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Auf dem Holzweg

Wenn Matthias Mansen Espresso kocht, dann löffelt er nicht einfach Pulver aus einem Glas in die Maschine. Er schüttet ganze Bohnen in eine alte Kaffeemühle und zermürbt sie mit gezielten Bewegungen unter einem knirschenden Geräusch zu feinem Granulat. Der Holzschnittkünstler braucht die physische Bewegung. Und reibt sich gern an Widerständen.

Gerade ist er zurückgekommen aus Süddeutschland. Auf einem Oldtimer-Treffen hat der Mittfünfziger versucht, seinen alten MG zu verkaufen, ohne Erfolg. Jetzt weht heiße Sommerluft in sein Berliner Atelier im Tiergarten. Die Sonne wirft Lichtflächen auf den Boden, die Matthias Mansen in offenen Lederschlappen und weiten Stoffhosen durchkreuzt.

Der Balletttänzer

Eine Freundin habe einmal gesagt, er sähe beim Arbeiten wie ein Balletttänzer aus, erzählt er. Tatsächlich scheint der große, schlanke Mann um den massiven Holztisch in der Mitte des Raumes zu schweben. Nie bleibt er lang auf einer Stelle stehen. Seine feingliedrigen, schmalen Finger arrangieren die Werkzeuge: Hohleisen, Stechbeitel, Spachtel. Die Hände scheinen fast zu zart und unversehrt für jemanden, der sich als Handwerker begreift.

Schon immer macht er die Dinge auf seine Weise, lässt sich nicht von Trends und Vorgaben stören. Sonst wäre er wohl nie zum Holzschnitt gekommen. Als Matthias Mansen 1984 sein Studium der Malerei an der Kunstakademie Karlsruhe abschließt, spürt der den starken Drang, Pinsel und Leinwand hinter sich zu lassen. „Ich habe gemerkt, wenn ich die Anforderungen der Akademie erfülle, kann das nicht meine eigene Sache sein. Dann erfülle ich den Zeitgeist, bin ein guter Schüler. Aber mit mir selbst hat das nichts zu tun."

Das Misstrauen gegenüber der Kunst als Beruf ist ein enormer Motor für ihn. Aufgewachsen in einer Künstlerfamilie, hinterfragt er stets seine eigene Zukunft vor dem Hintergrund der Familientradition. Und schafft schließlich Distanz.

Mansen zieht nach Berlin und versucht, alles aus sich "herauszumalen", was Professoren und Eltern ihm vermittelt haben. Dabei wirkt der ruhige Mann mit den markanten, feinen Gesichtszügen und dem verschmitzten Lächeln nicht wie ein Rebell, den es nach einem kathartischen Akt dürstet. Doch mittlerweile ist er auch dreißig Jahre älter, hat seine Katharsis hinter sich. Die Familientradition führt er trotzdem fort - auf dem Holzweg.

Der Holzschnitt, der Ende des 19. Jahrhunderts durch Edvard Munch und Paul Gaugin wiederbelebt wurde, diente in den sechziger Jahren vor allem als Technik der Reproduktionsgraphik. Kaum jemand nutzte sie als autonomes Ausdrucksmittel. Matthias Mansen aber reizt die provokante Protesthaltung, sich eines unmodernen Mediums zu bedienen. Es lässt ihn durch die mangelnde Aufmerksamkeit völlig frei arbeiten und birgt gleichzeitig starke Regeln im Gebrauch. Der Holzschnitt macht nicht alles möglich, zwingt zu genauen Linien und Strukturen, verzeiht keine Fehler. Vielleicht sucht Mansen für seine Motive deshalb die einfachen Themen, Alltägliches, die die Form über dem Inhalt stehen lassen.

Dass er ein physisch orientierter Mensch ist, wird in seinem Atelier in jeder Ecke sichtbar. Küchenregal, Hängekonstruktion für Bilder, Arbeitstisch: Alles ist selbst gezimmert, verschraubt und angebracht. Er sei kein Intellektueller, sagt Mansen von sich selbst. Er denke vielmehr mit den Händen, in der Bewegung. Der Holzschnitt lege diese Denkprozesse über die handwerkliche Tätigkeit offen.

Beobachtet man ihn beim Mäandern über den Druckstöcken, fällt das nicht schwer zu glauben. Rhythmische Bewegungen und routinierte Handgriffe wirken wie eine Form der Meditation. Zwischen den Augenbrauen des Künstlers treten zwei kleine Falten hervor. Auf dem Holztisch schneidet Mansen von einer langen Rolle festes Papier, holt anschließend mit dem Spachtel dicke schwarze Kupferdruckfarbe aus einem Eimerchen. Eine feine Haut hat sich auf ihr gebildet. Dick und zäh wie Teer glänzt sie im Sonnenschein, während sich der Spachtel durch sie wühlt. Wann die Farbe fertig zum Auftragen ist? Da verlasse er sich auf seine Ohren, warte auf ein „geschmeidiges Sausen", sagt er. Schließlich nimmt Matthias Mansen eine grüne Rolle, wälzt sie mit schmatzenden Geräuschen durch die Farbe und überträgt sie auf den Druckstock.

