1 subscription and 0 subscribers
Article

Krisenmaßnahmen: Status quo vadis Arbeitswelt?

Viele Kündigungen konnten abgewehrt werden. Kündigungen gab es vor allem in der Eisen-, Metall- und Elektro-Branche. Stattdessen haben knapp zwei Drittel der Betriebe auf Kurzarbeit gesetzt.

Eine aktuelle Umfrage unter 1.800 Betriebsratsvorsitzenden aus ganz Österreich zeigt, was sich durch COVID-19 tatsächlich in den Betrieben geändert hat. Und was uns in Zukunft blüht.

Zugegeben, es ist ein sperriges Wort: Strukturwandelbarometer. Ebenso gewichtig ist, was dahintersteckt. Das Barometer macht Veränderungen in der Arbeitswelt sichtbar. Was tut sich in den Unternehmen? Wo wird investiert? Welche Themen stehen im Betrieb an? Wie sehr ist der Betriebsrat in Krisenmaßnahmen des Unternehmens eingebunden? Im Fokus stand heuer - wenig verwunderlich - die aktuelle Krise. Erstmals haben 1.828 Betriebsratsvorsitzende aus ganz Österreich und quer durch alle Branchen an dieser Umfrage teilgenommen, so viele wie noch nie. Beauftragt hat sie, nun zum siebenten Mal, die Arbeiterkammer Wien in Kooperation mit dem Meinungsforschungsinstitut IFES sowie dem Österreichischen Gewerkschaftsbund.

„Die hohe Rücklaufquote zeigt, dass Betriebsräte eng mit Gewerkschaften und Arbeiterkammer zusammenarbeiten", so Heinz Leitsmüller. Er leitet die Abteilung Betriebswirtschaft in der Arbeiterkammer und hat die Umfrage vor sieben Jahren gemeinsam mit Kolleg*innen aus der sozialpolitischen und wirtschaftspolitischen Abteilung der AK Wien gegründet. Das Ziel: „Wenn wir wissen, wie es in den Betrieben aussieht, können wir daraus Forderungen für die Beschäftigten ableiten." Die Ergebnisse liefern ein gutes Bild aus dem betrieblichen Innenleben und zeigen vor allem, welche Rolle Betriebsrät*innen dabei spielen.

Viel mehr in Krisenmaßnahmen eingebunden

Das wichtigste Ergebnis laut Leitsmüller: Betriebsrät*innen teilen mit, dass sie seit der Krise sehr eng mit der Geschäftsführung zusammenarbeiten. Die meisten (81 Prozent) sind sehr gut in Krisenmaßnahmen eingebunden. Das hat Folgen wie etwa Kündigungen deutlich gemildert. Ausreißer ist allerdings die Gesundheits- und Sozialbranche. Im zweiten Wiener Gemeindebezirk liegt das „Haus Prater", eines von 29 Häusern des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser. Wolfgang Morawetz ist dort Betriebsratsvorsitzender. In Krisenmaßnahmen war er wenig bis gar nicht eingebunden: weder, als die Zugänge zum Haus während des ersten Lockdowns für Außenstehende versperrt wurden, noch bei der Arbeitszeitgestaltung der Kolleg*innen. „Wenn die Direktion sagt: ‚So kommt das!', dann kommt das so." Mehrfach habe er den Teamleitungen angeboten: „Kommt bitte zu mir, bevor ihr irgendwas beschließt", aber das Angebot werde nicht angenommen.

In den meisten Branchen stellt sich die Situation ganz anders dar. Bei Maria Gluchman, Betriebsrätin bei Billa, rufen immer wieder Führungskräfte an und fragen um Rat. „Wir sind ein großes Unternehmen und somit auch ein großer Betriebsrat", so Gluchman. „Daher sind wir sehr koordiniert vorgegangen. Alle Maßnahmen im Betrieb haben wir gemeinsam mit dem Unternehmen erarbeitet." Ähnliches berichtet Florian Umdasch, Betriebsrat bei ESIM Chemicals in Linz: „Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung war großartig!" Gemeinsam mit der Gewerkschaft hätten sie blitzschnell ein Kurzarbeitsmodell ausgearbeitet, auch wenn sie es dann nicht gebraucht haben. Jeder nächste Schritt sei gemeinsam besprochen und geplant worden.

