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Als Sekt aus der Wasserleitung sprudelte

Der Kieferchirurg Horst Tüffers, inzwischen 86, weiß noch sehr genau, wie eine Arzthelferin auf ihn zukam und sagte, mit dem Leitungswasser stimme etwas nicht. Es war neun Uhr am 24. Juli 1981. An diesem Freitagmorgen hatte Tüffers seine Praxis in der Trierer Innenstadt gerade geöffnet, die ersten Patienten sollten bald eintreffen. Tüffers ließ einen Schluck aus der Leitung in einen Becher laufen und probierte. Es schmeckte komisch, so ähnlich wie Wein, erinnert er sich.

Damit lag er beinahe richtig: Aus der Wasserleitung floss reiner Sekt. Und zwar nicht irgendeiner, sondern die Herrenklasse trocken von der Trierer Sektkellerei Bernard-Massard, die ihren Sitz gleich nebenan am Stockplatz hat. Im Handel kostete die Flasche seinerzeit 7,98 Mark.

Bei den Nachbarn schäumten derweil die Waschmaschinen und Toiletten über. Manche Anwohner duschten gar nichts ahnend im Sekt, etwa die 26-jährige Büroangestellte Marlies Eppert, die sich über ein "komisches Prickeln auf der Haut" wunderte, wie der SPIEGEL Anfang August 1981 berichtete. Sobald die Menschen verstanden, was da aus der Wasserleitung sprudelte, begannen sie, den Sekt in Gläser und Flaschen abzufüllen.

Die Sekt, die so schön 'at geprickölt in mein Bauchnaböl

Die Lokalzeitung "Trierischer Volksfreund" schrieb tags darauf: "'Einmal in Sekt baden ...' - Dieser Wunschtraum vieler Bürger ging gestern Morgen ... in Erfüllung. Aus allen Wasserleitungen quollen die prickelnden Tropfen und weckten in den verblüfften Bürgern Bilder von Glück, Reichtum und Überfluss."

Stößchen! Schätzungsweise 800 Liter Sekt sprudelten aus den Wasserhähnen. Aber wie konnte es dazu kommen?

Der Sekt bei Bernard-Massard reift in Drucktanks, in die eine Wasserleitung führt, um sie reinigen zu können. Eigentlich sorgt ein Rückschlagventil dafür, dass nichts in die Wasserleitung zurückfließen kann. Doch dieses Ventil war damals defekt. Bei Trinkwasserleitungen beträgt der Druck meist drei bis vier Bar, der Druck des Sektes war höher - und so konnte der Sekt das Wasser verdrängen.

In Trier, gelegen mitten in der Weinregion Mosel, ist die nächste Kellerei nie weit entfernt. Einzigartig war der Vorfall von 1981 nicht. "Das hatten wir danach noch zwei, drei Mal", sagt Christian Girndt, Leiter des Wasserwerks der Stadtwerke Trier. Aber die anderen Kellereien lagen nicht mitten in der Innenstadt, daher waren die Verblüffung und die Aufmerksamkeit geringer.

Im August 1997 flossen etwa bei der Sektkellerei Peter Herres in einem Industriegebiet in Trier-Nord sogar rund 2500 Liter Sekt in die Wasserleitungen, auch hier wegen eines defekten Rückstoßventils. "Wir haben noch versucht, durch Aufdrehen unserer ganzen Wasserleitungen den Schaden zu begrenzen", sagte der Geschäftsführer Adolf Lorscheider der Deutschen Presseagentur. Zu spät, der Sekt hatte die angrenzenden Firmen bereits erreicht.

Zapfen, trinken, spülen

Der Schriftsteller und Kabarettist Thomas C. Breuer hat die Vorfälle in seinem Roman "Sekt aus der Wasserleitung" und vor allem in einem Bühnenprogramm aufgegriffen: "Technischer Defekt? Mumpitz! Die Bewohner von Trier müssen in regelmäßigen Abständen mit Sekt geflutet werden, sonst ticken die nicht richtig. Dort gibt es sogar ein Gymnasium mit einem eigenen Weinladen."

Das war noch untertrieben: Zum Trierer Friedrich-Wilhelm-Gymnasium gehörte jahrhundertelang ein ausgedehntes eigenes Weingut mit Riesling aus Steillagen wie Trittenheimer Apotheke oder Graacher Himmelreich, bis das Bischöfliche Priesterseminar Trier es 2004 übernahm.

Man kann sich schlimmere Unfälle vorstellen als Schampus aus der Dusche. Allerdings mussten die Stadtwerke in beiden Trierer Fällen das Rohrnetz kräftig durchspülen. Sekt ist zwar nicht gefährlich, "aber doch ein Nährboden für Bakterien", sagt Christian Girndt. Mittlerweile gebe es Rohrtrenner und doppelt wirkende Rückschlagventile, die dafür sorgten, dass so etwas nicht mehr passiere.

Wasser zu Wein - ein unbiblisches Wunder

Zu ähnlichen Pannen kommt es auch anderswo. Erst im vergangenen März floss Rotwein aus Wasserleitungen in der norditalienischen Gemeinde Castelvetro di Modena. Ein technischer Defekt bei der Weinkellerei Cantina Settecani spülte den Anwohnern Lambrusco ins Haus. Den könne man bedenkenlos genießen, versicherte das Weingut sogleich: "Es handelt sich einzig um Wein, der schon bereit zur Abfüllung war." Nach gut einer Stunde war das Spektakel vorbei.

Marino, ein Städtchen nahe Rom, verwandelte 2008 ebenfalls Wasser in Wein, als ein Klempner die Weinleitung eines Winzers versehentlich mit den örtlichen Wasserleitungen verband - statt mit dem "Wunderbrunnen" auf dem Hauptplatz. Denn dort läuft alljährlich am ersten Oktoberwochenende ein Traubenfest, bei dem der imposante Dorfbrunnen mit Wein versorgt wird und jeder Besucher sich bedienen kann.

In Trier versiegte die Quelle im Sommer 1981 rasch. Bei der Sektkellerei Bernard-Massard kann niemand mehr etwas Genaueres dazu sagen; sowohl der damalige Geschäftsführer Joachim Immelnkemper als auch Kellermeister Waldemar Baum sind bereits verstorben. Birgt Nummer aus dem Marketing erinnert sich aber, dass die Geschichte oft im Haus erzählt wurde.

Die Redakteure des "Trierischen Volksfreunds" hatten jedenfalls ihren Spaß. Ein Anwohner vom Stockplatz hatte Sekt aus der Leitung abgefüllt und brachte sie ihnen vorbei. Ein Redakteur sagte damals: "Ich hätte mir die ganze Badewanne volllaufen lassen." Sein Kollege erwiderte: "Ich hätte mich selbst volllaufen lassen."

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