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Kein Quotenjude

Shahak Shapira ist nicht einfach nur ein Spaßvogel. Foto: Boaz

Shahak Shapira nervt, eckt an, wühlt auf. Doch wer den jüdischen Satiriker und Internetstar Shahak Shapira für einen aufmerksamkeitsverliebten Spaßvogel hält, der irrt. Hinter der Fassade steckt ein Mann mit ernsten Absichten.

Wer sich näher mit Shahak Shapiras Leben auseinandersetzt - vor allem mit seiner Jugend - kann eigentlich nur zu einem Schluss kommen: was für ein Außenseiter! Als Junge, der kein Deutsch spricht, kam er mit 14 Jahren nach Deutschland. Wohl für jeden Jugendlichen eine blöde Situation. Im Fall der israelischen Familie Shapira wird es besonders pikant, wenn man weiß, wohin genau es sie damals verschlug: in eine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt - in die NPD-Hochburg Laucha. 

Immer wieder habe er gegen Rassismus und Ausgrenzung kämpfen müssen, erzählt er. Er, der Ausländer, der Jude im NPD-Dorf. Seine Jugend kontrastiert mit seinem heutigen Auftritt in der Öffentlichkeit als Satiriker, als Internet-Figur Shahak Shapira. In seinem ersten Buch beschreibt er mit viel Selbstironie den jugendlichen Shahak als Verlierer, als Außenseiter, der erst auf den letzten Seiten ein wenig Aufwind zu bekommen scheint.

Auch wenn man den Menschen Shapira trifft, wird der Kontrast zum öffentlichen Bild deutlich. Shapira sitzt in einem Café in Berlin-Neukölln, unauffällig in Kapuzenpulli und Jeans. Wenn er spricht, wirkt er wie ein ruhiger Typ, selbstkritisch, fast ein wenig schüchtern. Nicht wie ein Verlierer oder Außenseiter. Aber auch so gar nicht wie dieser aufmüpfige Typ auf Twitter. Im Internet und in Interviews erlebt man ihn anders, dort ist er laut und radikal. Ein Provokateur par excellence.

Der 29-Jährige ist mit „Yolocaust“ bekannt geworden – der Aktion, bei der er Selfies von Menschen am Holocaust-Mahnmal in Berlin in Szenen aus Konzentrationslagern der Nazis schnitt. Sie sicherte ihm internationale Aufmerksamkeit. Seitdem vergeht gefühlt keine Woche, in der er nicht mit einer neuen Idee provoziert. Nach „Yolocaust“ sprühte er Hass-Tweets auf den Boden vor der deutschen Twitterzentrale. Kaum zwei Wochen später wurde er als Reichspropaganda-Minister der Satire-Partei „Die Partei“ vorgestellt. In dieser Funktion übernahm er mit der „Partei“ mehr als 30 Facebook-Gruppen, die die AfD unterstützten. Zwischendrin veröffentlichte er zwei Bücher, das autobiografische „Das wird man ja wohl noch schreiben dürfen!“ und die „Holyge Bimbel“ in Jugendsprache.

Shapira nervt, er wühlt auf, er eckt an. Er sei ein Selbstdarsteller, heißt es oft. Darauf angesprochen, reagiert er mit einer Mischung aus Lachen und Schnauben: „Wenn ich Aufmerksamkeit bekomme, ist es meine Schuld oder deine?“, fragt er, „ich pushe nicht mich selbst, ich pushe meine Arbeit“. Und natürlich wolle er Menschen mit seinen Sprüchen und Ideen erreichen, das sei selbstverständlich. Spricht er über seine Arbeit, wird der sonst eher ruhige Shapira leidenschaftlich. Seine Aktionen seien immer mit einer Botschaft verbunden, sagt er.

Als er die Tweets in Hamburg auf den Boden sprühte, wollte er darauf aufmerksam machen, dass Twitter rassistische und menschenverachtende Kurznachrichten nicht löscht – auch wenn das Netzwerk dazu verpflichtet ist. Dass sich deshalb Menschen aufregen – damit kann er umgehen. Aber: „Mich ärgert es total, wenn ich Vorwürfe höre, die totaler Quatsch sind. Dass ich mich bei der Twitter-Aktion für Zensur einsetze zum Beispiel“, sagt er. Ein Mann, der gegen Missverständnisse kämpft?

Es wäre ein Leichtes, zumindest Shapiras Weg in die Öffentlichkeit misszuverstehen. Ihn als jemanden darzustellen, der aus einem Zufall den größtmöglichen Profit geschlagen hat, als jemanden, der unbedingt in die Öffentlichkeit will. Neujahrsnacht 2015: Shapira ist in der Berliner U-Bahn unterwegs, als eine Gruppe deutsch-arabischer Jugendlicher in die Bahn steigt. Sie rufen „Fuck Israel“ und „Fuck Juden!“ Shapira, in Israel geboren, will sich das nicht gefallen lassen und ruft: „Ich bin Jude, habt ihr ein Problem damit?“ Mit dem Handy will er die Szene filmen. Das gefällt den Jungs nicht, sie pöbeln, beleidigen ihn, spucken ihn an, schlagen auf ihn ein.