Wenn wir wissen, wie es in den Betrieben aussieht, können wir daraus Forderungen für die Beschäftigten ableiten.

Heinz Leitsmüller, AK Wien

Was die Umfrage also deutlich zeigt: Die Sozialpartnerschaft hat auf betrieblicher Ebene während der Krise sehr gut funktioniert. Die Einbindung von Betriebsräten war heuer höher als in den Jahren zuvor. „In der Krise ist man wieder näher zusammengerückt", so Leitsmüller.

Homeoffice und Kurzarbeit als bewährte Maßnahmen gegen die Krise

Bei kleineren Betrieben hat die Krise viel stärker zugeschlagen. Ebenso in gewissen Branchen, etwa in der Gastronomie oder im Tourismus - Branchen, in denen es auch weniger Betriebsräte gibt. Der Handel (63 Prozent) und die Gesundheits- und Sozialbranche (61 Prozent) waren vom Lockdown überproportional betroffen. Wirtschaftlich leidet die Eisen-, Metall- und Elektro-Branche am meisten. Die schwersten Arbeitsbedingungen zeigen sich hingegen in der Gesundheits- und Sozialbranche.

Neben Homeoffice war Kurzarbeit die häufigste Maßnahme, um der Krise entgegenzuwirken. Und hier müsse man, so Leitsmüller, deutlich sagen: Kurzarbeit statt Kündigung. Viele Betriebsräte sind stolz darauf, Kündigungen abgewehrt zu haben. So gab es nur in jedem elften organisierten Betrieb Kündigungen, hier vor allem in der Eisen-, Metall- und Elektro-Branche. Stattdessen haben knapp zwei Drittel der Betriebe auf Kurzarbeit gesetzt. Homeoffice haben fast alle Betriebe eingeführt, quer durch alle Branchen. Die meisten Beschäftigten mussten zudem Gutstunden und Urlaubstage abbauen.

Die Krise hat einen Kulturwandel betreffend Digitalisierung gebracht.

Sabine Fleckinger, Betriebsrätin ÖBB Business

Mit neuen Produkten und Dienstleistungen begegnete vor allem die Chemiebranche der Krise. So auch das Chemieunternehmen ESIM: „Wir haben unsere Produktion sehr schnell auf Desinfektionsmittel umgestellt", erzählt Florian Umdasch. Das sei ein großer Vorteil des Unternehmens - es produziere, was der Markt braucht. Üblicherweise sind das Zwischenprodukte für Farben, Lacke, Shampoos, Pflanzenschutzmittel oder Kontaktlinsen. Mit der Umstellung auf Desinfektionsmittel konnte das Unternehmen Umsatzeinbrüche wieder wettmachen.

Gute Reserven aus den Vorjahren

Ein auffälliges Ergebnis: Durch die Bank schätzen die befragten Betriebsrät*innen ihre Betriebe als krisenfest ein. Bis auf sechs Prozent hätten die meisten Betriebe momentan keine Liquiditäts- und Insolvenzprobleme. „Unternehmen mit Betriebsrat haben gute Reserven während der Hochkonjunktur gebildet. Von diesem Polster können sie noch zehren", so Leitsmüller. Ob Unternehmen auch zukünftig gut aufgestellt sind, sei von mehreren Faktoren abhängig: einerseits, wie lange die Krise noch dauert und wie heftig sie ausfällt. Aber auch, ob der Staat seine Rolle wahrnimmt und dort hilft, wo Hilfe benötigt wird. Und die Zukunft hänge von der Sozialpartnerschaft ab. Davon, ob gemeinsam an nachhaltigen Lösungen gearbeitet werde.

Betriebsräte gestalten Digitalisierung mit

„Die Krise hat einen Kulturwandel betreffend Digitalisierung gebracht", erzählt Sabine Fleckinger. Viele Führungskräfte hätten eingesehen, dass Homeoffice gut funktioniert.

