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Digitale Mentalitäten: Webaktive haben wenig übrig für Urheber

Eine jetzt veröffentlichte Studie vergleicht die Einstellungen und Verhaltensmuster durchschnittlicher Internet-Nutzer mit denen von sogenannten „Webaktiven". Sie zeigt, dass die Webaktiven Urheber und die wirtschaftlichen Schäden, die durch illegale Werknutzung entstehen, weniger ernst nehmen. Zugleich lässt sie erkennen, dass Nutzer generell für Inhalte zahlen würden und das Thema Datenschutz immer wichtiger wird.

Fast die Hälfte der Internet-Nutzer plädiert dafür, dass Inhalte für Bildung und Wissenschaft frei verfügbar sein sollten. Das ergab eine Befragung rund 1.000 Nutzern zwischen 14 und 69 Jahren (im Frühjahr 2012), die das Institut für Strategie-Entwicklung (IFSE) vergangene Woche in Berlin der Öffentlichkeit vorstellte.

Die Untersuchung mit dem Titel „ Digitale Mentalitäten II " vergleicht die Aussagen dieser repräsentativen Gruppe von Internet-Nutzern mit den Ergebnissen einer anderen Befragung von ebenfalls rund 1.000 Nutzern, sogenannten Webaktiven, die hohe Aktivität im Netz und fortgeschrittene Kenntnisse des Internet vorweisen. Das IFSE beobachtet diese Webaktiven seit 2004 regelmäßig, um Aufschluss darüber zu erhalten, wie sich Verhaltensmuster und Einstellungen verändern.

Unterschiede in der Bewertung von Urheberrechten

Tatsächlich zeigen sich in den Studienergebnissen mitunter deutliche Unterschiede bei den Sichtweisen und Beurteilungen der Webaktiven - die laut IFSE rund 5 bis 15 Prozent ausmachen - und denen der Gesamtheit der Internet-Nutzer. Insbesondere hinsichtlich der Bewertung urheberrechtlicher Aspekte weicht die Auffassung der Webaktiven von denen der Internet-Nutzer ab.

Auf die Frage, wer von der illegalen Nutzung urheberrechtlicher Werke wirtschaftlich betroffen sei, vermuten von den Internet-Nutzern 86 Prozent eine Schädigung der Verwerter, also der Verlage und Medienhäuser, zu 84 Prozent eine der Urheber und zu 30 Prozent, dass niemand geschädigt werde. Demgegenüber nehmen von den Webaktiven nur 50 Prozent eine Schädigung der Verwerter wahr, 45 Prozent eine der Urheber und immerhin 55 Prozent, dass niemand geschädigt werde.

Als Begründung zitiert die Studie die Ansicht der Webaktiven, eine digitale Kopie wäre kein „Wegnehmen" - und dass Content, der ins Internet gestellt wurde, quasi als freigegeben zu betrachten sei. Dementsprechend vertreten lediglich 29 Prozent der Webaktiven die Auffassung, dass die Urheber darüber entscheiden dürften, was mit ihren Werken im Internet geschehe. Von den „normalen" Internet-Nutzern sind immerhin 43 Prozent dieser Auffassung. Das heißt im Umkehrschluss: 57 Prozent der Internet-Nutzer und ganze 71 Prozent der Webaktiven sprechen den Urhebern die Entscheidungsbefugnis über die Verwertung ihrer Werke im Internet schlichtweg ab.

Unternehmen bauen keine Beziehung zu ihren Kunden auf

Beide Untersuchungsgruppen äußern sich auch zu ihrem Umgang mit illegalen Mediendateien. So geben 11 Prozent der Internet-Nutzer an, dass mehr als die Hälfte ihrer digitalen Musik illegal sei, bei den Webaktiven sind dies 47 Prozent. Diese illegale Nutzung urheberrechtlich geschützter Werke hätte aber zuletzt abgenommen - sagen 37 Prozent. Bei 15 Prozent sei sie allerdings gestiegen. Und 13 Prozent sagen, sie würden nie illegale Dateien nutzen.

Als Grund für ihren Sinneswandel nannten 25 Prozent der Webaktiven ein gesteigertes Rechtsbewusstsein und mehr Kenntnisse über die Zusammenhänge und Folgen illegaler Nutzungen. Gut zwei Drittel (69 Prozent) nutzen inzwischen vermehrt legale kostenfreie Angebote, etwa ebenso viele konsumieren selektiver, statt zu horten (67 Prozent). Rund die Hälfte der Webaktiven gibt an, mehr Geld für legale Angebote zur Verfügung zu haben als in den Jahren zuvor (52 Prozent).

Gleichwohl nutzen User weiterhin illegale Angebote. Die Studie nach den Gründen: 60 Prozent der Webaktiven gaben an, sie wollten auf diese Weise Inhalte kennenlernen. 38 Prozent halten die illegalen Angebote für kundenfreundlicher, also bequemer zu handhaben. Fast vier Fünftel (78 Prozent) glauben, dass es an einer mangelnden Beziehung der Unternehmen zu ihren Kunden liegt. Die Kunden machen sich keine Gedanken darüber, ob sie mit ihrem Handeln jemandem schaden.

Gewerbliche Piraterie bestrafen

Wenn Wirtschaft und Politik auf Warnhinweise und die Androhung den Internetzugang zu sperren setzten, nützt dies offenbar wenig. Jedenfalls geben 84 Prozent der Webaktiven an, dass sie sich kaum oder gar nicht von solchen Hinweisen davon abhalten ließen, weiterhin illegale Angebote zu nutzen.

