Herr Konken, Sie waren von 2003 bis November vergangenen Jahres Vorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV). Sind Sie nun wieder wieder als Journalist tätig?
Michael Konken: Derzeit arbeite ich in Wilhelmshaven bei bei einem lokalen Rundfunksender, als Chefredakteursvertretung und Geschäftsführer. Und in Vechta lehre ich an der Universität Journalismus und Politik.
Haben Sie für Ihre berufliche Zukunft konkrete Pläne?
Konken: Die Uni-Tätigkeit wird mein Schwerpunkt sein. Die Mitarbeit beim Radio hatte sich kurzfristig ergeben, war nicht geplant. Ich werde dort zunächst für ein Jahr arbeiten, mal sehen, wie es danach weiterläuft. Dieser Job macht mir allerdings richtig Spaß.
Nach so langer Zeit als Funktionär, scheint Ihnen der Wiedereinstieg in die journalistische Praxis nicht schwer zu fallen …
Konken: Das ging reibungslos. Ich kann beide Tätigkeiten auch gut miteinander verknüpfen, denn der Sender ist auch ein Ausbildungsbetrieb mit vier Volontären und weiteren Praktikanten.
Sind Sie weiterhin Mitglied des ZDF-Fernsehrats?
Konken: Ja, die Amtsperiode dauert noch bis Ende Juni und bis dahin gehöre ich ihm an. Danach wird der DJV aber darüber entscheiden, wen er künftig als Vertreter in den ZDF-Fernsehrat entsendet. Normalerweise nimmt der oder die DJV-Vorsitzende diese Funktion wahr.
Herr Konken, für Rundfunk und Presse schreiben Gesetze die Trennung zwischen Redaktion und Werbung vor. Doch offenbar wird dagegen immer häufiger verstoßen, werden Werbung oder PR-Beiträge nicht deutlich genug als solche gekennzeichnet. Das sogenannte „Native Advertising" nimmt auch in deutschen Medien zu, hier bezahlen Unternehmen dafür, dass sie ihre Werbung als redaktionell aufgemachte Beiträge platzieren dürfen. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?
Konken: Ich sage mal einen Satz voraus: Wenn Journalismus glaubwürdig bleiben soll, muss man dieses Trennungsgebot achten. Gerade in einer Zeit, in der der Begriff „Lügenpresse" immer häufiger benutzt wird, sollte der Journalismus dieses Trennungsgebot wirklich streng einhalten. Aber wir wissen natürlich, dass die Einnahmen im Werbebereich immer mehr zurück gehen. Ihr Anteil an den Erlösen ist deutlich zurück gegangen, er lag vor zirka15 Jahren noch bei zwei Drittel der Einnahmen, bei den Printmedien sind wir jetzt weit unter 50 Prozent, erste Titel gehen schon in Richtung 40 Prozent. Diese Rückgänge sind nur begrenzt mit gesteigerten Vertriebseinnahmen zu kompensieren. Insofern öffnen die Medienhäuser immer mehr die Schleusen, um Werbung anders zu platzieren. Diese Tendenz ist seit Jahren zu beobachten. Oft geschieht das auf Druck der Verleger oder der Geschäftsführungen. Ich hoffe, dass man auch dort erkennt, wie sehr die Glaubwürdigkeit der Medien mit einer klaren Trennung von Redaktion und Werbung zusammenhängt. Aber ich befürchte, dass die Grenzüberschreitungen zunehmen.
Was könnte man dagegen tun?
Konken: Eigentlich müssten die Journalisten auf die Barrikaden steigen und sagen, ‚das machen wir nicht mit!' Jeder gute, jeder seriöse Journalist sollte sich dagegen wehren, aber das ist in der heutigen Zeit nicht ganz einfach, wenn der Verleger seine Zahlen auf den Tisch legt und die Jobs der Redakteure in Frage stellt. Wir wissen genau, dass die innere Pressefreiheit nicht überall existiert, und dass man sich gegen wirtschaftliche Zwänge oft nicht wehren kann.
Eine wirtschaftliche Abhängigkeit bei Angestellten, wie auch bei freien Mitarbeitern führt dazu, dass sie gegen die Verletzung bedeutender Trennungsgebote nicht aufbegehren?