Sabine Fleckinger ist Betriebsrätin und Medientechnikerin im Webteam des ÖBB Business Competence Centers. Allein in der IT-Abteilung arbeiten 800 Kolleg*innen. Die meisten haben schon vor Corona ein bis zwei Mal pro Woche von zu Hause aus Websites gewartet, Applikationen programmiert oder neue Kommunikationstools aufgesetzt. Seit der Krise sind fast alle Kolleg*innen im Homeoffice, fünf Tage die Woche. In der IT-Branche sind Videokonferenzen vom Wohnzimmer aus nicht neu. In vielen anderen Branchen schon. Fast alle Betriebe setzen seit März auf Homeoffice.

Schwierig war der erste Lockdown vor allem für den Einkauf und den Verkauf.

Florian Umdasch, Betriebsrat bei ESIM

Interessant dabei: Betriebsratsvorsitzende beurteilen die Digitalisierung überwiegend positiv. Sie sind, so Leitsmüller, interessiert daran, Zukunft zu machen. Die Voraussetzung dafür sei aber, dass Digitalisierung gemeinsam gestaltet wird. Was nicht gehe: neue Technologien vor die Füße zu schmeißen und zu sagen: Setzt das um! Es müsse andersrum laufen. Die Frage muss sein: Was brauchen wir und wie wollen wir das gemeinsam umsetzen?

Kommunikation hat sich deutlich verbessert

„Ich bin stolz auf unsere gut ausgebaute Kommunikation mit unseren Mitarbeiter*innen", erzählt Maria Gluchman von Billa. „Wir kommunizieren per Telefon, über App, Intranet, Facebook oder unsere Betriebsratszeitung. Und wenn es gerade keine Corona-News gibt, dann ehren wir einen Mitarbeiter, der seit 45 Jahren im Unternehmen ist. Wir sind erreichbar." Laut der Umfrage habe sich die Kommunikation zwischen Betriebsrat und Beschäftigten seit der Krise deutlich verbessert, aber auch innerhalb des Betriebes.

Als negative Entwicklung zeigt sich, dass der Arbeitsdruck auf die Beschäftigten weiter gestiegen ist. Auch das Arbeitsklima leidet unter der Krise.

Arbeitsklima leidet

„Schwierig war der erste Lockdown vor allem für den Einkauf und den Verkauf", erinnert sich Florian Umdasch von ESIM. „Wenn Frächter an der Grenze angerufen und gesagt haben: ‚Wir hängen hier fest und wissen nicht, wie lange. Es kann Tage dauern.'" Dann musste blitzschnell auf Schiene umdisponiert werden, damit die Produktion weiterlaufen konnte. „Für den Einkauf und Verkauf war das die Hölle." Von Kolleg*innen im Homeoffice weiß er, dass einige sehr zeitig und spätabends arbeiten, um auf ihre Stunden zu kommen. Denn untertags steht oft Home-Schooling auf dem Programm.

Was Sabine Fleckinger als Betriebsrätin stört: die Erwartung, jederzeit erreichbar zu sein. Nicht erreichbar zu sein werde gern als Unproduktivität ausgelegt. Die Telefone läuten seit dem Homeoffice öfter auch abends oder im Urlaub. Da brauche es mehr Sensibilisierung seitens der Führungskräfte. „Privat und beruflich muss besser abgegrenzt werden", so Fleckinger. Und in der Pflege? Dort herrscht seit jeher chronischer Personalmangel. Das Personal war schon vor der Krise ziemlich ausgebrannt, erzählt Morawetz. Durch Corona ist das noch drastischer geworden. Das sei momentan auch das Hauptthema im Betriebsrat. Vor Kurzem hat die inzwischen suspendierte Geschäftsführerin die Beschäftigten per Video an den Pranger gestellt: Sie seien schuld, dass das Virus ins Haus gelangt sei. „So ein Video ist nicht gerade motivierend für die Mitarbeiter*innen."

Ich bin stolz auf unsere gut ausgebaute Kommunikation mit unseren Mitarbeiter*innen.

Maria Gluchman, Betriebsrätin bei Billa

Was sich im Pflegebereich verändert hat: Die Arbeit ist sichtbarer geworden. Im Frühjahr wurden die Mitarbeiter*innen dafür beklatscht, das System zu erhalten. Das war gut gemeint, so Morawetz. Einige habe es aber deprimiert, denn das Klatschen habe rein gar nichts verändert. Das Personal sei nach wie vor ausgebrannt und schlecht bezahlt. Anders bei Billa: Dort sei das Arbeitsklima trotz hoher Arbeitsbelastung gut. Die Mitarbeiter*innen seien trotz Abstand näher zusammengerückt, erzählt Maria Gluchman.

