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Das Ende der Leidenschaft

Zur Situation aller freien MItarbeiter, die fürs Fernsehen (und fürs Radio) arbeiten, ob Kamera- und Tonleute, Grafiker und Grafikerinnen, Cutter und Cutterinnen und auch Autoren, Journalisten und Regisseure:

„Wer kann, verlässt die Branche", sagt Stefan Nowak. Der Kölner arbeitete 20 Jahre lang als Kameramann. Er kehrte der Branche den Rücken, weil diese sich langsam selbst zerstöre. In der aktuellen Ausgabe des Film & TV Kameramann schildert er seine Beweggründe. Darauf bekamen wir so viel Feedback, dass wir uns entschlossen haben, den Artikel auch online zu stellen. Wir sind gespannt auf Ihre Meinung!

Text: Stefan Nowak

Das Fernsehen der Siebziger Jahre hat meinen Berufswunsch entfacht. Ich bin in einer weltoffenen Stadt und mit den großen Fernsehreportagen und Dokumentarfilmen aufgewachsen; mit Ernst von Khuon, Hans Hass, Peter Scholl-Latour, und vielen Anderen, die damals mit ihren Kameraleuten spannend und unterhaltsam mit Engagement und Können aus der ganzen Welt berichteten. Mit sechzehn wußte ich dann, dass ich selber mit Leidenschaft Bilder drehen, die Welt sehen und mit meinen Bildern nicht nur informieren und unterhalten, sondern auch für Menschen und gegen Missstände kämpfen wollte. Mir war sehr klar, dass ich nicht viel Geld verdienen, sondern spannende Bilder aufnehmen, Geschichten erzählen, und von meiner Arbeit leben können wollte.

Bewerbungen um ein Volontariat bei den damals existierenden zwei großen Sendern, ARD und ZDF waren erfolglos. Die reagierten mit Desinteresse, denn sie waren auf Jahre hinaus mit Volontären versorgt, und die Kameraassistenten warteten ewig darauf, dass der Kameramann von einem Blumentopf erschlagen wird, damit sie selber endlich mal „an die Mühle" kamen. Alternativen sah ich damals nicht; erst Jahre später kauften die frisch gegründeten Privatsender die Kameraleute und Kameraassistenten der Öffentlich- Rechtlichen zu Traumhonoraren für sich ein.

Autodidakt

Also beschloss ich das, was ich autodidaktisch seit der Schulzeit semiprofessionell 'nebenher' tat, erstmal beruflich zu machen: zu fotografieren. Nur wollte ich jetzt davon leben. Dem lehrreichen Anfang als Lokalfotograf bei einem Lokal- und Anzeigenblatt im freudlosen Nordhessen folgte nach zwei Jahren ein Umzug nach Berlin, zur dort damals einzigen unabhängigen Tageszeitung, dem Tagesspiegel. Auch dort fotografierte ich mit viel Leidenschaft und Spaß an der Arbeit, festangestellt, acht Jahre lang quer durch alle Themen; entwickelte meine Filme, vergrößerte meine Bilder selber und genoss die Arbeit mit kompetenten Kolleginnen und Kollegen.

Als ich dann einen französischen Dokumentarkameramann kennenlernte, loderte das alte Feuer wieder auf. Nachdem ich ihm Fotos gezeigt hatte, meinte er, Bilder zu machen müsste ich nicht mehr lernen und bot mir an, für ihn als Kameraassistent zu arbeiten und so das Handwerk von der Pike auf zu lernen. Ich kündigte meine feste Anstellung in Berlin (das hat ihn beeindruckt) und zog zurück nach Köln, um von dort aus mit meinem neuen „Kameravater" um die Welt zu ziehen und das Drehen zu lernen.

Es war eine großartige Zeit; wir drehten alles, von Aktuellem über Reisereportagen, Tierfilme, Kriegsreportagen, Dokus für die UNESCO, Industriefilme, Wissenschaftsreportagen bis hin zu Unterwasserfilmen - und wir sind bis heute enge Freunde. Nach ein paar Jahren meinte er dann, ich solle gefälligst auch ab und zu mal mit anderen Kameraleuten drehen, um deren Stil kennenzulernen und auch von ihrem Wissen zu profitieren. Das habe ich getan, und dann habe ich irgendwann immer häufiger selber in der ganzen Welt schöne, interessante, gewalttätige, langweilige, furchtbare oder auch nur belanglose Geschichten gedreht.

Eines Tages wurde mir klar, dass die Honorare seit meinem Einstieg ins Fernsehgeschäft achtzehn Jahre lang nicht gestiegen, sondern im freien Fall nach unten waren, und ich einer der Wenigen in der Branche war, die sich weigerten, für weniger Geld immer länger und intensiver zu arbeiten und dann auch noch monatelang aufs Geld zu warten.