Interessant sind die Meinungen dazu, wie digitale Piraterie bestraft werden sollte. 87 Prozent der Internet-Nutzer und 85 Prozent der Webaktiven sind dafür, gewerbliche Raubkopierer zu bestrafen. Bei privaten illegalen Nutzungen plädieren 56 Prozent der Internet-Nutzer für eine Bestrafung, von den Webaktiven nur 20 Prozent. Übrigens zeigt die Studie fast durchgängig, dass bei den Internet-Nutzern die Sensibilität gegenüber illegaler Nutzung umso ausgeprägter ist, je älter und je gebildeter sie sind.

Hohe Ausgaben für Medien und Unterhaltung

Der Haltung zum Umgang mit illegalen Kopien und frei verfügbaren Inhalten stehen bei Webaktiven wie bei Internet-Nutzern allerdings auffällig hohe Ausgaben für Medien und Unterhaltung gegenüber. So geben Webaktive 77 Euro pro Monat für digitale Medien und Entertainment aller Art aus, die normalen Internet-Nutzer 61 Euro. Beides liegt laut IFSE über den vergleichbaren Werten für alle deutschen Verbraucher.

Während die Webaktiven am meisten für Bücher, Games und Konzerte ausgeben (in dieser Rangfolge, zusammen 32 Euro/Monat), kaufen die durchschnittlichen Internet-Nutzer vor allem analoge Zeitungen, Bücher und Kinobesuche (29 Euro). Je älter die Nutzer, desto höher steigt der Anteil an Ausgaben für Bücher und analoge Zeitungen.

Rückenwind für Kulturflatrate-Befürworter?

Die Studie des IFSE könnte den Befürwortern einer Kulturflatrate neuen Rückenwind geben, da sie feststellt, dass zumindest die Webaktiven erklären, dass sie für Inhalte zahlen würden - immerhin ist das jene spezielle Gruppe von Internet-Nutzern, die laut IFSE „den netzpolitischen Diskurs prägen". 71 Prozent der Webaktiven halten die Kulturflatrate für eine Option zur Finanzierung von Medien- und Kulturangeboten im Web. Als weitere Optionen nannten sie Werbung (70 Prozent), Abonnements (64 Prozent) oder Freemium-Modelle nannten, bei denen die Nutzer für kostenlose Angebote auf Nachfrage freiwillige Impulszahlungen leisten.

Die gesellschaftliche Diskussion über die Kulturflatrate ist in den vergangenen Monaten zwar etwas abgeflaut, aber konkrete Szenarien und Hochrechnungen liegen vor, wie etwa von der Piratenpartei, der ehemaligen Bundesjustizministerin Brigitte Zypries oder dem Göttinger Juristen und Ökonomen Gerald Spindler, der im Auftrag der Bundestagsfraktion Bündnis 90/Die Grünen eine Studie erstellte.

Kein Klarnamenzwang und „Privacy by Default"

Ohne Überraschungen sind die Befunde der Studie zu Anonymität und Datenschutz. So präferieren die Webaktiven, anonym zu bleiben und lehnen einen Klarnamenzwang mehrheitlich ab (73 Prozent). Über vier Fünftel aller Nutzer (85 Prozent der Webaktiven sowie 88 Prozent der Internet-Nutzer) befürworten einen möglichst strengen Datenschutz, etwa durch grundsätzliche Opt-In-Regelungen statt in Programmen oder Diensten. Eine Vorratsdatenspeicherung befürworten 50 Prozent der Internet-Nutzer, aber nur 12 Prozent der Webaktiven. Online-Durchsuchungen halten 51 Prozent der Internet-Nutzer für zulässig, während das von den Webaktiven nur 13 Prozent so sehen.

Allerdings ist zu allen Befunden zu bemerken: Die Befragung erfolgte im Frühjahr 2012, also sowohl vor der NSA-Spähaffäre, die eine breite Diskussion zu Datenschutz und Privatsphäre auslöste, als auch vor der Debatte zu Netzneutralität, die im Sommer dieses Jahres aufkam. Insofern ist anzunehmen, dass sich die hier ermittelten Einstellungen mittlerweile geändert haben.

Zum Studiendesign

Das IFSE ist ein sogenanntes An-Institut der Universität Witten-Herdecke, das dort 2003 gegründet wurde, aber seit 2007 in privater Finanzierung in Berlin sitzt. Die repräsentative Online-Umfrage unter allen deutschen Internet-Nutzern zwischen 14 und 69 Jahren gab das IFSE beim LINK-Institut in Auftrag. Sie erfolgte im Frühjahr 2012.

Parallel dazu befragten die IFSE-Forscher etwa 1000 sogenannte Webaktive, die etwa 5 bis 15 Prozent der Internet-Nutzer ausmachen und ein besonderes Profil aufweisen: Hohe Aktivität im Netz, den netzpolitischen Diskurs prägend, urban und überproportional in Städten wie Berlin und Hamburg vertreten, zu 72 Prozent zwischen 20 und 39 Jahre alt, zu 83,1 Prozent männlich, zu 82 Prozent mit Gymnasium/Abitur/Fachhochschulreife beziehungsweise Hochschulabschluss. Im Vergleich dazu sind die Internet-Nutzer zu 68 Prozent 20-59 Jahre alt und zu 52,5 Prozent männlich, haben zu 62 Prozent Gymnasium/Abitur/Fachhochschulreife beziehungsweise Hochschulabschluss.

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