Konken: Nein, aber wir beobachten, dass Anzeigenkunden Druck ausüben, wenn es zu kritischen Berichten kommt.
Wo finden Journalisten und Redakteure heutzutage Verbündete, wenn Sie dennoch auf die Barrikaden gingen. Wer würde sie dabei unterstützen?
Konken: Nun, wir als DJV sind in solchen Fällen immer auf die Barrikaden gegangen. Als Gewerkschaft können wir allerdings auch nur Öffentlichkeit erzeugen und es direkt ansprechen. Man kann nur immer wieder die Qualitätsdebatte führen und mit den Verlegern ins Gespräch kommen. So ein Austausch mit Verlegerverbänden findet beispielsweise im Rahmen von Arbeitskreisen der „Initiative Qualität im Journalismus" (IQ) statt. Aber die Verleger hören ja mitunter nicht mal mehr auf ihre eigenen Verbände. Insofern muss jeder Verleger selbst darüber nachdenken, wie wichtig ihm dieses Qualitätsmerkmal für seinen Journalismus ist, eine klare Trennung von Werbung und Redaktion vorzunehmen.
Geschäfts- und Pressestelle des Presserats sagen, er würde dann wirkungsmächtiger, wenn seine Arbeit mehr medialen Raum bekäme, wenn Rügen, Missbilligungen und Hinweise insgesamt mehr Platz in den Medien bekämen. Würden mehr Debatten über die Fehler von Journalisten gegen deren Glaubwürdigkeitsverlust helfen?
Konken: Zumindest bei wichtigen Themen, zu denen es Beschwerden und Rügen gibt, haben wir in jüngster häufig breit angelegte Diskussionen darüber, was in den Medien falsch gelaufen ist. Gewiss kann man auch fragen, wen die Rügen überhaupt interessieren. Das ist vielleicht eine überschaubare Gruppe von Journalisten, aber nimmt die Öffentlichkeit diese Rügen überhaupt zur Kenntnis? Ich stelle immer wieder im Gespräch fest, dass die meisten gar nicht wissen, dass sie sich überhaupt an den Presserat wenden können; und dass man sich ebenso an den Rundfunk- oder den Fernsehrat sowie an die Landesmedienanstalten wenden kann, auch das ist gar nicht bekannt.
Andererseits wird der Presserat ja nicht gerade gestärkt, wenn sich ein Blatt wie die Bild-Zeitung seit Jahren immer wieder zahlreiche Rügen wegen Verletzung des Pressekodex einhandelt - aber an ihren Vorgehensweisen gar nichts ändert. Sehen Sie eine Lösung, wie der Presserat oder andere Einrichtungen die Verantwortlichen zur Räson zu bringen?
Konken: Also, die Bild-Zeitung immer wieder die Grenzen der Ethik und des Pressekodex austesten, das wird man nicht ändern können. Auf der anderen Seite hat die Bild-Zeitung natürlich eine Riesen-Auflage und insofern ist da die Wahrscheinlichkeit viel größer, dass Menschen über solche Berichte Beschwerden einreichen. Aber, fast jeder weiß, wie er die Berichterstattung der Bild-Zeitung bewerten muss. Womit ich nicht sagen will, dass die Bild-Zeitung nicht journalistisch arbeitet. Aber Boulevardjournalismus muss eben anders eingeordnet werden.
Also, mehr als den gestrengen Zeigefinger des Presserats wird es nicht geben?
Konken: Nein, eine andere Möglichkeit von außen lässt zum Glück unser Grundgesetz und unser Verständnis von Pressefreiheit nicht zu. Aber, ich finde schon, dass der Presserat eine vernünftige Einrichtung ist, und es ohne ihn wahrscheinlich noch schlimmer aussehen würde.
Seit geraumer Zeit wird über die Glaubwürdigkeit von Journalisten diskutiert, welche immer häufiger als „Lügenpresse" beschimpft werden. Das Publikum scheint sensibilisiert für die Arbeit der Medien. Das wäre doch ein guter Zeitpunkt, um mehr auf die selbstreinigenden Prozesse innerhalb der Branche hinzuweisen und einzugehen ...
