Frau Sainz Borgo, viele Szenen in Ihrem Roman „Nacht in Caracas" gleichen einem Bürgerkrieg, obwohl es eigentlich keinen Krieg in Venezuela gibt. Oder täuschen wir uns? Venezuela ist eine Diktatur. Es ist wegen der Armut und den sozialen Unterschieden ein sehr gewalttätiges Land mit gewalttätigen Lebensumständen, die einem das Gefühl vermitteln, man befände sich im Krieg - weil allein schon jeder zusehen muss, dass er lebendig nach Hause kommt.
Frauen haben eine große Bedeutung in Ihrem Roman. Diejenigen, die auf der Seite der Revolution stehen, werden als besonders grausam geschildert. Warum? Frauen spielen eine wichtige Rolle in der venezolanischen Gesellschaft. Ich bezeichne sie als madricentrica, mit der Mutter im Mittelpunkt. In einem armen Land haben Frauen einen speziellen Sinn dafür, zu überleben. Mit dem neuen Feminismus hat das übrigens nichts zu tun.
Poesie und Wahrheit. Schriftstellerin Karina Sainz Borgo erzählt von einer Gesellschaft am Abgrund. Foto: S. FischerSie sind 2006 nach Spanien emigriert, als Hugo Chávez noch am Leben war. Warum? Chávez war auf dem Höhepunkt seiner Macht. Ich erkannte mein Land nicht mehr, und das Land erkannte mich nicht. Ich hatte das Gefühl, dass all meine Bemühungen umsonst waren. Wie soll ich Kulturjournalismus in einem Land machen, in dem keiner liest und jeder einem Diktator applaudiert?
Es gibt eine massive Inflation in Venezuela. Was bedeutet das für die Menschen? Auf dem Schwarzmarkt wird hauptsächlich mit Dollar gezahlt. Ist das revolutionär? Gegen den Kapitalismus? Die Leute verbrennen unsere Währung, weil sie nichts mehr wert ist. In einigen Teilen des Landes gibt es Tauschhandel, aber auch mit Bitcoins wird bezahlt.
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