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Mombach hilft: Lieber machen statt meckern

Vom Bommelsche zum Küken. Zum Osterfest blicken sie aus dem Fenster des Seniorenheims Mainz-Mombach auf einen Stadtteil, der nicht stillsteht. © Jonas Pospesch

Im ersten Lockdown gründeten Monika Schmitz und Daniela Gönner eine Initiative, um ältere und einsame Menschen zu unterstützen. Bald merkten sie, dass die mehr brauchen als Einkaufsservice und Hundesitting.

Die Küken mit den aufgeklebten Wackelaugen und Schnäbeln passen farblich perfekt zum Wintermantel von Daniela Gönner. Sie passen aber auch perfekt zum Aufruf der Ehrenamtlichen: Ausrangierte Osterdekoration bitte nicht wegwerfen, sondern spenden, damit der Stadtteil zu den Feiertagen feierlich geschmückt werden kann. Hunderte Eier, Hasen, Schafe hat Gönner schon bei sich im Keller einquartiert. Jetzt gibt es auch eine Kükenfamilie, entstanden aus Baumwoll-Bommeln, oder „Bommelsche" wie man hier in Mainz-Mombach sagt. Zum Osterfest werden sie mit ihren Wackelaugen aus den Fenstern des Seniorenheims blicken und auf einen Stadtteil schauen, in dem sich in den vergangenen Monaten viel bewegt hat.

Mit seinen knapp 14 000 Einwohner:innen ist Mombach zu klein, um Tagestouristen anzuziehen, und zu groß, um in der Schlange beim Bäcker alle mit Spitznamen zu kennen. Am Ortseingang grüßen Industrieschornsteine, im Ortskern gelber Klinkerbau. Und mittendrin hüpft Monika Schmitz herum, die vieles kann, aber nicht die Füße stillhalten. Vor ziemlich genau einem Jahr, die Begriffe Aerosole und Inzidenz hatten erstmals Konjunktur, saß die 37-Jährige auf der Couch und wurde unruhig: „Ich wollte nicht nur Corona-Sondersendungen schauen, sondern anpacken und helfen." Eifrig fügte sie Freund:innen und Bekannte in eine Whatsapp-Gruppe hinzu. Ihr Plan: Mombach vernetzen, eine Einkaufshilfe für Alte und Hilfsbedürftige auf die Beine stellen. Ein Selbstläufer? „Naja, viele sind direkt wieder ausgetreten oder haben geschrieben: Moni, was geht denn jetzt mit dir ab?"

In der Pandemie sind viele Nachbarschafts-Gruppen entstanden

Aber da war Monika Schmitz, per Selbstzuschreibung „Mombacher Wirbelwind", schon nicht mehr zu bremsen. Sie motivierte, überzeugte und blieb hartnäckig. Zwei Tage später hatte sie 255 Telefonkontakte in der Gruppe. Mehr geht nicht, größere Gruppen lässt die App nicht zu. Daniela Gönner, Mutter von vier Kindern und Hüterin von deutlich mehr Osterhasen und Küken, ist von Tag eins an dabei.

Ein unsichtbares Virus macht gesellschaftlichen Zusammenhalt sichtbar. Und es zeigt, wie viele Menschen auf Hilfe und Zuspruch angewiesen sind. Wie in Mainz-Mombach sind im vergangenen Jahr in allen Winkeln Deutschlands unzählige ehrenamtliche Initiativen und Einkaufshilfen entstanden. Manche sind mit der ersten Infektionswelle gekommen und mit ihr auch wieder gegangen. Doch für viele andere war die Pandemie der Auslöser für etwas größeres.

Wie baut man aus einzelnen Telefonnummern ein stabiles Hilfenetz auf?


So auch für „Mombach hilft". Ein Jahr nach dem Start ist aus der losen Chatgruppe ein eingetragener Verein geworden, der hunderte Einkäufe und dutzende Gemeindeaktivitäten auf die Beine gestellt hat. Die Initiatorinnen haben gemerkt, dass der Bedarf nach nachbarschaftlichem Engagement schon vorher da war. Das Virus lege die Sehnsucht jetzt nur offen, sagt Monika Schmitz.