Was bringt die Zukunft?

Corona hat nicht alle Betriebe gleichermaßen getroffen. Und nicht alle Betriebe haben die gleichen Voraussetzungen, um die Krise gut zu meistern. In einigen Branchen haben sich schon vor der Pandemie Strukturveränderungen abgezeichnet, zum Beispiel in der Fahrzeugindustrie. Auch im Tourismus war Nachhaltigkeit zunehmend ein Thema. Stichwort: ökologisches Reisen. Die Klimadebatte wirbelt einige Branchen auf. Was bringt nun die Zukunft?

Diskussionen erwarten die Betriebsrät*innen vor allem zu Homeoffice, Flexibilisierung und Gestaltung von Arbeitszeiten sowie zu Einsparungen und Kündigungen. „Eine Homeoffice-Regelung muss dringend her", fordert Fleckinger. Viele Beschäftigte arbeiten mit privaten Geräten auf private Kosten. „Die Rufe nach einer Pauschalierung oder einer Aufwandsentschädigung werden immer lauter." Stromkosten und Internetkosten seien durch Homeoffice gestiegen, gleichzeitig fallen viele Goodies weg, etwa günstigeres Kantinenessen oder Fitnessangebote. Auch Pausen seien ein großes Thema: Kaum jemand halte Bildschirmpausen ein. Und in die Mittagspausen fallen oft Konferenzen, zum Kochen bleibe gar keine Zeit. Dennoch hofft Fleckinger, auch zukünftig vermehrt Homeoffice nutzen zu können - „nur bitte nicht fünf Tage die Woche!" Auch als Medientechnikerin ist sie froh darüber, Menschen im real life zu sehen, bei Fragen schnell mal ins Büro nebenan zu gehen anstatt zum Telefon greifen zu müssen.

Jeder vierte Betriebsrat sieht Kündigungen auf den Betrieb zukommen. Knapp die Hälfte befürchtet Investitionsstopps bei Mitarbeiter*innen und Neubesetzungen. Auf die Frage, wie sich der Betrieb mittelfristig entwickeln wird, halten sich Optimismus und Pessimismus die Waage.

Maskenpause, BR-App und 32-Stunden-Woche

Für Maria Gluchman von Billa bleibt die gesetzliche Maskenpause ein wichtiges Thema, auch wenn das Parlament dagegengestimmt hat. „Das haben unsere Mitarbeiter*innen nicht verdient", so Gluchman. Als großes Thema zeichnet sich im Handel zudem die Sonntagsöffnung ab, die seit Corona vermehrt von Wirtschaftsvertretern gefordert wird. „Das darf nicht kommen, keinesfalls!" Im Lebensmittelhandel sei das nicht notwendig. „Unsere Mitarbeiter*innen haben dafür kein Verständnis. Sie müssen endlich zur Ruhe kommen."

Wenn die Direktion sagt: ‚So kommt das!', dann kommt das so.

Wolfgang Morawetz, Betriebsratsvorsitzender des Kuratoriums Wiener Pensionisten-Wohnhäuser

Florian Umdasch und sein Betriebsratsteam wollen die Kommunikation mit den Beschäftigten weiter ausbauen und arbeiten gerade an einer BR-App. Und Wolfgang Morawetz vom Pensionistenhaus Prater? Er kämpft weiter um die finanzielle und gesundheitliche Besserstellung seiner Kolleg*innen; um mehr Personal, faire Bezahlung und kürzere Arbeitszeiten. Die Umfrage zeigt also ein differenziertes Bild, je nach Branche und Betriebsgröße. Was die Krise jedoch deutlich gemacht hat: Betriebsräte haben einen engen Draht zur Belegschaft. Sie zeigen „Da ist jemand!" und „Wir sind für euch da." Das sei eine ganz wichtige Rolle, so Leitsmüller. Müsste er die Ergebnisse dieser bisher größten Umfrage zusammenfassen, würde er sagen: Mit der Sozialpartnerschaft ist man gut durch die Krise gekommen. Nun gilt es, gemeinsam aus der Krise zu kommen.

Original