder zur Parteienfinanzierung", erklärt sie. Tabbara ist auch diejenige, die in der Länderkammer für Hamburg ihre Hand hebt beziehungsweise unten lässt, wenn über Gesetzentwürfe und Entschließungsanträge entschieden wird. Stammt der Antrag aus der Hansestadt selbst, wirbt sie dafür in den Ländern.

„Hamburg im Bund zu repräsentieren bedeutet auch, darauf zu achten, was im Bundestag und in den Fraktionen passiert", erklärt die Sozialdemokratin. Die Bevollmächtigtenfunktion verschaffe ihr die Zugänge und sei eine Art Frühwarnsystem in alle Bundesländer. „Da verlaufen keine starren Grenzen zwischen den Parteien. Häufig geht es um Länder-, nicht so sehr um Parteiinteressen. Da ist man sich mit Bayern bei der Grundsteuer zum Beispiel eher einig als mit Brandenburg."

Sorge um die EU

Kommunikative Fähigkeiten und Verständnis dafür, wen man wann ansprechen muss, sind wesentliche Voraussetzungen für ihren Job. Es gehe darum, gut zu verhandeln, sagt die Juristin, „und auch, frühzeitig Themen zu erkennen und sie manchmal nicht erst auf die Tagesordnung kommen zu lassen, weil sie nicht im Hamburger Interesse sind".

Wenn sie nicht zwischen Hamburg, Berlin und Brüssel oder Shanghai, Chicago oder Marseille hin und her jettet, entspannt sich Tabbara auf dem Hausboot der Familie, einer fast 100 Jahre alten Hafenbarkasse. „Oft arbeite ich auch an dem Schiff. Mir gefällt dieses körperliche Arbeiten, das hilft mir beim Herunterkommen", sagt die 47-Jährige, die zudem gerne liest und wandert, wie jüngst über die Alpen nach Italien.

Und wieder ist sie mittendrin, in ihrem Herzensthema Europa. „Gerade in dieser Zeit, in der in Europa Veränderungen stattfinden, wird das Bündnis der Mitgliedstaaten bedeutender denn je", betont Tabbara. Die Europäische Union scheine vielen Bürgern noch weiter weg als Berlin. Das sei aber nicht der Fall. „Denn über die Verordnungen und Richtlinien der EU wird das Leben der Hamburgerinnen und Hamburger ganz konkret mitgeregelt, zum Beispiel der mehrjährige Finanzrahmen der EU, mit dem festgelegt wird, für welche Bereiche die EU in den Jahren 2021 bis 2027 Geld ausgeben wird." Auch bei EU-Verordnungen hätten die Bundesländer ein Wörtchen mitzureden, zum Beispiel beim Datenschutz oder der Verringerung von Plastikmüll.

Dass die EU dennoch in der Krise steckt, beobachtet Tabbara „mit großer Sorge". Doch sie ist davon überzeugt, „dass wir zusammenhalten und bei allen Unterschieden einen gemeinsamen Weg finden müssen. Das ist mühsam, ja." Aber Europa brauche das Ringen um Positionen und den Respekt vor anderen Ansichten. „Wir müssen miteinander reden und dann finden wir auch Lösungen."

Denn Tabbara zufolge wird die europäische Einigung im Zusammenspiel mit den USA, Russland, China und der Türkei entscheidender. „In Europa leben 500 Millionen Menschen. Umso wichtiger ist es, mit einer Stimme zu sprechen - selbst wenn es schwierig ist, diese vereinte Stimme zu finden." Nur dann, betont die 47-Jährige, „haben wir eine Chance, mit unseren Interessen, Werten und unserer Geschichte wahrgenommen zu werden". Tabbara: „Für dieses übergeordnete Ziel, die friedensstiftende Wirkung von Europa und die Einigkeit in einem sich verschiebenden Weltgefüge, lohnt es sich aus meiner Sicht, jeden Tag zu arbeiten."

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