1 subscription and 0 subscribers
Article

Corona-Krise: "Im April explodierte das Geschäft"

Das Jahr der Pandemie haben die Menschen in Deutschland ganz unterschiedlich erlebt und wahrgenommen. Viele Menschen leiden unter den Einschränkungen, für sehr viele bringt die Krise erhebliche finanzielle Einbußen mit sich. Einige aber haben auch davon profitiert. Wir haben mit ihnen gesprochen.

Corona-Verlierer

Musiker

26 Jahre lang konnte ich von meiner Arbeit als Jazzpianist gut leben. Diese Arbeit macht mich sehr glücklich. Ich spiele hauptsächlich Konzerte im Jazzbereich, in großen und kleinen Jazzclubs, Festivals, Konzertsälen, im Studio und ab und zu auch im Rahmen von Galas. Die Termine für meine Aufträge trage ich alle in einen Kalender ein. Der ist heilig. Als freischaffender Musiker muss man absolut verlässlich sein.

Was dann im März passierte, war traumatisch für mich. Innerhalb von nur zwei Tagen waren alle Einträge aus meinem Kalender radiert. Weg. Wir standen plötzlich mit nichts da.

Irgendwann am Anfang des ersten Lockdowns ging meine Frau Sonja Briefmarken kaufen. Der Postshop in unserem Dorf wurde damals von einem Mann in seinem Schreibwarenladen mit angeschlossenem Anglergeschäft betrieben. Er erzählte ihr, dass er bald in Rente gehen wolle, aber noch einen Nachfolger für die Poststelle suche.

Da war die Idee geboren: Wir machen eine Postfiliale auf.

Die Dorfgemeinschaft war glücklich, denn das bedeutete, weiterhin Pakete absenden und abholen und Briefmarken kaufen zu können. Wir luden den Bereichsleiter der Post zum Kaffee ein und beantragten beim Landratsamt eine Nutzungsänderung, weil wir ein Geschäft mitten im Wohngebiet eröffnen würden. Dann brachen wir mit Unterstützung der Nachbarn eine Tür in die Außenwand unseres Gästezimmers und bauten eine neue Zufahrt dorthin. Wir mussten zudem alle Auflagen zur Barrierefreiheit erfüllen.

Zum Thema Corona-Verlierer Berufswechsel in der Corona-Krise "Die Gerüche kosten mich noch Überwindung" Münchner Tafel Hier treffen sich die wirtschaftlichen Verlierer der Pandemie Innenstädte in der Corona-Krise Urlaub machen im Warenhaus

Im Juli haben wir eröffnet. Neben sämtlichen Services, die eine Postfiliale anbietet, verkaufen wir auch Schreibwaren und Geschenkartikel. Beides haben wir von dem Vorbesitzer übernommen. Den Bestand seines Schreibwarenladens zahlen wir monatlich bei ihm ab, ungefähr zwei Jahre wird das noch dauern. Wir haben sämtliche Rücklagen aufgebraucht für Investitionen und Umbauten. Viel verdienen wir nicht mit dem Laden, es reicht gerade so. Wie viel genau wir für einzelne Aufträge von der Post bekommen, darf ich nicht sagen. Wir bekommen jetzt etwa die Hälfte von unserem Gehalt, das wir als Musiker hatten, und haben doppelt so viel Arbeit. Außerdem war ich als Musiker ja mit einer ganz anderen Motivation dabei. Jetzt ist meine Motivation, dass ich überleben darf.

Meine Frau Sonja ist Jazzsängerin, ihr ging es mit den Aufträgen wie mir. Wir haben zwei Kinder, müssen einen Hauskredit abzahlen und obendrauf kam eine unerwartete Steuernachzahlung. Ich bekam ein bisschen Soforthilfe im April, aber dann erst wieder im November und Dezember, je 3000 Euro. Zwischendurch konnten wir kleinere Konzertchen geben. Aber wenn wir die Post nicht gehabt hätten, dann hätten wir wahrscheinlich unser Haus verkaufen müssen.