Konken: Durchaus, denn hier gibt es einen guten Ansatzpunkt, eine Art „Kampagne" zu starten, um der Öffentlichkeit klarzumachen, welche Möglichkeiten jedermann hat, sich gegen Verfehlungen der Medien zu wehren, aber auch, um die Seriosität des Journalismus zu verdeutlichen. Der Begriff der Lügenpresse ist eine Propagandaschlacht derjenigen, die keine Medienkompetenz besitzen und eher Verschwörungstheorien und Internetlügen hinterherlaufen und sie verbreiten. Für eine solche Kampagne müssten alle zusammen an einem Strang ziehen, Verleger, Journalisten, Rundfunkanstalten, private Medien. Doch es wäre gut für die Glaubwürdigkeit des Journalismus. Denn ich stelle immer wieder fest, dass auch vernünftige Menschen auf unseri öse Nachrichten und Pseudo-Nachrichtenportale leicht hereinfallen, sie positiv bewerten und weiterempfehlen. Da scheint mir ein gewisses Maß an Medienkompetenz verloren gegangen zu sein. Daher bedarf es wirklich einer solchen Öffentlichkeitsarbeit und ein mehr an Vermittlung von Medienkompetenz durch Schulen und Hochschulen.
Es gibt ja auch das Trennungsgebot zwischen Tatsachen-Bericht und Meinung, und Sie haben einmal gesagt, dass auch diese Grenze zunehmend verwischt werde und wieder klarer gezogen werden müsse. Haben Sie das Gefühl, Ihr Aufruf wurde erhört?
Konken: Das Gefühl habe ich leider nicht. Wenn ein Journalist sein Handwerkszeug lernt, dann lernt er, dass die Nachricht eine Wiedergabe von Fakten ist. Und der Kommentar ist seine Meinung. Ich beobachte schon länger, dass zunehmend die Nachricht mit Wertung oder Kommentierung vermischt wird, und das ist schlicht der Versuch der Beeinflussung.
Offenbart sich hier womöglich ein Widerspruch zwischen den Ausbildungsinhalten für journalistische Berufe einerseits und der Realität in Verlagen und Sendern andererseits?
Konken: Ich weiss nicht, woran es liegt. Vielleicht verliert man in der Hetze des Alltags ein bisschen den Überblick, wo die Grenzen sind, oder es schleicht sich mit der Zeit ein, dass man sich als Journalist eine Meinung bilden und die auch gleich in einer Nachricht wiedergeben soll. Womöglich müssten Journalisten mehr an Fortbildungen teilnehmen, um Wissen aufzufrischen oder Praktiken zu trainieren. Dafür müssten ihnen die Verleger dann auch Bildungsurlaub geben. Letzteres ist leider nicht der Fall. In anderen Berufen funktioniert das.
Das hört sich an, als beschwörten Sie gute, alte Tugenden - und dennoch scheinen die Entwicklungen oft in eine andere Richtung zu gehen ...
Konken: Es gibt solche Nachlässigkeiten wie in allen andren Berufen auch und ich rate einfach dazu, sich auf das Handwerkszeug zu besinnen. Dazu gehört, dass wir Journalisten unvoreingenommen sein und den Menschen Informationen geben sollen, die sie als Fakten wahrnehmen. Der Journalist muss es primär der Öffentlichkeit überlassen, die Fakten zu bewerten. Und anders funktioniert die öffentliche Meinungsbildung nicht. Wenn die Grenzen zwischen Tatsachen und Meinung verletzt werden, kommt es zum Vorwurf, dass die Presse hier versucht, die Öffentlichkeit zu beeinflussen. Wir müssen wachsamer sein als vorher - gerade weil die seriöse Presse heute immer mehr unter Beobachtung steht.
Ist die Glaubwürdigkeit der etablierten Medien in die Diskussion geraten, weil sie zu schnell etwas übernehmen, was die Runde macht, um am Thema „dran" zu sein?