Engagement

Ich wollte nicht nur ins allgemeine konsequenzlose, lähmende Branchengejammer einstimmen, also engagierte ich mich für bessere Honorare und Arbeitsbedingungen. Erst bei der FilmUnion in ver.di, dann auch im Berufsverband der Kameraleute, im BVFK. Als Ursachen für die manchesterkapitalistischen Arbeitsbedingungen im Fernsehgeschäft habe ich verschiedene Gründe gesehen: die immer weiter sinkenden Budgets der Sender, und die Unzahl von häufig finanziell und fachlich inkompetenten Produzenten und Produktionsfirmen, die unterbudgetierte Produktionen nicht ablehnen, sondern die miese Bezahlung nach unten an die Kamerateams und Autoren durchreichen.

Gleiches gilt für Kameraleute und Assistenten und auch Autoren - jeder Job wird angenommen, sei er auch noch so schlecht bezahlt. Dann ist da das systematisch durch Überproduktion von oft an profitablen Privatschulen mehr schlecht als recht ausgebildeten Mediengestaltern erzeugte Überangebot an billigster und willigster Arbeitskraft. Für diese jungen Menschen sind miese Arbeitsbedingungen und schlechte Bezahlung gottgegeben, denn sie haben es nie anders kennengelernt. Das sind Teilaspekte des Problems; lange Zeit habe ich geglaubt und auch öffentlich vertreten, dass die Misere letztendlich auf die immer weiter sinkenden Budgets der Sender zurückzuführen sei. Dieses Engagement hat mich Sympathien und auch Aufträge gekostet. Das Fernsehen stirbt einen langsamen Tod, und mit ihm die Produktionsfirmen, Autoren, Kameraleute, Tontechniker, Regisseure.

Wem das klar geworden ist, der erkennt, dass es nicht besser werden wird. Die durchschnittlichen ARD/ZDF-Zuschauer sind 63 Jahre alt; die Privatfernsehseher gerade mal fünfzehn Jahre jünger. Dementsprechend grottoid ist der überwiegende Teil der ausgestrahlten Programme. Pilcher-Schmonzetten, peinliche Shows mit noch peinlicheren Showmastern, unzählige Talkshows mit immer denselben Gästen über austauschbare Themen beim zwangsalimentierten Fernsehen; frauensuchende Landwirte, grenzdebile chancenlose Möchtegernauswanderer oder gescriptete „Dokusoaps" mit talentfreien Laiendarstellern beim privaten Werbefernsehen.

Medienwandel & Erfahrung

Wer mit Jugendlichen oder jungen Erwachsenen zu tun hat weiß, dass die eigentlich überhaupt nicht fernsehen, sondern sich mit dem Smartphone bei Youtube oder in den Mediatheken der Sender bedienen. Wer will auch schon die Produkte von menschlich und beruflich unerfahrenen, aber billigen Kameraleuten sehen, die nicht wissen, wie sie es handwerklich hinkriegen, und mit ebenso billigen und unerfahrenen Redakteuren oder Realisatoren, die nicht wissen wie es geht, Filme für Zuschauer drehen, die das alles sowieso nicht interessiert?

„Anschlüsse gibt's am Bahnhof, Schärfe beim Inder im Bahnhof und Inhalte im Bahnhofsmülleimer." Das ist keineswegs nur bei den Produktionen für die Privaten so; ich habe für alle gearbeitet. Auch bei den Öffentlich-Rechtlichen nehmen Erfahrung und Kompetenz nicht nur der Kamerateams, sondern auch der festen und freien Redakteure, Regisseure oder Realisatoren rapide ab. Kein Wunder, denn sie werden immer jünger, sind dadurch zwangsläufig unerfahrener, schlechter bezahlt und zunehmend überfordert - von unterbudgetierten Drehs, zu langen Drehtagen und der Angst um den nächsten Job. Ohne Bildung, Lebens- und Arbeitserfahrung und tägliches Dazulernen macht man aber keine guten Filme.

Die Verantwortlichen in den Sendern interessiert das nicht; die Öffentlich-Rechtlichen muss es nicht interessieren, denn sie werden von der Gesellschaft ohne Rechenschaftspflicht zwangsalimentiert, und bei den Privaten dient das Programm ohnehin nur zum Füllen der Pausen zwischen den Werbeblöcken. Da zählen nicht Inhalte, sondern die Shareholder Value. Mittlerweile ist mir klargeworden, dass die sinkenden Budgets nur ein Teil des Problems sind. Die Sender und Produzenten wissen mittlerweile genau, dass sich in der Branche immer ein Arschloch finden wird, das gezielt zu den Gewerkschafts- und Berufsverbandstreffen geht, um dort die diskutierten und aufgerufenen Mindesthonorare in Erfahrung zu bringen. Dann geht dieser „Kollege" oder die „Kollegin" zum Sender oder Produzenten und unterbietet diesen Preis, kriegt also den Auftrag - und die Anderen schauen in die Röhre.

