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Einwegbecher: Er ist wieder da

Kaffee aus dem Wegwerfbecher war nur noch eine Umweltsünde von gestern. Doch in der Corona-Krise ist er zu einem positiven Symbol geworden. Über eine moralische Umdeutung

Kaffee aus dem Wegwerfbecher war nur noch eine Umweltsünde von gestern. Doch in der Corona-Krise ist er zu einem positiven Symbol geworden. Über eine moralische Umdeutung

Von Jana Luck

Etwas ist auf den Straßen aufgetaucht, in Parks, an Flussläufen, auf Bänken am Wegesrand. Nein, die Rede ist nicht schon wieder von Spaziergängern. Sondern von dem, was sie in der Hand halten: Kaffeebecher, und zwar die nicht wiederverwendbaren, die Pappkaffeebecher mit der fiesen Plastikschicht innen und dem Plastikdeckel und der schlechten Umweltbilanz obendrauf.


Bisher war es ja so: Wer etwas auf sich hielt, hielt einen Mehrwegbecher in der Hand. Einwegkaffeebecher, aus denen tranken nur die, die das mit der Nachhaltigkeit, Entschleunigung und Achtsamkeit noch nicht mitbekommen hatten. Den Einwegbecher nahm man bloß noch, weil man die Edelstahltasse vergessen hatte, aber wirklich einen Kaffee brauchte, oh je, schnell runter damit und weg mit dem Becher! Ein Einwegbecher ließ sogar den Flat White mit Hafermilch nach schlechtem Gewissen schmecken. Ganz anders der Mehrwegbecher, der hat den Extrashot moralische Überlegenheit.  


Doch seit einigen Wochen sind die Einwegbecher nicht nur wieder überall zu sehen, die mit Sicherheitsabstand spazierenden Menschen tragen sie sogar stolz vor sich her. Man braucht gar nicht zu fragen, was geschehen ist – Corona ist geschehen und es verdreht moralische Prinzipien. Die Wegwerfsünde von gestern ist heute egal, denn sie wird überblendet von der größeren Geste: Mit dem Einwegbecher demonstrieren wir, dass uns Gesundheit und Solidarität gerade wichtiger sind als die Ökobilanz.


Zwei moralische Prinzipien stechen ein anderes aus. Gesundheit, das bedeutet für viele, dass sie Einwegbecher jetzt hygienischer finden. Solidarität heißt, kleine Läden zu unterstützen. Dieses Prinzip hat noch einen Extrapunkt: #supportyourlocalbusiness. Ein weißer Pappbecher mit einem Logostempel des Lieblingscafés zeigt eben einfach viel besser als ein Mehrwegbecher, dass man nicht nur Cappuccino liebt, sondern auch die kleinen Läden aus dem Kiez, und dass man alles tut, um sie in der Krise zu retten. 


Andererseits sieht man gerade am mobilen Kaffeebecher, dass Moralvorstellungen wackeln, wenn die Zeiten sich ändern. Denn er steht symbolisch für das, was man tut oder lässt. 


Achtsamkeit, Baby!

Um seine Wandlung besser zu verstehen, müssen wir einmal kurz zurück, zum Beginn dieses Jahrtausends. Der Coffee to go war in Europa angekommen, und wie. So ein Pappbecher war nicht nur Kaffee zum Mitnehmen, er war ein Accessoire. Seine Bedeutung: Ich bin auf Zack, immer unterwegs, kann alles gleichzeitig, mein Treibstoff: Caramel Macchiato mit fettarmer Milch. Die Kür war es, den Becher in einer Hand mit Schlüssel und Geldbörse zu balancieren, dabei das Handy mit der Schulter ans Ohr zu drücken und furchtbar beschäftigt auszusehen.  


Genau das war es, was dem Coffee to go in den Zehnerjahren den ersten Stoß verpasste: dass er nach gehetzter Leistungsgesellschaft aussah. Achtsamkeit, Baby! Entschleunigung! Und spätestens 2019, in dem Jahr, im dem Nachhaltigkeit keine Nische mehr war, sondern Mainstream, da galt der Einwegbecher nur als noch geduldetes Übel.  


Corona wirft uns halt ins letzte Jahrtausend zurück, das sagt der Inhaber eines kleinen Berliner Kiezcafés, der nicht namentlich genannt werden mag. Immer mehr Menschen wollen jetzt wieder die Einwegbecher, sagt er. Aus Hygienegründen. Es gibt keine offiziellen Richtlinien oder Verordnungen der Landesregierungen, Einwegbehältnisse zu bevorzugen. Mehrwegbecher böten kein erhöhtes Ansteckungsrisiko, sagt auch Dirk Bockmühl, Professor für Hygiene und Mikrobiologie an der Hochschule Rhein-Waal. Mehrwegbecher seien keineswegs unhygienischer, würden sie in der Spülmaschine gereinigt. Trotzdem verzichten viele Cafés und Bäckereien gerade auf sie: Starbucks nimmt keine Mehrwegbecher mehr an, McDonald's auch nicht, dasselbe gilt für Ditsch. Auch kleinere Cafés haben sich dafür entschieden, Kaffee nur noch in Einwegbecher zu füllen. 


Es ist nicht so, dass der Mehrwegbecher tot ist. Aber es ist so, dass der Einwegbecher wieder salonfähig geworden ist. Wie die Pappverpackungen und Styroporschacheln, in denen man sein Essen aus dem kleinen Restaurant an der Ecke nach Hause transportiert. Das Virus hat ihnen die moralische Absolution erteilt, Solidarität sticht Nachhaltigkeit. Es wird hoffentlich ein kurzfristiges Revival für den Einwegbecher. Danach kann er dann endgültig verschwinden, und wir können uns wieder um die Umwelt kümmern.

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