Konken: Ja, klar, und da müssen wir aufpassen, dass nicht irgendwelche Informationen übernommen und weiter verbreitet werden, ohne sie selbst zu prüfen. Gewiss ist das ein Problem, das auch auf die gesunkenen Zahlen an Journalisten in den Redaktionen zurückzuführen ist. Aber das kann dennoch nicht bedeuten, dass wir ungeprüfte Nachrichten weiter verbreiten. So kommen Falschmeldungen zustande, und die befeuern den Vorwurf der Lügenpresse. Nehmen wir die Vorfälle zu Silvester in Köln. Den Journalisten wurde vorgeworfen, dass sie zu lange gewartet haben. Doch es ging hier ja gerade darum, haltbare, verlässliche Informationen zu haben. Dafür ist man häufig, so auch in diesem Fall, auf andere angewiesen, hier auf die Kölner Polizei. Doch wenn diese den Informationskanal schließt beziehungsweise falsche Informationen herausgibt, dann ist es schon schwierig, die Abläufe zu klären.
Es war doch insgesamt eine schwierige Gemengelage, die schwer aufzuklären war - schon gar nicht auf die Schnelle ...
Konken: Wenn die Polizei zunächst mitteilt, es war eine ruhige Nacht, und wenn man dann von anderer Seite hört, dass doch etwas vorgefallen sein soll, dann muss man als Journalist erstmal selbst recherchieren, bevor man etwas verbreitet. In so einem Fall genügt auch nicht eine Quelle, da muss man schon eine Kausalquelle haben, die das bestätigt. Generell vertraut man Quellen wie der Polizei, und man geht im ersten Moment davon aus, dass andere Informationen eher Gerüchte sind. Erst als sich in diesem Fall vermeintliche Gerüchte mehr und mehr als Vorwürfe erhärteten und der Druck stärker wurde, misstrauten alle den Informationen der Polizei. Und dann musste ja auch die Polizei klein beigeben. Also, das war schon eine schwierige Situation. Obwohl ich in diesem Fall auch denke, es waren in der Nacht sehr viele Menschen vor Ort, es müssten eigentlich genügend Informationen an Journalisten herangetragen worden sein. Insofern kann ich nicht so ganz verstehen, warum das Ganze erst am Montag richtig zum Thema wurde.
Steigen also eher die Erwartungen des Publikums an den Journalismus - oder ist es seitens der Medien eine neue Stufe des Strebens nach Reichweiten und Quoten, um zu überleben beziehungsweise das Dasein zu rechtfertigen?
Konken: Als seri öser Journalist darf ich nicht dem Druck des Publikums nachgeben. Das Publikum will sofort alle möglichen Informationen haben, aber das kann nicht heißen, dass wir ungeprüfte Nachrichten herausgeben oder spekulieren. Wir sprechen hier über die Ethik der Journalisten. Aber auch die Ethik des Publikums hat sich in den vergangenen Jahren verändert und ist teilweise sehr diffus. Früher hat es nicht einen derartigen Druck auf den Journalismus ausgeübt. Journalisten dürfen sich aber nicht von der Öffentlichkeit und auch nicht von Facebook-Wellen provozieren lassen sondern sollten weiter in Ruhe recherchieren, bevor sie etwas veröffentlichen. Allerdings wollen Verlage und Sender Auflage und Einschaltquoten. Und dieser Druck wird auf die Redaktionen ausgeübt. Insofern bleibt Journalisten oft keine andere Wahl als schnell zu berichten.
Aber dann verlieren sie vermutlich an Reichweite - und in der Folge auch an Bedeutung.
Konken: Ja, genau, und das ist das große Problem, da befindet sich der Journalismus wirklich im Zwiespalt. Die Abläufe bezüglich der Kölner Vorfälle macht mich schon sehr nachdenklich, weil sie sich in der Silvesternacht ereigneten, und erst am Montag die Massenmedien darüber berichtet haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass die Kollegen in den Redaktionen eingehend diskutiert haben, wie sie mit diesen Informationen umgehen, ohne dass sie in der Öffentlichkeit Ausländerfeindlichkeit schüren. Ich meine allerdings, dass Köln auch hinsichtlich des Umgangs mit dem Flüchtlingsthema einen Paradigmenwechsel verursachte. Künftig werden Journalisten häufiger die Nationalität der Straftäter beim Namen nennen, weil Köln wieder die falschen Prediger der „Lügenpresse" beflügelte. Aber man darf sich auch in diesem Fall nicht einer Tendenz verpflichten, sondern vor allem zu Wahrheit und Vollständigkeit. Und wir haben ja gesehen, wie dann die Öffentlichkeit reagiert. Nachdenklich macht mich allerdings, dass die Kölner Ereignisse sehr lange medial verbreitet wurden, während die Ereignisse in Leipzig - massive Ausschreitungen von Rechtsextremen gegen Flüchtlingsunterkünfte - eher nebenher liefen.
