1 subscription and 3 subscribers
Article

Anders ackern

Leere Supermarktregale, das gab es vor der Pandemie nicht. Heute wundert sich kaum jemand mehr darüber. Krisen, Krieg und Klimawandel bedrohen unsere Nahrungsmittelsicherheit. Können innovative Anbaumethoden in der Landwirtschaft die Lösung sein?


Von Isabel Fisch


Alexander Gerfer, CEO von Würth Elektronik, ist auf einem Bauernhof aufgewachsen. Ab und zu hat es damals mal die Ernte verhagelt. Heute sind Unwetter ein vergleichsweise kleines Problem: Der Getreidemangel durch den Ukraine-Krieg, Dürreperioden durch den Klimawandel, unterbrochene Lieferketten, die wachsende Weltbevölkerung trotz knapper werdenden Ressourcen... Schon jetzt leiden 828 Millionen Menschen Hunger - Tendenz stark steigend.


"Es kommen so viele unkontrollierbare Umstände zusammen. Und die Pandemie hat gezeigt, dass wir das exponentielle Wachstum von Problemen unterschätzen", sagt Gerfer. Wie deren Lösung aussehen könnte, war Thema des SZ-Wirtschaftsgipfel Salons im SZ-Hochhaus in München. "Zukunft ernten. Was kann die Landwirtschaft im Kampf gegen Hunger und Klimawandel leisten?", darüber diskutierte Gerfer mit der Biotopia-Vorsitzenden Auguste von Bayern, der Staatssekretärin im Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft Ophelia Nick (Bündnis90/Die Grünen) sowie Roman Werner vom Venture Lab Food, Agro und Biotech der Technischen Universität München, das Start-ups berät.


Landwirtschaft, so wie sie in den letzten Jahren stattfand, ist nicht zukunftsfähig. Da ist sich die Runde einig. Doch ein Wandel ist schwierig, wenn Krieg und Katastrophen herrschen. Millionen Tonnen Getreide liegen im Hafen von Odessa, die Ernten in der EU sind wegen der Trockenheit mau. Deshalb hat die Europäische Kommission am vergangenen Mittwoch den Klimaschutz hintangestellt und Ausnahmeregelung für Umweltanforderungen verlängert. 1,5 Millionen Hektar Land, die eigentlich die Artenvielfalt fördern sollten, dürfen wieder bestellt werden. Aus ökologischer Sicht kann man sich das eigentlich nicht leisten.


In Deutschland liegt der Selbstversorgungsgrad bei Gemüse bei nur 40 Prozent

Gerade recht kommen da innovative Anbaumethoden wie Vertical Farming und Indoor Farming. Der Anbau wird nach drinnen und in die Höhe verlagert, dafür werden leer stehende Gebäude genutzt. Ackerland wird für Getreide frei, rekultivierte Flächen können unberührt bleiben. Unter den geschützten und kontrollierbaren Bedingungen werden Dünge- und Pflanzenschutzmittel überflüssig. Ein Großteil der Energie kann eingespart werden. Und es ginge noch effizienter. Zusammen mit Biologen und Agrarwissenschaftltern hat Würth das sogenannte "Horticulture LED Lighting" entwickelt. Das Beleuchtungssystem kann Sonnenlicht imitieren und Lichtbedingungen schaffen, unter denen Pflanzen schneller und nährstoffreicher wachsen.


In Spinat stecken innerhalb von acht Tagen doppelt so viele Sekundärstoffe, Himbeeren können mehrmals im Jahr geerntet werden und Tomaten auch im Winter wachsen. Dank dieser sogenannten Lichtrezepte könnte hierzulande auch mehr Gemüse angebaut werden, denn da liegt der Selbstversorgungsgrad bei nur 40 Prozent.


Regionale, gesunde und frische Lebensmittel, die weniger Ressourcen verbrauchen - nur ein Problem gibt es da: Die "Innovationsfeindlichkeit" der Deutschen, wie Roman Werner es nennt. "Viele Start-up-Gründer sind Kinder von Landwirten. Sie kennen die Probleme und wollen sie lösen." Doch sie geben auf oder wandern ab. "Die Ideen sind da, aber sie scheitern an der Akzeptanz und der Bürokratie." Die deutsche Wissenschaft ist führend in der Welt. Ihre Umsetzung eher nicht so.


Um das zu ändern, brauche es politische Unterstützung und gesellschaftliche Aufklärung, sagt Auguste von Bayern, denn: "Informierte Menschen haben weniger Angst vor Wandel." Dazu solle auch das in München geplante Lifescience-Museum Biotopia beitragen: Für Wissenschaft begeistern und zeigen, was wir mit ihr erreichen können. Ein ambitioniertes Projekt, so wie es vor hundert Jahren das Deutsche Museum in München für die Technik war.


Doch dass Innovationen allein die Lösung sind, bezweifelt die Grünen-Politikerin Nick. "Es gibt ja genug Lebensmittel auf der Welt. Wir müssen nur überlegen, was wir mit ihnen machen." Ein Sinneswandel also: Weniger Lebensmittelverschwendung, weniger Getreide für Nutztiere - und damit weniger Treibhausgase, die den Klimawandel antreiben. "Keine Vorschriften, denn Ernährung ist etwas sehr persönliches", betont sie. Aber die Menschen seien bereit, das habe der Absatz von Bio-Produkten in der Pandemie gezeigt. "Sie hatten Zeit, sich damit zu beschäftigen." Jetzt müsse das Umfeld nachziehen und in Kantinen und Restaurants bewusster gekocht werden.


Wille und Wissen scheinen also da zu sein. Fehlt nur eins: Aufbruchstimmung säen, damit der Wandel keimt und gedeiht.

Original