Doch wie schafft man es, aus vielen einzelnen Telefonnummern ein stabiles Hilfsnetzwerk aufzubauen? „Wir mussten uns erst eine Struktur überlegen. Das ist mit vielen Telefonaten und Koordination verbunden", sagt Daniela Gönner. Weil in der Chatgruppe anfangs mehr witzig gemeinte Emojis als Hilfsgesuche landeten, stellte sie klare Regeln auf. Hilfsgesuche werden allein von den Initiatorinnen in die Gruppe gestellt und mit einer kurzen Info versehen: Wann wird wo welche Form der Unterstützung gebraucht? Alle, die helfen wollen, melden sich dann privat bei den Koordinatorinnen zurück. Im besten Fall entwickeln sich feste Tandems aus Jung und Alt, zwischen Risikogruppe und Helfer:innen. Die Bezahlung wird vorzugsweise bargeldlos per Überweisung abgewickelt. Wer Unterstützung braucht, kann sich jederzeit bei den Initiatorinnen auf dem Handy melden. Auf insgesamt 10 000 Flyer haben sie ihre Kontaktdaten gedruckt, einen Flyer für jeden Briefkasten, niemand sollte vergessen werden.

Masken-Nähen, Karnevalsplakate und Dreck-weg-Tage

Zu Beginn drehte es sich viel um Besorgungen: Mal ein Rezept in der Apotheke einlösen, den Wocheneinkauf übernehmen oder den Hund ausführen. Das änderte sich aber. Als immer mehr Mombacher:innen über die zugemüllte Hauptstraße motzten, entstand kurzerhand der „Dreck-weg-Tag". Ausgestattet mit großen Müllsäcken wurde sauber gemacht.

„Machen statt meckern, das ist schon immer meine Devise", sagt Monika Schmitz. Im Sommer 2020, als Gummibänder für Masken zum neuen Gold wurden, organisierte die Initiative das Nähzeug. In den Wohnzimmern Mombachs entstanden 1000 Masken, die in der örtlichen Kita und der Grundschule kostenlos verteilt wurden. Für den Mainzer Stadtteil zählt der Rosenmontag zu den höchsten Festtagen. Dieses Jahr war alles anders, aber es blieb närrisch und farbenfroh. „Live zu feiern, geht nit - schad, drum feiern wir halt per Plakat", war als Botschaft auf Konfetti-Hintergrund zu lesen. Weitere Plakatmotive sorgten für Fastnachtsstimmung.

„Mombach hilft": Die Bürokratie ist manchmal ein Bremsklotz


Hinter dem Verein „Mombach hilft" stehen heute zahlreiche Ehrenamtliche, die sich mit kleinen Gesten und Aktionen einbringen. Monika Schmitz und Daniela Gönner managen im Hintergrund, stoßen neue Projekte an. Ein Bremsklotz sei manchmal noch die Bürokratie, der Berg an Anträgen, bis man endlich loslegen könne.

Gemeinsam führen die beiden Freundinnen gerade den kleinen Hund einer lungenkranken Mombacherin aus, als Monika Schmitz stehenbleibt. Kurzer Blick auf das Handy, eine neue E-Mail: Die langersehnte Bestätigung. Kurz vor Ostern darf Schmitz, medizinische Fachkraft mit eigener Praxis, kostenlose Schnelltests anbieten. So sollen die beiden Hausärzte in Mombach entlastet werden und auch Tests am Wochenende möglich sein.

Doch viele der Probleme, bei denen die Initiatorinnen in ihrem neuen Alltag aushelfen, haben gar nicht mehr direkt mit der Pandemie zu tun, sagt Monika Schmitz „Viele rufen mich an und wollen einfach nur quatschen, weil sie sich einsam fühlen. Aber das ist doch auch schön. Ich bin doch selbst so eine Quatschtante."

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