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1 Jahr Annexion – Wir haben die Krim verraten

Trüber Himmel über dem Schwarzen Meer auf der Krim. Foto: Inga Pylypchuk

Am 1. März vergangenen Jahres bekam ich eine SMS von einer Freundin aus Sankt Petersburg: "Russland hat der Ukraine den Krieg erklärt. Der Föderationsrat hat einen Armeeeinsatz in der Ukraine genehmigt. Ich weigere mich, daran zu glauben. Ich habe Angst." Mit zitternden Händen griff ich zum Computer. Was ich da las, war beunruhigend, aber es war noch kein Krieg. So dachte ich. Wladimir Putin hatte sich vom russischen Oberhaus die Genehmigung eingeholt, Truppen auf die Krim zu schicken. Aber getan hat er das dann ja doch nicht, redete ich mir ein.

Wenn ich nun ein Jahr später an diese Ereignisse zurückdenke, muss ich eingestehen, dass die Nachricht meiner Freundin damals wahr war. Ich hatte noch nicht erkannt, was vor sich ging, sie schon. An diesem Tag - wenn nicht schon früher - hat Putin der Ukraine den Krieg erklärt. Nur wussten wir alle noch nicht, wie schizophren dieser Krieg sein würde, und dass er nicht offiziell erklärt zu werden brauchte. Wir konnten nicht ahnen, dass diese Armeeeinsatzentscheidung nur der Auftakt zu einem zermürbenden und verlogenen Katz-und-Maus-Spiel sein würde.

Die ersten russischen Soldaten ohne Hoheitsabzeichen waren bereits am 27. Februar 2014 auf der Krim. In diesem Jahr feierte man an diesem Tag in Russland erstmals den Tag der Truppen für Sonderoperationen. Am 4. März 2014 sagte Putin auf einer Pressekonferenz, Russland ziehe die Annexion der Krim nicht in Betracht und es gebe keine russischen Soldaten auf der ukrainischen Halbinsel. Zwei Wochen später hielt er seine Rede zum Beitritt der Krim zur Russischen Föderation.

Auch dieser Satz aus der SMS meiner Freundin scheint mir wichtig zu sein: "Ich weigere mich, daran zu glauben." So unfassbar war das Vorgehen auf der Krim, dass auch die deutsche Öffentlichkeit sich weigerte, daran zu glauben. Ein Blick ins Archiv der Debatten über die Krim im Frühling 2014 hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack.

So behauptete zum Beispiel der Rechtsphilosoph Reinhard Merkel in der FAZ, dass das, was auf der Krim geschah, gar keine Annexion gewesen sei, weil doch ein Referendum stattgefunden habe. Dabei sicherte die russische Militärpräsenz nur "die Möglichkeit des Stattfindens dieser Ereignisse" und "auf deren Ausgang nahm und hatte sie keinen Einfluss", so der Autor.

So nistete sich in der deutschen Medienlandschaft die Meinung ein, die Krim sei doch immer schon russisch gewesen. Dabei verrät schon der einschlägige Wikipedia-Artikel, dass die Halbinsel nicht nur seit 1954 zur Ukraine gehört, sondern dass sie sich im Laufe der Geschichte unter römischer, gotischer, sarmatischer, byzantinischer, hunnischer, mongolisch-tatarischer, venezianischer, genuesischer sowie osmanischer Herrschaft befand, bevor sie nach dem Russisch-Türkischen Krieg (1768-1774) Teil des Russischen Kaiserreichs wurde.

Europa schien in diesen Debatten plötzlich selbst nicht mehr an seine eigenen Grundsätze zu glauben - an die Hoheit des Rechts, an die Verteidigung der Unverletzbarkeit der Grenzen, an die Souveränität der Staaten. Es zeigte sich anfällig für Propaganda, es war verwirrt und wollte zuerst alles ausdiskutieren, bevor es den Völkerrechtsbruch verurteilte. Braucht man Sanktionen oder nicht? Auch diese Debatte hat zu lange gedauert - publizistisch wie politisch. Diese Zeit nutzte Russland für den nächsten Schlag - den Angriff auf den Donbass.

Und heute? Im besten Fall sprechen wir von einer russischen Aggression in der Ostukraine, im schlimmsten tappen wir wieder in die Propagandafalle und nennen es "Bürgerkrieg". Die Krim haben wir vergessen, abgeschrieben, man könnte auch sagen: verraten. Wir haben verbal kapituliert. Fast scheint es inzwischen, als hätte die Annexion der Krim noch vor dem Krieg stattgefunden, als wäre sie sogar noch eine der besten Maßnahmen in diesem Konflikt gewesen, da sie ja relativ friedlich verlief.

Wie falsch wäre diese Behauptung! 

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12.03.2015

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