Rüdiger Seefeldt ist zuckerkrank. Vom Leistungssport hält ihn das nicht ab. Jahrelang fuhr er 24-Stunden-Rennen mit dem Motorrad. Das Geheimnis heißt Disziplin. In der CZ-Serie „Mutmacher" stellen wir Menschen vor, die trotz gesundheitlicher Rückschläge weiter ihren Sport ausleben.
Es fing an mit Halsschmerzen, dann kam der Durst. Rüdiger Seefeldt aß viel Eis und trank sechs Liter Cola in einer Nacht. Mehr hätte er nicht falsch machen können, in diesem Urlaub 1986. Eine Woche später fuhr er mit zehn Kilo weniger auf den Rippen nach Hause. Die Diagnose kam kurz danach: Diabetes.
Irgendwie haben ihn seine Motorräder gerettet. Für die Familienplanung hatte der Nienhäger die Maschinen im Jahr zuvor verkauft. Nun fand er sich mit 23 Jahren in einer Diabetesklinik wieder. Als er nach Wochen wieder raus kam stand fest: „Das kann es nicht gewesen sein."
Und Seefeldt haderte mit seiner Entscheidung gegen die Motorräder. Zwei Freunde motivierten ihn. 1987, im Frühjahr, fuhr er mit einer neuen Maschine auf den Hof. „So lange man nicht sportlich fährt, ist das kein Problem", sagt er heute. Aber im Herbst fuhr er sein erstes Rennen auf dem Contidrom in Jeversen.
„Die körperliche Anstrengung senkt den Blutzucker", erläutert der 49-Jährige. Das Problem: „Man spürt nicht, wo der Zuckerspiegel ist." Denn zur Anstrengung kommt die Aufregung. Unruhe, Zittern, Schwitzen: Das sind die Zeichen, bei denen Diabetes-Patienten Kohlenhydrate brauchen. Es sind aber auch die Zeichen der Anspannung.
Mit seinem Arzt plante er die Rennen. Sie suchten den optimalen Zeitpunkt zum Spritzen, die optimalen Nahrungsmengen und -mittel. Als Seefeldt mit Freunden eines der legendären Rennen um den Bol d'Or sah, beschlossen sie: „Das können wir auch."
1991 fuhren sie ihr erstes 24-Stunden-Rennen im französischen Le Mans. „Die anderen aßen zwischen ihren Fahrten einen Berg Nudeln", erinnert er sich. Er selbst hatte meistens nicht einmal Hunger. Und wenn, was hätte er essen sollen? Und wie viel Insulin braucht der Körper dann? Ist Fett in der Sauce, werden die Kohlenhydrate deshalb langsamer freigesetzt? Glücksspiel.
Sein Arzt riet ihm, mit hohen Zuckerwerten zu planen. Monate vorher trieb er Sport, lebte diszipliniert. Zucker und Insulineinheiten waren perfekt abgestimmt: „Der Zuckerspiegel muss vorher ein halbes Jahr lang immer passen. Immer." Das im Rennen durchhalten? Unmöglich. „Ich hab mich tierisch gefreut, wenn das Rennen vorbei war. Endlich konnte ich wieder normal essen."
Überzuckerung ist zwar gefährlich für die Organe, akut ist die Gefahr aber nicht. Bei Unterzuckerung hingegen lässt die Konzentration nach, man wird ohnmächtig. Keine guten Voraussetzungen für einen Rennfahrer. „Ich habe lange daran rumgedoktert, bis ich meinen Körper kannte." Es funktionierte.
Diabetes vergessen, normal leben, damit wird heute geworben. Seefeldt ist skeptisch. „Kein Mensch kann genau sagen, wie viele Kohlenhydrate in einer Portion stecken." Oder wie sie freigesetzt werden. Ein Stück Kuchen und dann die passende Menge Insulin spritzen? „Das kann passen. In 80 Prozent der Fälle tut es das nicht." Seine Lösung: Finger weg vom Kuchen. „Dieser kurze Moment der Freiheit beschäftigt dich sonst lange."
Es entstehen Zuckerspitzen. Die müssen ausgeglichen werden, dann sinkt der Spiegel, dann muss wieder gegessen werden. Der Körper ist aus dem Gleichgewicht gebracht. Das Gleiche passiert beim Alkohol. Seefeldt lebt, er hat Spaß. Kein Alkohol unter der Woche, keine unnötigen Sünden. So hält er sich gesund und kann die Krankheit vergessen.
Spätfolgen hat er nach 27 Jahren Diabetes noch keine. Entscheidend ist der Langzeit-Blutzuckerwert. Den hält er in Grenzen. So ist es die Disziplin der harten Rennen, die ihn in der Rückschau gesund erhält.
Original