Sie sprachen bereits das Finanzierungsproblem des Journalismus an, weil die Werbeerlöse weiter sinken, diese jedoch noch nicht durch Vertriebserlöse ausgeglichen werden können - etwa durch den Verkauf von Abonnements und Heften sowie mittels Online-Bezahlschranken. Muss es also neue Finanzierungswege geben?
Konken: Ich war immer ein Streiter dafür, den Journalismus anders zu finanzieren. Wohlgemerkt: Den Journalismus, nicht die Verlage. Das Geld muss bei den Journalisten landen. Wir werden in den nächsten Jahre über eine Finanzierung nachdenken müssen, die außerhalb der Verlage läuft. Ich habe die „Haushaltsabgabe" für Print- und Online-Medien gefordert, die staatsfern sein muss. Das ist gewiss schwierig, es bedarf dafür auch Gesetzesänderungen. Aber ich meine, es ist hinzubekommen, von der jetzigen Haushaltsabgabe einen Teil für Print- und Online-Journalismus vorzusehen. Ich befürchte, dass es sonst langsam zu einem weiteren Sterben der Printmedien kommt. Und da Online-Medien sich nicht selbst finanzieren - sie werden immer noch durch die Printprodukte finanziert - laufen wir Gefahr, dass auch Onlinemedien davon betroffen sind. Wenn Printmedien und damit auch Onlinemedien, auch im lokalen Bereich, erst einmal verschwunden sind, bekommen wir sie nicht wieder. Und dann haben wir eine Medienlandschaft, die vielfach aus unseriösen Quellen besteht, die nichts mit Journalismus zu tun haben. Hier muss also gehandelt werden. Versuche, seriösen Journalismus beispielsweise über Crowdfunding zu ermöglichen, sind ganz nett und gehören dazu. Es sind aber nur Nischen, die genutzt werden müssen, aber nicht den großen Durchbruch bringen werden.
Sollte für solche, dann ja wohl öffentlich-rechtliche Print- und Online-Journalisten die Haushaltsabgabe erhöht werden - und wer verteilt die Gelder dann an wen?
Konken: Im Moment bräuchten wir die Haushaltsabgabe nicht erhöhen, denn es gibt ja Überschüsse, die quasi eingefroren sind und nicht genutzt werden. Politik, Medienvertreter und die Wissenschaft müssen schnell an einen Tisch, um staatsferne Lösungen für die Verteilung zu finden.
Die Idee klingt charmant, kommt aber womöglich zu einem denkbar ungünstigen Zeitpunkt. Gerade die öffentlich-rechtlichen Anstalten sind extrem in die Kritik geraten, ihnen werden quotenhöriges Programm, beeinflussbare Redaktionen, aufgeblähte Verwaltungsstrukturen vorgeworfen, manche fordern deswegen die Reduzierung oder gar Abschaffung der Haushaltsabgabe ...
Konken: Die Kritik an den öffentlich-rechtlichen Sendern ist im Moment wirklich übertrieben. Und ich weiß auch nicht, von welcher Stelle sie hochgeheizt wird. Es gibt auch einige wenige Kollegen großer Zeitungen, für die das öffentlich-rechtliche System ein Dorn im Auge zu sein scheint und die es mit Schaum vor dem Mund niederstrecken wollen. Ich jedenfalls bekomme im ZDF mit, dass die Journalisten da eine hervorragende Arbeit machen, das gilt auch für die ARD-Anstalten. Keiner lässt sich dort von außen beeinflussen, schon gar nicht durch die Politik. Sie gehen ihren Weg und berichten umfänglich, und das beweist die die tägliche Berichterstattung. Die Öffentlich-Rechtlichen sind nicht dafür da, schöne Unterhaltungssendungen zu machen, sondern sie sind primär dafür da, Informationen zu geben, Kritik zu äußern, Kontrolle auszuüben - und an letzter Stelle kommt die Unterhaltung. Diesen Auftrag realisieren sie. Auch wenn das Publikum oft lieber die Unterhaltung im Vordergrund sieht.
