6 subscriptions and 2 subscribers
Article

Europa in den eigenen vier Wänden

Foto: Martin Stollberg

Die Bewegung Pulse of Europe will das krisengeschüttelte Europa wachküssen und setzt dabei nicht nur auf Demos. Die Anhänger treffen sich nun in sogenannten Hausparlamenten, um die hohe Politik zu diskutieren – mit viel Begeisterung, wie ein Besuch in Stuttgart zeigt.

In einem kleinen Stück Frankreich, mitten im Stuttgarter Westen, wird über die Zukunft Europas entschieden. Im Bistro Le Tonneau sitzen sieben Menschen, die sich untereinander nicht alle kennen, die aber eines eint: die Zuneigung zu Europa. An diesem Abend wird darüber beraten, ob sich die EUals Reaktion auf die America-first-Politik von US-Präsident Donald Trump neu aufstellen muss.

„Donald Trump kann auch eine Chance sein. Eine Chance der EU, sich nach außen hin zu positionieren“, findet Silke Schreiner an diesem Sommerabend. Die Physiotherapeutin aus Stuttgart hält einen EU-Außenminister zwar grundsätzlich für eine gute Idee, empfindet aber die mangelnde Einigkeit innerhalb Europas als Problem. „Wie sollen wir uns nach außen aufstellen, wenn wir innerhalb der EU kaum auf einen Nenner kommen?“, fragt sie in die Runde. Kopfnicken am Tisch, das sehen auch die restlichen sechs Teilnehmer als Problem.


Die sieben Personen bilden ein sogenanntes Hausparlament. Mit ihnen will der Verein Pulse of Europe (PoE) die Bürgerbewegung in Deutschland weiterführen. Ende 2016 stampften einige Freunde die erste proeuropäische Veranstaltung in Frankfurt aus dem Boden. Auf diese Veranstaltung folgten mehr, schnell beteiligten sich mehr als 120 Städte in verschiedenen Ländern. Heute sind es in Stuttgart nicht mehr so viele Teilnehmer wie zu Beginn, diese treffen sich aber immer noch einmal im Monat. Bis zum 24. August kann sich jeder Interessierte auf der Website registrieren und Gastgeber für ein Hausparlament werden, zu dem dann Freunde und Bekannte eingeladen werden. Bisher haben sich seit Mitte Juli 499 Menschen als Gastgeber für ein Hausparlament registriert.

Pulse of Europe hat bewusst nie parteipolitische Ziele verfolgt. Wohl auch deshalb kam nach einiger Zeit die Frage auf, wie der nächste Schritt aussieht. Zwar gibt es zehn Grundaussagen, die das Handeln der Initiative leiten sollen – konkrete Ziele aber nicht. Die Parlamente sollen nun dafür sorgen, dass es weitergeht. Der Abend im Tonneau wird vor allem eins zeigen: In europapolitischen Fragen sind die Antworten selten einfach und Einigkeit schwer zu erreichen – selbst für Proeuropäer, die an ähnlichen Werten festhalten.


Pulse of Europe unterstützt die Debatte mit konkreten Fragen zur Europapolitik, einem Gesprächsleitfaden und Abstimmungsunterlagen. Der Diskussion selbst ist ein Thema übergeordnet, dem sich die Teilnehmer im Verlauf des Abends über vier Unterfragen nähern. Am Ende stimmen die Teilnehmer ab, inwieweit sie den Fragen zustimmen.

Im Stuttgarter Westen duzen sich die Teilnehmer, es wird viel gelacht. Das Vorgehen ist nicht immer exakt klar, was der Diskussion aber nicht schadet. Ab und an muss der Diskussionsleiter die Runde wieder zur eigentlichen Fragestellung zurückholen, leicht bleiben die Teilnehmer in Detailfragen hängen. „Welche Kompetenzen hat eigentlich die EU-Außenbeauftragte Moghe­rini?“, heißt es dann. Und weiter: „Wie überschneidet sich das dann mit einem möglichen Außenminister?“

Um einen „wahrhaften und nachhaltigen Dialog“ zu ermöglichen, schickt Pulse of Europe die Ergebnisse der Hausparlamente am Ende an einen sogenannten Entscheidungsträger. In der aktuellen Phase ist es Michael Roth, Staatsminister für Europa im Auswärtigen Amt. Er setzt sich mit den Ergebnissen auseinander und hat sich verpflichtet, zu den Ergebnissen Stellung zu beziehen. Die Idee: Der Abstand zwischen europäischen Politikern und den Bürgern soll sich so verringern. „Mir gibt es die Möglichkeit, neue Anregungen aufzunehmen, meinen Blick auf die Dinge im Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern immer wieder zu prüfen und meine Perspektive kritisch zu befragen“, kommentiert Roth.

In der Grundausrichtung ist sich die Stuttgarter Gruppe einig, aber manchmal gehen die Meinungen dann doch auseinander. Silke Schreiner, die Physiotherapeutin, hat noch Vorbehalte, wenn sie daran denkt, dass ihr Sohn für eine gemeinsame europäische Armee eingezogen würde. „Als Mutter habe ich ein Problem damit“, sagt Silke. Sebastian Hoch, Pianist und Komponist, ist begeistert von der Idee und fragt: „Wo ist der Unterschied zur deutschen Bundeswehr? Liegen dort die Grenzen in deinem Europa?“

Vollkommen überraschend ist es nicht, dass sich sieben Proeuropäer in vielen Dingen einig sind. Mit der Bürgerbewegung identifizieren sich kaum jene, die der EU feindselig gegenüberstehen. Das weiß auch Alexander Knigge, Vorstandsmitglied bei Pulse of Europe. Man wolle unbedingt den Austausch mit Skeptikern, habe aber nur begrenzte Möglichkeiten. „Das treibt uns um. Allerdings können wir als Bürgerbewegung nur ein Angebot machen und an die Gastgeber appellieren, auch skeptische Personen einzuladen.“

Original