Die Empörung ist groß. „Israeli in U-Bahn angegriffen“, heißt es. Kein schönes Erlebnis, das Shapira das erste Mal in die Medien bringt. Eine Situation, nach der wohl viele keine Lust auf Publicity hätten. Shapira hat es anders gemacht. Er hat sich selbst bei den Medien gemeldet. Weil er so ein Selbstdarsteller ist, wie einige sagen? Nein, nicht weil er ruhmgeil war, sagt er heute, sondern kein Opfer sein wollte. „Und was noch viel schlimmer war: Pegida, AfD und Co., die die Geschichte für sich genutzt haben“. Er wollte nicht, dass mit dem Fall Politik gemacht wird – vor allem nicht von jenen rechten Gruppen, die er später immer wieder angreift. Also ging er an die Öffentlichkeit, „um die Berichterstattung zu berichtigen“; er wollte nicht „das arme Opfer“ sein.

Weil er parallel zur Berichterstattung auf Facebook kommentiert, bekommt er in kurzer Zeit viele Anhänger. Das vermeintliche Opfer Shapira verhält sich online aber nicht so, wie es einige erwartet hätten. Er zieht über die AfD her und macht Witze über so ziemlich jede Nation, Ethnie oder Religion. Dabei macht er nicht vor sich selbst Halt; er inszeniert sich als einsamen Trottel, der ständig über seinen Penis redet.

Dann wird ihm vorgeschlagen, ein Buch zu schreiben. Das tut er – und er beschreibt darin, wie er von Israel nach Deutschland kam und wie es zur Situation in der Berliner U-Bahn kam. Im Kern erzählt er die Geschichte von einem jüdischen Jungen, der von Isreal in eine Kleinstadt in Sachsen-Anhalt zog, in der die NPD zu ihren besten Zeiten mehr als 13 Prozent der Stimmen einfuhr. Er erzählt, wie ihm jeden Tag Rassismus entgegen schlug, wie sein Bruder von Rechtsextremen zusammen geschlagen wurde, wie er sich damals als Außenseiter gefühlt hat. Und am Ende, wie er die Nase voll hatte und sich endlich wehren wollte.

Vor allem die jüdische Community in Deutschland habe ihn danach unbedingt lieb haben wollen, sagt er. Viele wollten ihn, das Fernsehen, das Radio, die Zeitungen. „Ich bin der Quotenjude, der in jeder Antisemitismus-Doku mitmachen sollte.“ Er will das nicht sein. Er ist Atheist und hält im Grunde wenig von Religion. „Ich habe nicht ein Problem mit Gläubigen, sondern mit den Institutionen“, sagt er. Der größte Erfolg der Religionen sei die Fehlannahme, dass man sich nicht über sie lustig machen dürfe.

Genau das aber macht Shapira unter anderem auch mit seinem aktuellen Buch „Holyge Bimbel“, in dem er Bibeldialoge in der Internetsprache „Vong“ aufgeschrieben hat. Im Gespräch bezeichnet er das Buch als zwei Jahre alten Witz über ein 2000 Jahre altes Buch – und Gott als Soziopathen. Der zwei Jahre alte Witz ist die „Vong“-Sprache, in der er die Bibeldialoge aufschrieb. Im November wurde „I bims“, ein typischer Ausdruck in diesem Stil, zum Jugendwort des Jahres gewählt. Weshalb? „Was anderes hat die Bibel nicht verdient.“ Dass er mit der Parodie provoziert, weiß er. Aber: „Ich freue mich, wenn ich die Vorlage für Hass-Tweets sein kann.“ Was er damit allerdings nicht meint, sind Tweets wie die vor der Twitterzentrale: menschenverachtende, antisemitische Sprüche und Gewaltandrohungen.

Er hat Sinn für schwarzen Humor – mit den deutschen Comedians aber seine Probleme: „Ich mag keine Witze auf der Bühne, keine Clowns oder platte Gags über den ‚einen’ Unterschied zwischen Frauen und Männern.“ Er bewundere Stand-up-Comedians aus dem Ausland. Jene, die auf der Bühne komplizierte Dinge erklären, nicht Einfaches noch einfacher machen. Comedians wie den Briten Ricky Gervais oder den Amerikaner Dave Chapelle. Anfang 2018 geht er auf Tour, Titel: „German Humor“. Wieso dieser Name? „Weil Deutschland das lustigste Land der Welt ist.“

 

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