Dieser Programmauftrag schreibt den Anstalten „Bildung, Information, Unterhaltung und Beiträge insbesondere zur Kultur" vor. Inwieweit erfüllen ZDF und ARD diesen Auftrag, könnten Sie das in einer Prozentzahl ausdrücken?
Konken: Leider ist die Information in den vergangenen Jahren zurückgegangen, weil die Öffentlich-Rechtlichem sich auch ab und zu dem Druck der Einschaltquoten gebeugt haben. Doch gerade bei aktuellen Ereignissen kann man sehr gut feststellen, wie intensiv die Sender daran arbeiten, Menschen zu informieren und das auch glaubwürdig und seriös zu tun. Das beweisen dann Einschaltquoten beispielsweise zu den Anschlägen in Paris. Ich bedaure, dass den politischen Magazinen die Sendezeiten gekürzt werden, denn sie sind wichtig für die Meinungsbildung. Zudem haben die Journalisten kaum noch Zeit, sich investigativen Themen zu widmen. Weiter ist bedauerlich, dass die Sender mit Verlagen Rechercheverbünde gründen müssen, um überhaupt noch intensiver Themen zu recherchieren - früher gab es genügend Kolleginnen und Kollegen, die dafür ausreichend Zeit hatten. Das beschneidet auch die Vielfalt der Recherche. Auch haben die Anstalten nicht mehr ausreichend Journalisten, die sie aktuell sofort vor Ort schicken können, um dort gründlich zu recherchieren. Das ZDF hat mittlerweile über 500 Stellen abgebaut, und auch in der ARD wird sich der Stellenabbau bemerkbar machen. Gleichwohl hat sich bei solchen Ereignissen in der Vergangenheit immer wieder gezeigt, wie stark sich die öffentlich-rechtlichen ihrer Aufgabe bewusst sind und ihren Auftrag auch erfüllen. Ohne sie ist unsere Medienlandschaft nicht denkbar.
In der Vergangenheit wurde den öffentlich-rechtlichen eine zu geringe Staatsferne vorgehalten. Sie selbst gehören seit zwölf Jahren dem ZDF-Fernsehrat an, kritisierten aber zugleich, dass da zu viele Politiker vertreten waren, nämlich 80 Prozent. Jetzt sind es von 70 Mitgliedern 31 Politiker, also etwas mehr als ein Drittel. Ist dieses Aufsichtsgremium jetzt staatsfern genug?
Konken: Dieses Drittel hat das Bundesverfassungsgericht mit seinem Urteil vorgegeben, und das ist schon ein Riesenschritt. Allerdings gehören den zwei anderen Dritteln gesellschaftliche Gruppen an, die durch Vorsitzende vertreten werden. Und diese Vorsitzenden sind meistens ehemalige, namhafte Politiker, die im Fernsehrat ihre politische Einstellung gewiss nicht wegwerfen. In der Vergangenheit konnten wir im Fernsehrat immer wieder politischen Einfluss verhindern. Das politisch motivierte Herausdrängen des ehemaligen ZDF-Chefredakteurs, Nikolaus Brender, zwar nicht, aber dieser Fall war Auslöser dafür, dass sich das Verfassungsgericht damit beschäftigt hat. Und ich bin immer wieder froh, wenn aus den ZDF-Redaktionen Hinweise zu versuchter Einflussnahme kommen, damit beschäftigt sich dann der Fernsehrat. Und bisher ist es immer wieder gelungen, solche Versuche im Keim zu ersticken . Es wird allerdings nie gelingen, sie zu verhindern, einen Fernsehrat oder einen Rundfunkrat völlig unpolitisch zu besetzen.
Im Fernsehrat sitzen Vertreter der katholischen, evangelischen und jüdischen Kirche. Sollten auch Vertreter der islamischen Kirchenvertreten sein?
Konken: Sie gehören dazu. (Laut einem Bericht des Tagesspiegel wird der ZDF-Fernsehrat „bis Mitte 2016 neu zusammengesetzt", wobei das Land Niedersachsen einen Vertreter aus dem Bereich Muslime bestimmt, Anm. d. Red.)
