Greenpeace und die CDU - das ist eigentlich eine Antithese; zwei Institutionen, die seit Jahren im Zwist miteinander liegen. Umso bemerkenswerter sind die wohlwollenden Töne, die Bundeskanzlerin Angela Merkel am Montagabend anschlug: „Der Klimawandel ist die größte Bedrohung unserer Zeit", sagte die Regierungschefin anlässlich der 50-Jahrfeier der Organisation in Stralsund.
„Die nötige Transformation ist mit Aufwand und Kosten verbunden. Doch die Folgen des Klimawandels wären noch unbeherrschbarer, wenn wir noch später handelten, als das eh schon der Fall ist", so Merkel weiter.
Es ist eine Ansprache, die verblüfft - und für Greenpeace nicht schmeichelnder sein könnte. „Der Kern von dem, was wir tun, hat sich nie verändert", heißt es in einem Werbefilm, der vor Merkels Auftritt abgespielt wird - auch die „gewaltfreien Aktionen" zählen zum Eigenlob. Die Botschaft des Abends in Stralsund: „Stillstand können wir uns nicht mehr leisten."
Vielen im Gedächtnis geblieben ist Greenpeace tatsächlich durch spektakuläre Aktionen, die zur Bekämpfung des Klimawandels beigetragen oder grobe Umweltschäden verhindert haben. So erreichte der Verein 1995 zum Beispiel, dass eine Shell-Bohrinsel nicht wie geplant in der Nordsee versenkt wurde. Später wurde ein allgemeines Verbot per Gesetz festgeschrieben.
Die Entsorgung im Meer wurde verhindert - unter anderem durch eine Besetzung und einen Aufruf zum Tank-Boykott bei Shell. Auch die Bundeskanzlerin lobte die Bohrinsel-Besetzung als „todesmutig". Ihr Resümee: Der Boykottaufruf sei „geschickt" gewesen. „Da konnte sich jeder beteiligen, ohne Einschränkungen im Alltag hinzunehmen."
In den vergangenen Monaten geriet der Verein aber auch stark in die Kritik. Beispielsweise, als Aktivisten hunderte Schlüssel von VW-Neuwagen stahlen und damit deren Export verhinderte. Vereinschef Martin Kaiser sagte dazu am Montag: „Es hilft, eine überfällige Diskussion über die wahren Schlüsselfragen anzustoßen, wie umweltschädlich unsere Autos sein dürfen."
Brisanter war da schon der missglückte Gleitschirmflug eines Greenpeace-Aktivisten bei der Fußball-EM im Juni: Der Mann gefährdete bei seiner Bruchlandung in der Münchner Allianz-Arena nicht nur sich selbst, sondern auch dutzende Unbeteiligte, einige landeten im Krankenhaus. Politiker wie Friedrich Merz (CDU) forderten danach, dem Verein die Gemeinnützigkeit zu entziehen.
Für Merkel hingegen war die „missglückte Aktion" der einzige Kritikpunkt in ihrer Rede. Sie sprach von „eigener Gefährdung und Fremdgefährdung" - erwähnte dann aber lobend, dass Greenpeace Bedauern ausgedrückt hatte. Die Arbeit des Vereins sei „spektakulär und umstritten" und sorge stets für Aufsehen. „Gleichwohl: Sie haben viel erreicht", sagte Merkel und schloss mit den Worten: „Sie werden auch weiterhin gebraucht, herzlichen Dank!"
Merkels Auftritt ist jedoch nicht nur wegen des Lobes bemerkenswert. In den vergangenen Jahren kritisierte Greenpeace die Bundeskanzlerin und ihre Partei massiv. Dass Aktivisten 2019 ins Berliner Konrad-Adenauer-Haus eindrangen und das „C" des CDU-Schriftzuges abmontierten, fällt noch unter die Kategorie harmlos.
Vorwürfe einer „Politik von vorgestern" oder einem „zynischen Spiel auf Zeit" gehören bei Greenpeace schon eher zum Grundton der Regierungskritik. Die Partei „hält die Hand schützend über die Wirtschaft und drückt beim Klimaschutz auf die Bremse", schrieb der Verein im Januar. Erst kürzlich veröffentlichte Greenpeace ein „Schwarzbuch" über 31 Politiker - zum Großteil der CDU - mit dem Titel „Wir haben verhindert".
Dass es auch zwischen einigen Grundwerten der CDU und Greenpeace eine gewisse Diskrepanz geben könnte, zeigte die anschließende Podiumsdiskussion. Keine fünf Minuten waren vergangen, da befand die internationale Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan: „Das neoliberale Wirtschaftssystem ist kaputt." Die Pandemie habe das überdeutlich gemacht. Der Verein kämpfe „gegen dieses System", sagte sie weiter.
Zustimmendes Nicken kam dazu von Soziologe und Greenpeace-Sympathisant Harald Welzer. „Die ständige Wachstumswirtschaft kann kein Frieden mit der Natur schließen", konstatierte er. In Anspielung auf die Gleitschirm-Bruchlandung sagte Welzer: „Zu den guten Geschichten gehört auch das Misslingen und das wieder Aufstehen."
Weiter sagte er, es sei „schade", dass die Kanzlerin nun nicht mehr zuhöre - es sei gar „süß", wenn Merkel finde, derlei Aktionen seien nicht in Ordnung. „Wenn wir den Wachstumsfetisch nicht lösen, werden wir die Umweltkrise nicht lösen", betonte Welzer. Angela Merkel war da nicht mehr im Raum - es standen Folgetermine an.
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