Das Schwerste ist, nebenher meine musikalischen Fähigkeiten aufrecht zu erhalten. Ich bin jetzt zwar Postshopleiter, aber im Herzen immer noch der Jazzpianist Jan Eschke. Also stehe ich jeden Morgen um 5:50 Uhr auf und setze mich bis 8:40 Uhr an meinen Flügel, bevor unser Laden im ehemaligen Gästezimmer öffnet. Wenn ich musisch nicht mehr die Qualität habe wie vor dem , dann habe ich komplett aufgegeben.

Wolfgang Teich, 51, Ingolstadt

Seit 29 Jahren fahre ich Taxi. Vor einem Jahr war ich noch Betriebsleiter des größten Taxiunternehmens in Ingolstadt. Das Jahr 2020 war sogar besser gestartet als jedes andere. Ab Mitte Februar habe ich aber gemerkt, dass die Leute vorsichtiger werden und seltener ein Taxi rufen.

Im März kam dann der Totalausfall. All unsere 15 Taxis standen still. Von jetzt auf gleich verdienten wir keinen Cent mehr. Wir haben reagiert, indem wir Essen für Restaurants ausgefahren und etliche Fahrzeuge abgemeldet haben.

Das hat aber nur gerade so gereicht, um die laufenden Kosten der Autos zu decken. Einige unserer 50 Taxifahrer haben gekündigt, viele andere musste ich nach und nach entlassen.

Irgendwann hat auch das nicht mehr gereicht, um über die Runden zu kommen. Die Kosten haben uns aufgefressen. Ich habe noch versucht, einen Kredit aufzunehmen, aber keine Bank wollte ein solches Risiko eingehen. Vom Staat haben wir 15.000 Euro Corona-Hilfe bekommen. Das reichte hinten und vorne nicht. Durchgehalten habe ich noch bis Oktober. Schließlich haben wir angemeldet, eine Sicherheitsfirma hat unsere Autos übernommen. Da bin ich wirklich enttäuscht von der Politik: Die "Großen" kriegen Gelder in Milliardenhöhe, und uns "Kleinen" werden selbst 50.000 Euro verwehrt. Das Taxi ist in Deutschland vergessen worden.

Mittlerweile habe ich mich selbstständig gemacht und fahre Krankentransporte mit Corona-Patienten. Das möchte sonst niemand machen, aber die Patienten müssen ja auch irgendwie zum Krankenhaus oder von dort nach Hause kommen. Die Fahrerkabinen einiger Taxis habe ich dazu mit Plexiglas vom Rest des Autos abgeschirmt.

Eventmanager

Dirk Kramm, 49, Soest

Ich hatte eine kleine Plattenfirma und belieferte Events mit Bühnenbildern.

Meine Partnerin und Freunde redeten mir zu Beginn des ersten Lockdowns noch gut zu. "Wird schon nicht so schlimm", sagten sie. Lange habe ich mich selbst betrogen und mir eingeredet, dass wir schon bald wieder würden arbeiten können. Bis September. Da war ich gerade im Urlaub, als ich abends die SMS eines Bekannten bekam: Ein Kollege aus der Branche habe sich mutmaßlich aus Verzweiflung das Leben genommen. Für mich war das der Punkt, an dem ich wusste: Jetzt muss etwas geschehen. Wir müssen zeigen, dass auch die Menschen hinter der Bühne betroffen sind. Dass Träume zerstört werden. Dass einige nicht durchhalten. Ich habe dann die Plattform kulturgesicherNRW mitbegründet, die deutschlandweit Betroffene porträtiert und in der Öffentlichkeit vorstellt.

Persönlich habe ich mich Ende Oktober eingesehen, dass ich als Eventmanager keine Zukunft habe. Eine Zeitlang habe ich in einem Unternehmen an einem T-Shirt-Trocknungsautomaten gearbeitet. Mittlerweile arbeite in einer Marktforschungsagentur, dort fühle ich mich auch sehr wohl. Dennoch treibt mich täglich der Gedanke um, ob meine Kollegen und ich wohl jemals wieder im Eventmanagement werden arbeiten können.

Original