Muss das System der Haushaltsabgabe und öffentlich-rechtlicher Medien bald vehement verteidigt werden?
Konken: Das kann ich mir im Moment nicht vorstellen. Ist es die Masse der Öffentlichkeit, die das System kritisiert? Die meisten Menschen wissen schon, was sie an den öffentlich-rechtlichen Medien haben und auch an deren Sparten-Kanälen, die ja mittlerweile auch viele junge Zielgruppen erreichen. Die da Kritik üben, die sollten nach Ungarn oder Polen schauen, dann wüssten die, was da gerade vorgeht. Und dann muss die Kritik bei uns schnell verstummen. Wir wissen heute sehr genau, wo und wann die Menschen sich informieren, besonders, wenn es wichtige politische Ereignisse, Katastrophen oder Anschläge gibt. Das passiert überwiegend bei den öffentlich-rechtlichen. Ein Beleg für die Glaubwürdigkeit. Insofern glaube ich, ihr Stellenwert in der Bevölkerung ist hoch und zudem fest verankert. Sollte sich das ändern, dann können wir auch unsere Demokratie abhaken. Wir brauchen die öffentlich-rechtlichen genauso wie Privatsender und die seriösen Print- und die Online-Medien. Das ist demokratisch praktizierte Medienvielfalt.
Zum Schluss eine Frage zur Praxis der Autorisierung von Interviews. Es kommt immer wieder vor, dass Interviewpartner - ob Musiker, TV-Prominente oder Unternehmer - im Zuge der Autorisierung eines Interviews ganze Antworten herauszustreichen oder dass sie verlangen, kritische Fragenumzuschreiben - anderenfalls würden sie das ganze Interview zurückziehen. Was lehren Sie diesbezüglich Ihren Studierenden?
Konken: Hierbei geht es nicht nur um das Persönlichkeitsrecht des Interviewten, sondern auch um dessen Urheberrecht. Es sind seine/ihre Aussagen, die auch zu verantworten sind. In einem Interview wird oft viel erzählt - und später merkt man beim beim Lesen, dass etwas aus dem Zusammenhang gerissen wurde oder falsch in der Auslegung verstanden wurde. Was ich als Interviewter erzähle und was ich schriftlich vorgelegt bekomme ... ich denke, der Interviewer fasst es vielleicht etwas anders auf, als ich es gesagt habe, und erst beim Lesen merke ich, das hätte ich anders formulieren müssen. Wenn es Formulierungen gibt, die in der Sache zu missverständlichen Aussagen führen könnten, dann muss das Ändern möglich sein, das ist auch unzweifelhaft. Das gesprochene Wort ist in der Deutung eben oft anders wie das geschriebene. Es darf aber nicht sein, dass Interviewte komplette Interviews umschreiben. Ich habe auch etwas dagegen, wenn Interviews völlig zurückgezogen werden.
Wenn nun ein Interviewpartner die Freigabe einer Antwort verweigert, weil er sie gestrichen haben will, fänden Sie es dann legitim, dass man bei der Veröffentlichung zumindest die Frage veröffentlicht und dann dazu schreibt, die Antwort sei vom Interviewpartner gestrichen worden, weil er sie im Nachhinein nicht veröffentlicht sehen wollte?
Konken: Da hätte ich nichts dagegen.
Also wäre dies ein legitimes Mittel, um im Nachhinein den Konflikt deutlich zu machen?
Konken: Ja. Wir beide haben uns eine Stunde unterhalten und da achtet man nicht mehr auf jedes Wort. Erst beim Lesen wird deutlich, wie es treffender und deutlicher wäre. Insofern finde ich, dass die Autorisierung ein wichtiges Instrument ist, nicht nur für den Interviewten sondern auch für den Interviewenden, weil man sich damit auch selbst als Journalist absichert. Das habe ich ja in diesem Interview auch gemacht. Allerdings ist es merkwürdig, wenn ich ein Interview gegeben habe und es dann komplett wieder zurückziehe. Das muss dann auch redaktionell deutlich gemacht werden.
[Das Interview entstand im Januar 2016.]
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