Neue Aufgabe

Weder das Engagement von hauptberuflichen oder ehrenamtlichen Gewerkschaftern, noch die aufreibende Arbeit der in den Berufsverbänden engagierten Kollegen haben Aussicht auf Erfolg, wenn Branchenkollegen die eigene Branche verraten. Nachdem ich das lange Zeit erfolglos angeprangert und auch vor einer Abspaltung der anständigen Kollegen von den Dumpern im Berufsverband gewarnt hatte, wurde mir klar, dass man mit den wenigen anständigen Kolleginnen und Kollegen nicht gegen die Windmühlenflügel der Dummheit, Feigheit, Anpassung und Unfähigkeit gewinnen kann.

Mir geht's jetzt gut; ich habe meinen Weg gefunden, habe spannende Projekte mit sympathischen und kompetenten Kollegen, die wissen, was sie tun und von denen ich immer wieder dazulerne. Ich checke nicht mehr stündlich, ob ich eine Email oder den Anruf eines Kunden verpasst habe. Ich habe endlich diese ganze, nur aus beruflichen Gründen ertragene Social-Network-Pest gelöscht. Meine Arbeitszeiten sind absehbar; ich kann meine Freizeit, anders als früher, einteilen und planen. Wenn es doch mal länger wird als gedacht, wird es bezahlt --und das Geld kommt pünktlich, ohne Hinterhertelefonieren und Drohungen mit Rechteentzug oder dem Anwalt.

Ich bin glücklich, zufrieden und wesentlich entspannter - ich leiste harte körperliche Arbeit; trage Verantwortung für meine Projekte, die Kollegen, und die für mich und für die Qualität meiner Arbeit. Ich bin ‚raus aus dieser menschenverachtenden, verlogenen Drecksbranche Fernsehen.

Ich vermisse nichts, denn ich habe noch eine großartige Zeit in der Branche erlebt; die befriedigende Zusammenarbeit mit kompetenten Kolleginnen und Kollegen hatte ich allerdings seit langem kaum noch genießen dürfen. Die Formate, für die ich gearbeitet habe, werden entweder immer seichter oder kaum noch produziert. Sendeplätze gibt es dafür ohnehin nicht mehr.

Ich will auch nicht mehr mit unzulänglichen Kameras oder Fotoapparaten drehen, deren Handling einen ergonomischen Rückschritt von dreißig Jahren mit sich bringt, denn es geht immer mehr nur noch um den „Look", statt um Inhalte.

Reportage heißt heute DokuSoap und wird gescriptet von und mit Dilettanten hingerotzt. Dokumentarfilm ist „Infotainment" und blendet von einer Kamerafahrt in den nächsten Drohnenflug oder Kranschwenk und muss „Re-Enactments" haben, in denen frisch geföhnte glattrasierte Seeleute in sauberen und faltenfreien Uniformen auf der Santa Maria gerade Amerika entdecken, während der Kommentator dramatisch erzählt, dass sie schweißgebadet unter Skorbut und Syphilis leiden.

So billig wie in Deutschland wird sonst nirgendwo produziert; Fernsehteams in Frankreich und Großbritannien bekommen doppelt, in Skandinavien dreimal soviel für ihre Arbeit; deutsche Teams arbeiten in Polen, weil sie billiger sind als die polnischen Kollegen. Das tut mir immer noch leid für die anständigen Kollegen - aber ich hab's jetzt hinter mir, ich bin zufrieden und ohne Bitterkeit ‚raus aus dem Rat-Race. Und das tut gut.

Hartes Thema Ausstieg

Gerne hätten wir Ihnen noch mehr Einzelfälle vorgestellt und von Kollegen ihre Beweggründe für den Entschluss, die Film- und TV-Branche zu verlassen, erläutern lassen. Vor allem, um zu zeigen, dass es stets die gleichen Gründe sind: Das jahrelang erlernte Handwerk des Berufskameramanns wird nicht mehr wertgeschätzt, die Leidenschaft für diesen so schönen Beruf geht verloren, Altersvorsorge und Rücklagen sind nicht mehr möglich.

Leider waren viele, die wir ansprachen zwar zu einem Gespräch bereit, in die Öffentlichkeit wollten sie mit der Geschichte nicht treten. Vielen geht es ähnlich, wie Stefan Nowak. Sie haben mit der Branche abgeschlossen - einige verbittert, andere im Guten. Doch oft sind noch Freunde und Kollegen bei Film und TV tätig, die Teil der Geschichte wären und daher eine Veröffentlichung nicht in Frage kommt. Wir respektieren diese Entscheidung.

Stefan Nowak

war rund 20 Jahre in der Film- und TV-Branche als Kameramann tätig, bis er 2015 den Entschluss fasste, das Berufsfeld zu wechseln. Er machte Dokumentarfilme und Reportagen, war zu Auslandseinsätzen in Krisengebieten unterwegs und arbeitete sowohl für ARD und ZDF, als auch für private Sender. Heute arbeitet er im Ingenieurabbruch mit Spezialmaschinen wie 100-Tonnen Longfront-Baggern oder 2-Tonnen Mini-Abbruchmaschinen und zerlegt Gebäudeanlagen. „Heavy Metal und Gehirn." Nowak lebt in Köln.


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