Dieser Künstler liebt die ganzheitliche Erfahrung, das Sich-verlieren in etwas, zielloses Wandern. Seine ersten Druckstöcke fallen ihm auf diese Art und Weise zu: Als er 1984 eine Wohnung in Berlin Kreuzberg bezieht, wird er die Möbel des verstorbenen Vormieters nicht los. „Ich war so wütend, dass ich die Axt genommen und alles zertrümmert habe."

Aus einem Haufen Kleinholz werden erste Holzschnitte. Bis heute recycelt er alte Bodendielen, Möbel und Baureste, deren Struktur in den Kunstwerken sichtbar wird.

Den Druckstöcken Motive einzukerben, bedeutet auch, sich an Widerständen abzuarbeiten. Jedes Motiv erfordert eine neue Auseinandersetzung mit dem Material und der Form, in die es gebracht werden soll. Das ist für Mansen die Kunst: abstrakte Rasterstrukturen zu schaffen, die sich durch die Augen des Betrachters zu einem Bild formen. Seine aktuelle Serie befasst sich mit der Potsdamer Straße, in deren Gegend er sich mittlerweile zu Hause fühlt. „Die Dinge müssen mir so vertraut werden, dass sie bedeutungslos sind. Erst dann kann ich mit ihnen arbeiten." So auch der Blick aus seinem Atelier, die Ansicht einer alten Fabrikfassade. Unzählige kreisrunde Einkerbungen lassen aus der Holzfläche ein Bild heraustreten. Für Matthias Mansen klingt das so: „Ich schneide keine Linien, ich schneide Licht."

Gibt es auch ein Leben, das fern der Kunst stattfindet? Natürlich, es gibt Leidenschaften. Während seiner Zeit in New York nimmt ihn ein Freund mit zum Fliegenfischen in den Catskills. „Ich bedaure sehr, dass es in Deutschland keine Forellenflüsse gibt", sagt er. Am Ufer eines ruhigen tiefen Flusses kann man ihn deutlich sitzen sehen. Oder auf seinem Segelboot. Auch hier steht die ganzheitliche Erfahrung im Vordergrund, das ziellose Schippern. „Die meisten Leute reden am Morgen schon davon, in welchem Hafen man zu Abendessen wird. Ich bin einfach froh, dass man genau all das nicht weiß, dass das Meer so eine offene Fläche ist."

Auch seine Kunst ist die Erforschung des Ungewissen, eine Mischung aus Aktion und Reflexion. Er versuche sein Arbeit so zu machen, dass er ein Maximum an Freiheit habe. Der Prozess steht im Vordergrund, nicht Emotionen und Inhalte. Es geht ihm um die Verlangsamung in einer Zeit, die von der Schnelllebigkeit der Bilder geprägt ist. In der zeitgenössischen Kunst sei er ein Außenseiter, zumindest gewesen.

Und wie sieht das heute aus? Es hat sich relativiert, er wird wahrgenommen. Seine Arbeit „Mann, aufstehend von einem Stuhl" hängt im Moma in New York, die National Gallery in Washington und die Hamburger Kunsthalle besitzen Arbeiten. Doch das Medium ist immer noch ein Außenseitermedium. Gerade kämpft er um die Anerkennung der neuen Sammlergeneration. Auch nach dreißig Jahren Künstlerdasein bleiben Zweifel: Nach jeder abgeschlossenen Arbeit komme wieder die Phase des Hinterfragens, des Suchens nach neuen Möglichkeiten. In dieser Zeit könne es äußerst unangenehm werden, jeden Morgen ins Atelier zu gehen und sich der eigenen Unfähigkeit zu stellen. Doch irgendwann, sagt Mansen, sei auch diese Phase gebrochen. Das Schönste ist der Arbeitstag, sagt er, den man mit einer Frage für den kommenden Tag beenden kann.

Matthias Mansen 1958 in Ravensburg geboren, studierte von 1978 bis 19842 an der Akademie der Bildenden Künste in Karlsruhe, unter anderem bei Georg Baselitz und Markus Lüpertz, sowie von 1981 bis 1984 Kunstgeschichte an der Universität Karlsruhe. Nach Auslandsaufenthalten in London (1986-87), Paris (1988) und New York (1989-1994) lebt und arbeitet er seit 1994 in Berlin. Sein vielfach ausgezeichnetes Werk war unter anderem in der Hamburger Kunsthalle, dem Folkwang Museum Essen, im Museum of Modern Art New York und dem Museum of Fine Arts Boston zu sehen. (Foto: Jörg Hejkal)
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